Bastard Echo
»Wir treiben Rum / Durch die Sprachplätze«
Reziprozität zwischen Mund und Ohr
Ungewöhnlich nah scheint man einem Lyriker dann zu kommen, wenn er die Worte dahin zurückträgt, wo sie entstanden sind. Am Gründonnerstag, den 17. April feierte der Final Destination Club Frankfurt einen, man möchte sagen, seinen Lyriker Martin Piekar, der seit Jahren in diesem Szeneclub ein und aus geht.
So verglich der Autor zu Anfang die Lyrik- mit der Gothicszene, indem er das Familiäre und »Inzestuöse« nicht ohne Ironie herausstellte und erzeugte im Laufe des Abends eine einzigartige familiäre Atmosphäre, bei der Publikum, Ort und Wort stärker als bei anderen Lesungen kulminierten.
Um Mischungen und Destillationen drehte es sich auch bei dem Zyklus »Flirten on the Rocks«, der in seinem Debutband »Bastard Echo«, erschienen im März im Verlagshaus J. Frank, eine zentrale Stellung einnimmt. Diese Gedichte sind offiziell im Band auch in diesem Club verortet. In Anlehnung an Charles Bukowski trug Piekar die Essenz eines Cocktails ins Publikum:
»Der Minze leg ich mich
Dir auf die Lippen. wie Strohhalme
Greifen unsere Zungen und
Wir treiben Rum
Durch die Sprachplätze. Zwischen deinem
Mund, meinem Ohr, deinem Ohr
Meinem Mund.«
Die Reziprozität zwischen Mund und Ohr, das Akustische und die Vermittlung erhält in den kraftvollen Gedichten Piekars einen hohen Stellenwert. Das Warten und Erwarten von Resonanz, die Reflexion über das Sagbare und die Wirkung von Sprache durchziehen das Werk auf unterschiedlichen Ebenen. So heißt es im zweiten Gedicht des Zyklus »Bedürfnis nach Dir und Kirschblüte«:
»[…] Unsere zwei
Ungeständlichen Herzen
Deklinieren sich neu
In den altbekannten Fall
Des Wunsches. In
Die Tiefe des Grases. In Hoffnung
Auf Echo.«
So sanft die Gedichte in ihrer Bildsprache sind, so kraftvoll und direkt sind sie an anderer Stelle.
Der Zyklus »Bastard«, erklärt der Lyriker selbst, sei der persönlichste Zyklus seines Werks. Dort heißt es im ersten Vers: »Ich fühle mich so Bastard, wenn ich schreibe«.
Hier lässt sich der Titel des Bandes verstehen, in dieser Spannung zwischen Schreiben und Hoffen bewegen sich die Gedichte Piekars im Zwielicht der Sprache, aber immer ihrer dunklen Seite zu:
»Ich sehe dir zu
klecksographisch bist du
die Asymmetrie in der Dunkelheit.
Schwarz auf Schwarz, aber zu sehen.« [Wie Nacht rorschacht]
Immer wieder tritt der lokale Bezug, die Verortung wie ein Anker des Gesagten auf. In den Auszügen aus dem Zyklus »Hauptsache Bahnhof« wird der Knotenpunkt des Verkehrs zum Vehikel des Wartens und Suchens. So heißt es schon zu Beginn des Gedichts »Hauptbahnhof – Frankfurt am Main« prägnant:
»Unsere Atementgleisung. fette Sprachen,
Die sich über mein Ohr legen. – Durchsagen
Versagen wie Wasser. – Lass es.
Wir schauen gerne hoch. an den Streben
Erkennt man Verzweigungen. und
Vergleisungen. Verzweiflungen«
Aus dem lyrischen Ich wird an späterer Stelle im Gedicht ein „wir“, sodass das anonyme, einsame Kollektiv am Bahnhof wie die Leser mit einer direkten Frage konfrontiert wird, mit der Frage nach dem Bezug:
»− wie willst du ihn halten? –
Für die Nestgefühle; die restlichen –.
Wir schließen unsere Hände, halten sie
Um die Taille des Stundenglases.
Halten ein Korsett. bis wir merken:
Zeit kann überlaufen.«
Einer der Höhepunkte des Abends markierte das Zusammenspiel von Musik und Sprache durch ein Gedicht, das als Minnelied angekündigt wurde. Das Gedicht »Frozen Minne Margarita« thematisiert die Desillusionierung der Minne, der mittelalterlichen Werbung um eine unerreichbare Frau. Hier geht es im Gegenteil um die Einsamkeit in verloren gegangener Distanz. Wieder scheint das Lyrische Ich mit seinen Worten keine Resonanz beim Gegenüber zu finden:
»Dir wohnt kein ungefickter Geist mehr inne.
Als Gegensang betreiben wir die Minne«
Als Anklang an das berühmte Gedicht Hesses, „Stufen“,¹ erscheint hier die Begegnung als Entzauberung im Brennglas des Verlusts von Unschuld. Ehrlich und ohne Kitsch wird im Gedicht klar, wie virtuos und schonungslos Piekar an dieser Stelle die Worte hinwirft und auf ein Echo wartet. Als Kontrapunkt oder „Gegensang“ wirkten dazu die in der Szene unverkennbar bekannten Zitate des Gitarristen Jan Bennecker. So erklang beispielsweise die Melodie der Vertonung des Gedichts „Der Erdbeermund“² der Band Subway to Sally sowie „Willst du“ von Schandmaul³; was zu einer gegenwendigen Collage kulminierte.
»wie wir jedes Jahr aufs Neue
In Jahreszeiten stagnieren
Hören das Gras ein Aerophon spielen
Im Moll des Frühlings wachsen wir
Lippenblütig und nackenverzahnt
Love is always over in the morning«
Katharina Kohm
¹ „Denn jedem Anfang wohnt ein Zauber inne / der uns beschützt und der uns hilft zu leben“ Hermann Hesse: Stufen.
² In dem Gedicht heißt es: »Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund. Ich schrie mir schon die Lungen wund / nach deinem weißen Leib, du Weib.«
³ Das Lied thematisiert einen Heiratsantrag.