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Daniela Seel: Auszug aus Eden

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Jan Kuhlbrodt

Im Verlag Peter Engstler, diesem lyrischen Widerstandsnest in der Rhön, sind nicht nur in letzter Zeit einige Publikationen erschienen, die eine eingehende Betrachtung verdient haben. Vom Brockes Düngerkind beispielsweise oder Pohls Androidenballett. Diese zwei Hefte seien hier nicht nur erwähnt, sondern dringend empfohlen. Wenn es Zeit, Kraft und Konzentration erlauben, werde ich auch dazu noch etwas schreiben. Zunächst aber einige Sätze zu einem Heft, dass mich gewissermaßen am Standpunkt oder Liegeplatz meines Lesens und Reflektierens abgeholt hat, ein Heft, das seine Faszination unter anderem aus einer Schnittstelle zieht zwischen Lyrik, Philosophie und Religion.


Zu Daniela Seel: Auszug aus Eden

Man könnte den Text als einen exegetischen bezeichnen. Allerdings nicht im Sinne einer selbstverleugnenden Auslegung eines Gegenübers, sondern im gegenseitigen Beleuchten. Der Text trifft auf den Leser, wie dieser auch auf den Text trifft, und das schon ist Reflex auf Lektüre. In diesen Begegnungen aber sind Hierarchien aufgehoben.

Sintert Versenken ein
Steinrückengrün, hingeschmiegt.
Wirbel um Wirbel

Diese Verse finden sich genau in der Mitte des Heftes. Und weil es ein Heft ist, also geheftet, dringen sie mir, so oft ich auch aufschlage, zuerst unter die Augen, als wollten sie mich leiten.
    Was sie mir aber auf jeden Fall eröffnen, ist ein Eingedenken der physischen Seite des Verstehens. Wir nehmen die Welt mit dem Körper auf. Augen und Ohren sind davon nur ein Teil. Und am Körper auch zeigt sich die Zeit als Frist.

Der Band enthält zwei Zyklen. Einerseits den Titelgebenden und zum anderen einen, der mit Verschaffen Natur den Tag überschrieben ist.

Ich zweifle nicht/ es werde
Welt gethan und noth
die Abwechslung aller/ Dinge.

Im zweiten Zyklus verlässt die Autorin zuweilen das, was in der Gegenwart als Rechtschreibung firmiert, und was im Grunde eine von einer Kommission festgelegte Einschränkung ist, welche letztlich versucht Gegenwärtiges zu konservieren.
    In Seels Text aber erweist sich Sprache und Schreibung als einerseits historisches Produkt, in dem sich zum anderen Denkbewegungen und Ausdrucksformen abgelagert haben. Frist und Dauer. Als gegenwärtig erscheint somit das, was gerade in den Fokus ragt, unabhängig vom Moment seiner Entstehung vielleicht.

Schon das Wort Auszug hat eine beeindruckende Zweideutigkeit. Einmal benennt es ein Verlassen, das Verlassen eines angestammten oder zugewiesenen Ortes, es birgt darin den Anschein, zumindest den Anschein von Freiwilligkeit, und in Zusammenhang mit dem mythischen Ort Eden suggeriert es das Gegenteil von Vertreibung. Ein Auszug kann aber auch den Teil eines Ganzen, einen Abschnitt meinen, der aus einer Schrift gezogen wurde, einerseits vielleicht, um das Ganze der Schrift zu repräsentieren, dann aber auch, um das Augenmerk auf einen besonderen Teil zu lenken, ihn gewissermaßen zu isolieren und exponieren.
    Ich bin mir nicht sicher, worauf der Titel von Seels Buch letztlich zielt, wohl auf beides, und natürlich räumt er mit meiner angelesenen Sicherheit gründlich auf, wenn es um die Auslegung kanonischer Texte geht, sofern es sich dabei um die Reduktion des Textes auf eine gültige Bedeutung handelt.

Eine Weite ungerichtet und wüst, oh süßes Verirren!

So lautet übrigens der erste Vers des Ganzen. Wenn das kein Versprechen ist!


Daniela Seel: Auszug aus Eden. Ostheim/Rhön (Verlag Peter Engstler) 2019. 36 Seiten. 14,00 Euro.
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