Cristina Gutiérrez Leal: Die Salzsäule
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Elke
Engelhardt
Cristina
Gutiérrez Leal: Die Salzsäule. Und andere Gedichte. | Estatua de sal. Y otros
poemas. Spanisch, deutsch. Übersetzt aus dem venezolanischen
Spanischen von Carolin Callies und Geraldine Gutiérrez-Wienken. Unter
Mitwirkung von Léonce W. Lupette. Heidelberg (hochroth) 2021. 36 Seiten. 8,00
Euro.
Das
Haus, auf das man zurückblickt
Die
Hochroth Dependance in Heidelberg gibt es seit 2018. Dieser, hauptsächlich auf
lateinamerikanische Lyrik spezialisierte Ableger wird von Geraldine
Guitérrez-Wienken verantwortet, die seit Jahren unermüdlich Schätze aus
Venezuela birgt. Sie tut dies selten allein, sondern versammelt immer wieder
hochkarätige Dichter:innen, die zu den Übersetzungen beitragen. Im Fall von
Cristina Gutiérrez Leals „Salzsäule“ übersetzte Guitérrez-Wienken gemeinsam mit
Carolin Callies. Beide wurden zusätzlich unterstützt von Léonce W. Lupette.
Gemeinsam haben die drei den Sprachschatz von der aus Venezuela stammenden und
zur Zeit als Dozentin in Brasilien lebenden Dichterin geborgen, die mit ihrem
2017 erschienenen Gedichtband „Estatua de Sal“ (Salzsäule) die 20.
Literaturbiennale in Venezuela gewann. Viel mehr habe ich über sie nicht
herausfinden können. Aber vielleicht ist das auch nicht unbedingt nötig. Reden
wir also über die Gedichte. Reden wir über Lots Frau. Über Gedichte, die einen
Weg zurücklegen, kraftvoll, und ohne Scheu, sich immer wieder der Vergangenheit
zuzuwenden.
Die
besondere Stärke dieser Gedichte besteht nicht zuletzt darin, dass sie sowohl
ganz persönlich als auch universell sind. Auf meine Nachfrage, wie die Gedichte
angesichts der Geschichte Venezuelas einzuordnen seien, ein Land von dem ich,
wie vermutlich viele Menschen hier in Deutschland, erschreckend wenig weiß,
antwortete mir Geraldine Guitérrez-Wienken: „Das Land, das uns alle verbindet,
ist das Gedicht.“
Gedichte,
die in diesem Fall, wie Guitérrez-Wienken bemerkt, eine Emanzipierung durch
Sprache bewirken. Die Religion spielt im katholischen Venezuela eine bedeutende
Rolle. Und dass das nicht unproblematisch ist, wissen Katholiken auf aller
Welt. Guitérrez Leal geht es darum, sich schreibend gegen die durch ihre
christliche Erziehung erfahrene Entmündigung zu behaupten, um ein Hinterfragen
der Strukturen, die seit jeher auf Wiederholung ausgelegt sind. D.h. sie tut
genau das, was Lots Frau verboten war; sie schaut zurück.
„Ich trage die Augen auf dem Rücken,
und schaue dem Ekel in die Augen.
Wie denn, Herr?
Wie kann man nicht zurückblicken?“
Auf
ihre Herkunft, die Mutter, das Haus. Ein fragmentiertes, aus pastellfarbenen
Puzzlestücken bestehendes Haus, eine Grafik von Alfonso Suárez-Kurz, ziert in
guter Hochroth-Tradition das Eingangsblatt des Gedichtbandes. Und weil die
Illustrationen in den Hochroth-Bänden nie beliebig sind, spielt das
Fragmentierte sowohl auf die Zerstörung der Stadt an, die Lots Frau (der nicht
einmal ein eigener Name zugestanden wurde) gesehen haben muss, bevor sie zur
Salzsäule erstarrte, als auch auf die vielen kleinen Puzzleteile aus der sich
so etwas wie ein Lebenslauf, eine Identität zusammensetzt.
„Ich bin in Stücken zur Welt gekommen“
Dichtung
ist für Gutiérrez Leal die Sprache der Mutter, das Haus, in dem sie
aufgewachsen ist, aber eben auch die Möglichkeit einer Auseinandersetzung mit
all dem. Und so geht dieser schmale Auswahlband, der in unterschiedlichen
Formen immer wieder das Motto des Zurückblickens aufnimmt, einer Bewegung vom
Alltäglichen, Profanen über das Heilige ins Offene nach. Und rekonstruiert
dabei die Geschichte einer Frau: ihres Körpers, ihres Lebens, die Erziehung und
der Entwicklungsstufen, die sie zu dem machten, was sie jetzt ist.
Der
Hochroth Band nimmt u.a. Gedichte aus den Zyklen „Haus“ und „Tempel“ auf. Dabei
taucht die titelgebende „Salzsäule“ als Strafe für Lots ungehorsame Frau auf,
als aus dem Haus ein Tempel wird. Dieser Tempel ist das Selbst. Hier geht es um
Geschlechterrollen, um das Frausein.
„Keine Frau erfindet sich ihre Sorgen
doch sie weiß, dass sie als Frau
wortwörtlich
der Unruhe gleicht.“
Häufig
sind Guitérrez Leals Gedichte, die außer den Kapitelüberschriften keine Titel
tragen, kleine Gedankensplitter, Bekenntnisse oder Thesen, die immer wieder
Tradition, Religion und Rollenzuschreibungen durchspielen, ohne jemals zu einer
Litanei zu werden.
„Wir wollten uns für alle Zeit
beschweren,
aber es gibt kein Klagelied, das uns
erlöst,“
Ihre
Verse sind vielmehr folgenschwere Schritte, die herausführen, aus dem Haus,
über den Tempel ins Offene.
Aber
auch das hat seinen Preis.
„lebe auf der Flucht vor diesem Ort,
der ich bin
aber die Entwurzelung heilt mich nicht
sie heilt mich nicht.“
Aber
aus der Entfernung gerät ein Ganzes in den Blick, bestehend aus fragmentierten
Teilen. Bestehend aus Poesie. Ein erster Schritt zur Heilung.
Vgl.
aus dem Buch: Cristina
Gutiérrez Leal: Ich weiß vom Meer, das gegen eine Mauer brandet