Carl-Christian Elze: langsames ermatten im labyrinth
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Timo Brandt
Ach wär Venedig doch
ein Wunschkonzert, oder: „du betrittst ein gefängnis, das dich mit schönheit
empfängt“
„kinderschreiegepresst aus möwenköpfen .. als gäb es folterkammerndie im himmel stehn, in einem beckenvon unverschämtem blau.“
Im Jahr 2016 weilte der Autor Carl-Christian Elze eine Zeit
lang mit einem Bundesstipendium im Deutschen Studienzentrum Venedig. „langsames
ermatten im labyrinth“ ist eine Art Venedig-Erfahrungsbericht in Gedichten, unterteilt
in drei Capita/Kapitel + Pro- und Epilog.
Schon im Prolog wird Venedig mehr als Fata Morgana, als Inspirations-Irrtum,
denn als Ort der fruchtbaren Auseinandersetzung evoziert: nämlich als Hologramm
eines Käses, getränkt in Wasser und magisches Licht, an dem man nicht wirklich
nagen kann. Ein tiefer Zweifel nagt dafür schon zu Beginn an dem Projekt, ja,
der Prolog scheint sich sogar zu fragen, ob das Sujet nicht eine Falle ist, auf
die man sich nie hätte einlassen sollen, trotz der vermeintlich leichten
Ausbeute an Kunst, Architektur und Geschichte.
„schließ deine augen und hör die symphonie eines pontonshalt die augen geschlossen bis sein stöhnen und quietschenvom meer angetriebengeschwisterlich neben beethoven töntin einer gasse in dorsoduro fragt ein flüchtling nach brot[…]drei jachten, drei stockwerke hoch mit verdunkelten scheibenunverschämt schaukelnd an einer kaimauer bei giardinijetzt tritt zu ihnen hin und beginne zu zürnenso wie früher, beginne zu tobenso wie früher, lass dich verprügelnvon deinem verhaltensgestörten herzen“
Der skeptische Dichterzahn scheint Recht zu behalten: er
kriegt die Stadt nicht richtig zu fassen und das Verhältnis zwischen Autor und
Metropole gestaltet sich reichlich disharmonisch. Das liegt allerdings nicht
nur an den allgegenwärtigen Verwerfungen, die auch in Venedig – nicht nur
ehrwürdige Kulturmetropole, sondern auch moderne Großstadt – unumgänglich sind,
seien es nun Globalisierung, Flüchtlingskrise oder die auseinander-klaffende
Schere zwischen Armen und Reichen, Lärm und Schmutz.
Hinzukommt noch, dass das lyrische Ich in Elzes Texten immer
wieder mit Überreizung und fehlenden Anknüpfungspunkten konfrontiert wird. Auch
als sich im zweiten Caput ein Dialog mit den Gemälden Tintorettos entspinnt,
hatte ich als Leser meist eher nicht das Gefühl, einem fließenden Austausch,
vielmehr einem vorsichtigen Abtasten, einem zögerlichen Kennenlernen
beizuwohnen.
„warum sitzt du nicht stillendlich still in deinem käfig aus luft wie alle anderen tiereund lässt dich betrachten, von oben betrachtenvon deinem einzigen sammler“
Es spricht sehr für Elzes dichteres Können, dass es ihm
dennoch gelingt, die Atmosphäre der Stadt und die Umstände, die ihm den Kontakt
mit selbiger erschweren und/oder in ihr auftreten, greifbar zu machen. Denn diese
Gedichte sind ja mitnichten schlecht, sie sind aber oft ziellose Havarien und in
ihnen liegt, bei aller poetischen Inbesitznahme, eine große Verlorenheit, eine
große Ferne zu allem Beschriebenen.
Mehrmals habe ich während der Lektüre von Elzes Band zu
Joseph Brodskys „Ufer der Verlorenen“ gegriffen – zum einen, um die Bilder von
(und Ideen zu) Venedig miteinander zu vergleichen, zum anderen, weil ich
hoffte, über diesen Umweg einen Zugang zu Brodskys so oft gerühmten Band zu
finden, den ich (obgleich ich alle anderen Bücher von Brodsky sehr schätze und
liebe) bis heute nach wenigen Seiten immer weggelegt habe.
Der Vergleich erwies sich durchaus als spannend, denn so
sehr wie Brodsky in Venedig die Verkörperung der Kunststadt und seiner
Sehnsüchte sah, so sehr erlebt Elze die Stadt anscheinend als Entkörperung, als
unüberwindlichen Widerspruch, als haltloses Ideal. Die Stadt ist bei ihm eine
Starre, ein Gefängnis für den Dichter, der sich mit der Welt beschäftigten
will, aber nur auf die sakralen Aufbauten und festen Auffassungen von Schönheit
trifft.
„jeden morgen und jeden abend sitze ich auf einer roten bankund lade mein blut auf mit den sprüngen der hundevon campo san paolo. sie fliegen mit glänzenden augenund pulsierenden zungen über ein steinmeer mit achtgrünen mastbäumen und verrottenden tauben.[…]sobald sie abgeführt werden, in die umstehenden häuserlauf ich zurück zum palazzo, der mir nichts bedeutetder mich nicht wärmt, der mir seine größe aufdrängtwie ein impotenter herrscher und verliere den faden.“
Ins Zentrum des Phänomens „Venedig“, das Brodsky so
beharrlich freizulegen versuchte, dringt auch Elze nicht vor. Dafür bietet sein
Buch eine offene Stadt- und Seelenstudie, die es mitunter in sich hat; ganz
gleich, ob die Seele in einem Gedicht nach außen oder nach innen schaut. Dass
der Austragungsort Venedig ist, nimmt sich dabei manchmal fast ein bisschen
beliebig aus.
Kot, Verwesung, Untergang und Tod, als Motive und Kulisse,
würde man sicher auch an anderen Orten finden. Bezeichnend und fruchtbar ist
jedoch wiederum, dass sie in Venedig direkt im Schatten der Pracht zu finden
sind, durchweht von einem großen Nimbus, der nicht so recht zündet. Das
lyrische Ich wähnt sich in der Mitte eines großen Kosmos und schaut doch nur
auf die Randbezirke, die Statisten und Abfallprodukte des Daseins.
Allein aus dieser Ambivalenz ließe sich so manche größere
Metapher basteln, so manche poetische Dimension schlummert in diesem
Nebeneinander. Elzes Gedichte begegnen Venedig auf der Höhe des einfachen
Blicks, schleppen aber viel an Erwartungen und Fragen mit sich herum, die sich
auf dieser Höhe nicht anbringen lassen, aber dennoch ins Gedicht einfließen. In
diesem Konflikt manifestiert sich hier und da immer wieder eine beeindruckende
Klarheit.
„niemand ist rettbarin diesem gebildeweder dogen noch päpsteweder du noch dein kindalles schwindetin einem anfall von schönheitnichts und alles gelingt“
P.S.: Das Buch ist eine zweisprachige Edition und ist
komplett ins Italienische übersetzt von Daniele Vecchiato. Die Grafischen
Arbeiten von Lilli Gärtner, die den Band zwischen den Capita begleiten, sind zwar
schrullig-schön, passen aber trotz der Hunde nicht so ganz zum Ton, zu
Atmosphären & Motiven in Elzes Texten.
Carl-Christian Elze: langsames ermatten im labyrinth. Berlin
(Verlagshaus Berlin – Edition Panopticon) 2018. 160 Seiten. 24,90 Euro.