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Charles Baudelaire: Brief an Arsène Houssaye

Werkstatt/Reihen > Reihen > Aloysius Bertrand
Jacques Callot:
Zwei tanzende Hosen, 1617
Charles Baudelaire
übersetzt von Werner Wanitschek

La Presse, 26 août 1862
Coupure de La Presse conservée par Baudelaire,
sans correction.

FÜR  ARSÈNE  HOUSSAYE

Mein lieber Freund, ich sende Ihnen ein kleines Werk, von dem man nicht sagen könnte, ohne Unrecht zu begehen, es habe weder Schwanz noch Kopf, denn alles, im Gegenteil, ist hier zugleich Kopf und Schwanz, wechselweise und wechselseitig. Bedenken Sie, ich bitte Sie, welche wunderbaren Bequemlichkeiten diese Verbindung uns allen bietet, Ihnen, mir und dem Leser. Wir können unterbrechen, wo wir wollen, ich meine Träumerei, Sie Ihr Manuskript, der Leser seine Lektüre; denn ich hänge nicht den widerspenstigen Willen von Jenem an den endlosen Faden einer überflüssigen Verwicklung. Nehmen Sie einen Wirbelknochen weg, und die beiden Stücke dieser gewundenen Phantasie verbinden sich ohne Mühe wieder. Zerhacken Sie sie in zahlreiche Fragmente, und Sie werden sehen, daß jedes für sich zu bestehen vermag. In der Hoffnung, daß einige dieser Stummel lebendig genug sein werden, um Ihnen zu gefallen und Sie zu unterhalten, wage ich, Ihnen die Schlange im Ganzen zu widmen*. Ich muß Ihnen ein kleines Geständnis machen. Es war beim Durchblättern, zum zwanzigsten Mal mindestens, des berühmten Gaspard de la Nuit, von Aloysius Bertrand (ein Buch, das Ihnen, mir und einigen unserer Freunde bekannt ist, hat es nicht jedes Recht, berühmt genannt zu werden?), daß mir der Gedanke kam, etwas Vergleichbares zu versuchen, und zur Beschreibung des modernen Lebens, oder vielmehr eines modernen und abstrakten Lebens, das Verfahren anzuwenden, das er für die Darstellung des früheren, so merkwürdig malerischen Lebens angewandt hatte.

Wer von uns hat nicht, in den Tagen seines Ehrgeizes, geträumt vom Wunder einer Prosa, dichterisch, musikalisch ohne Rhythmus und ohne Reim, schmiegsam genug und schroff genug, um sich den lyrischen Bewegungen der Seele, den Schlängelbewegungen der Träumerei, den plötzlichen Sprüngen des Bewußtseins anzupassen?

Es ist vor allem von dem Vertrautsein mit den gewaltigen Städten, es ist vom Überschneiden ihrer zahllosen Verbindungen, woher dieses nichtzuvertreibende Ideal stammt. Sie selbst, mein lieber Freund, haben Sie nicht versucht, in ein Lied den durchschneidenden Schrei des Glasers zu übersetzen, und in einer lyrischen Prosa all die entmutigenden Vorstellungen auszudrücken, die dieser Schrei bis an die Mansarden sendet, durch die höchsten Nebel der Straße hindurch?

Doch, um die Wahrheit zu sagen, ich fürchte, daß mein Neid mir kein Glück gebracht hat. Sobald ich die Arbeit begonnen hatte, wurde ich gewahr, daß ich nicht nur recht weit von meinem geheimnisvollen und glänzenden Vorbild zurückblieb, sondern gar, daß ich etwas (wenn dies etwas genannt werden kann) merkwürdig Verschiedenes machte, ein Vorfall, auf den jeder Andere bestimmt stolz wäre, doch der einen Geist, der es für die größte Ehre des Dichters ansieht, dies richtig auszuführen, was zu tun er geplant hat, nur beschämen muß.


Ihr ergebener,

C. B.


* [»j’ose vous dédier le serpent tout entier«]


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