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Christian Steinbacher: Tief sind wir gestapelt

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Michael Braun

MASSLOSIGKEITEN  UNTERMINIEREN  GERNE


„Tief sind wir gestapelt“: Gedichte und Umschriften von Christian Steinbacher


„Die Poesie“, hat Joseph Brodsky einmal angemerkt, „ist eine Dame mit einem riesigen Stammbaum und jedes Wort ist von Anspielungen und Assoziationen praktisch überwuchert.“ Für die Dichter unserer Tage kommt es darauf an, die Herkunftsgeschichte der eigenen Wort- und Bildfindungen im Blick zu behalten und konstruktiv mit den von Brodsky benannten Überwucherungen umzugehen, respektive sie in autonome Sprachformen zu verwandeln. Der österreichische Dichter Christian Steinbacher ist ein solcher poetischer Konstruktivist und Verwandlungskünstler, der aus den Tonfällen, Bildprogrammen und metrischen Echos der lyrischen Vorfahren neue, sprachverrückte und sprach-verrückende Dichtkunst generiert. Sein umfangreicher Gedichtband mit dem sehr programmatischen Titel „Tief sind wir gestapelt“ zeigt einen Virtuosen der lyrischen Übermalung und Überschreibung am Werk, der mit den Beständen der lyrischen Tradition ein kühnes Recycling betreibt. Dominant ist bei Steinbacher ein Verfahren der Profanierung des hohen lyrischen Tons, verbunden mit Techniken des Pastiche, die das literarische Vorbild ironisch aushebeln. Die Verse Steinbachers sind, wenn man die Kategorien der klassischen Rhetorik anwendet, immer mehr dem genus humile, dem schlichten, profanen Sprachstil, als dem genus grande zugeneigt. Die Sprachkunst dieses Autors zielt primär auf die Entzauberung hoher Stillagen – durch ihre Konfrontation mit den uns umgebenden Alltags- und Werbesprachen. „Also neuer Einsatz bitte! / Schönheit! Grätsche!“: Dieser poetische Anfeuerungsruf an sich selbst, den Steinbacher auf dem Rückumschlag seines Bandes platziert hat, resümiert in knappster Form Steinbachers Schreibverfahren: Die Klangbilder poetischer Schönheit werden gewahrt und zugleich ironisch dekonstruiert.

Im Zentrum seines Bandes „Tief sind wir gestapelt“ stehen 24 Umschriften und Überschreibungen von Gedichten des Jesuiten, Rhetorikprofessors und Dichters Jacob Balde (1604-1668), die ursprünglich in barockem Latein verfasst und dann von dem Schweizer Barockforscher Max Wehrli (1909-1998) ins Deutsche übertragen wurden.
Als Textgrundlage seiner kühnen und wortabenteuerhungrigen „Gegen-Dichtungen“ nutzt Steinbacher nun die Balde-Übersetzungen Wehrlis. In seiner Balde-„Umschrift“ adaptiert er jeweils die metrische Struktur und die Strophenzahl des poetischen Originals, um dann in aber völlig freien Umgestaltungen das Gedicht in eine gänzlich andere semantische Richtung zu lenken. So realisiert Steinbacher sein Konzept radikaler poetischer Freiheit: Durch größtmögliche Entfernung seiner Gegen-Dichtung von der Textquelle bei gleichzeitiger Treue zur Metrik und Tonalität des Ursprungs-textes.

Die Titel seiner „Umschriften“ verstehen sich als „Paraphrasen“ von Baldes Oden, emanzipieren sich aber in Wahrheit vollständig von ihren Vorlagen. Bei Balde/Wehrli trägt zum Beispiel ein Gedicht den Titel „An den Römischen Reichsadler“, was bei Steinbacher zu „An die Grillwurst des Universums“ mutiert. Die Verklammerung der banalen „Grillwurst“ mit dem metaphysisch auszulotenden „Universum“ ist typisch für Steinbachers Konfrontationskunst. Der hohe Ton der Vorlage bleibt in seinen „Umschriften“ erhalten, da sie exakt den metrischen Strukturen der Originale folgen.

Wenn dann aber die rhythmische Bewegung der alkäischen oder asklepiadeischen Ode auf funktionale Fachsprachen trifft, entsteht eine ebenso originelle wie bizarre Komik. Als Beispiel soll hier der „Totentanz“ von Jacob Balde/Max Wehrli dienen, der in der Umschrift Steinbachers durch anagrammatische Umstellungen und Verschiebungen in einen äußerst profanen Kontext rückt. In Wehrlis Balde-Übersetzung werden einige Figuren der antiken Mythologie (Hesperus, Cynthia) aufgerufen: „Auf zum Tanze! Verschlingt schwesterlich Hand in Hand! / Schon ruft Hesperus uns, Schatten aus Dämmerung,/ Und durch Wolken herab sendet ein zitternd Licht/ Cynthia mit dem Silberhorn.“ In Steinbachers Umschrift wird der „Totentanz“ zum „Zotentänzchen“ und aus dem göttlichen Naturschauspiel, der Schatten- und Wolken-Bewegung ein Langstreckenflug mit Hilfe modernster Technik: „Sibyllinisch verengt schlüpft uns manch Gibraltar? / Flögst nach Panama weit, würd´s mehr ein Luftloch sein? / Dass verschaukeln nicht bloß mittags Sirenen uns? / Von Ballistik versteh ich nichts.“ Noch schroffer verläuft die Konfrontation extrem gegensätzlicher Tonlagen in der Umschrift zum Gedicht „Die Seele fordert die Nachtigall zum Singen auf“. Da setzt Steinbacher eine groteske Assonanz-Konstruktion im Titel dagegen:  „(Der Fettfleck fordert den Raben zum Baden auf)“. Diese Strategie der Kollision tonaler Gegensätze zieht sich nicht nur durch das Umschrift-Kapitel „Auf Schnitt und Tritt“, sondern durch alle acht Abteilungen des Bandes. Es sind sprachbesessene Ausschweifungen eines Dichters, der die Lyrik nicht nur als „hoffnungslos semantische Kunst“ (Eugenio Montale) betreibt, sondern im Sinne von Paul Wühr als Abrissarbeit an vermeintlich festen Sinnstrukturen, so dass alles, was gesagt und geschrieben wird, ins Wackeln kommt. Oder wie es Steinbacher selbst formuliert, in der ersten Strophe des Gedichts „Gesellt Beschattung sich zu Schwellenwerten“: „Egal wohin der Haken läuft. Maßlosigkeiten / unterminieren gerne (doch als Kür, nicht als / Verpflichtung, die ´nem Freigeist wüsst nicht viel zu bieten) / dass nicht nur Tiqui-taca spiel es, nein auch Schwung.“



Christian Steinbacher: Tief sind wir gestapelt. Gedichte. Wien (Czernin Verlag) 2014. 176 Seiten, 19,90 Euro.

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