Barbara Zeizinger: Blick zurück aus dem Exil
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Barbara Zeizinger
Traian Pop Traian &
Liviu Tulbure: Bleierne Flügel, Gedichte
und Bilder. Übersetzungen aus dem Rumänischen von Johann Lippet, Edith
Konradt, Horst Fassel, Gerhard Csejka. Ludwigsburg (Edition Monrepos) 2017. 86
Seiten. 16,90 Euro.
Blick zurück aus dem
Exil
Der
Dichter Traian Pop Traian und der Fotograf Liviu Tulbure nehmen uns in dem Lyrikband
Bleierne Flügel mit in das Rumänien der Umbruchzeit.
Das
Cover des Bandes zeigt angebrannte Bücher von Nicolae Ceaușescu, herausgerissene,
an den Rändern verkohlte Blätter. Damit sind wir im Jahr 1989, in dem auch in
Rumänien die Menschen gegen das Regime auf die Straße gingen und das sicherlich
auch für den Autor eine prägende Zeit war. Galt der damals in Temeswar
(Timișoara) lebende Autor in den 80iger Jahren doch als Rebell, der wegen der
Zensur einiges nicht veröffentlichen konnte und dessen Theaterstück Minciunica
(die kleine Lügnerin) in der Stadt der Lügenzwerge in der Dramatisierung
für das Puppentheater Temeswar nach zehn Vorstellungen verboten worden war.
1990
hat Traian Pop Traian mit seiner Frau Rumänien verlassen. Seitdem lebt er in
Ludwigsburg, wo auch der Sitz seines Verlages ist. Doch alles, was er in seiner
Heimat erlebt hat, ist mit ihm in die Bundesrepublik eingereist und findet sich
in seinen Gedichten wieder. Alles, was wir aufnehmen sei in uns, sagt man, und
so handeln mehrere Gedichte, obwohl sie, bis auf ein in Temeswar geschriebenes
aus dem Jahr 1976, alle zwischen 1996 und 1998 verfasst worden sind, von
Rumänien, der Unterdrückung, dem Aufstand und vor allem davon, welche Folgen
die Geschichte für die Menschen und für den Autor selbst haben.
Der
Rückblick setzt gleich mit dem ersten Gedicht (Expedition) ein: „es
kommen die Winterfeiertage / jetzt nimmt der Schmerz zu beginnt
es, die Genossin Lebensgefährtin / weint sich an deiner Schulter aus,
sie sehnt sich / nach den Jahren von damals mit deinen Besäufnissen / mit all
den Frustrationen / Abstürzen Eskapaden / Anticeaușeskiaden und allem anderen
was noch dazu gehört haben mag // damals / spürtest du wirklich was es heißt
Angst zu haben.
Diese
Angst wird in dem Gedicht La vie devant soi aufgegriffen. Es beginnt
damit, dass ein Herr ohne Namen (der also für viele steht) durch sein leicht
balkanisch klingendes Deutsch seine Herkunft verrät. Die Leute lästern über
ihn, weil er zu viel Rotwein trinkt und Knoblauch isst, die nackte Wahrheit
kennt aber niemand. Denn als ihn am Strand ein Jogger grüßt bloß an den
Lippen ablesbar mit demselben aufgesetzten Lächeln / hätte er schwören können –
wie ein Kerl in Zivil / damals im Dezember*. Interessant an diesen Zeilen
ist das Sternchen über Dezember, denn in einer Fußnote wird erklärt, dass es
sich natürlich um den Dezember ´89 in Rumänien handeln würde. Es sind
diese Winterfeiertage aus dem ersten Gedicht. Gemeint sind zum einen der Beginn
des Aufstandes in Temeswar am 17. Dezember sowie der Aufstand in Bukarest am
21. Dezember, der mit der Hinrichtung von Ceaușescu und seiner Frau endete.
Es
gibt noch mehrere Gedichte, die uns über das Rumänien der Diktatur erzählen.
Beispielsweise das Schicksal einer alten Frau, die durch Nationalisierung,
Kollektivierung, Zwangsarbeit usw. alles verloren hat (Sportliches Leben);
oder das ironisch-komisch geschriebene Gedicht Ragout á la Bărăgan
über eine verbotene Schlachtung, wobei es auch hier wieder einen ernsten
Hintergrund gibt, nämlich die 1951 erfolgte Deportation von ca. 40 000
Menschen, darunter ein Viertel Rumäniendeutsche, in die Bărăgan-Steppe.
Es
ließen sich noch viele weitere Gedichte anführen. Sehr schön und poetisch ist
das Titelgedicht Der bleierne Flügel. Erinnerungen an den Vater,
an die Auseinandersetzungen mit ihm wegen der langen Haare, den
unterschiedlichen Lebensentwürfen: ist dieser bleierne Flügel alles / was
von der Sehnsucht bleibt / die sich aufgemacht hat ein bisschen frische Luft /
zu schnappen, aber letztlich bleibt die Erkenntnis, der Vater habe sich in
ihm selbst versteckt.
Wir
sind frei ist
eine Hommage an die Dichterkollegen in Temeswar, und vor mir entsteht ein Bild
hauptsächlich junger Menschen, die sich von den Umständen nicht klein kriegen
lassen: wir sind frei / wir sind frei
tönten wir -jaja.
Zum
Schluss sei noch das in dem Band letzte Gedicht angeführt, in dem das lyrische
Ich, hier allerdings in der dritten Person, sein Ankommen in Westdeutschland
ironisch beurteilt. Schon der Titel La civilisation et moi deutet darauf
hin. Ein Bier zu den Tagesthemen, ein Computer, eine gute Musikanlage im Auto
usw. ansonsten / macht das Leben Spaß das neue / Jahr hat er mit einem
Zwanzigmarkschein in der Rechten / angepackt / in der Linken ein Glas
russischen Champagner sehn wir mal / was das bringt denn anderes / hatten wir
mehr als genug.
Traian
Pop Traians Gedichte sind prosaisch und gleichzeitig lyrisch. Zwischen den
erzählenden Stellen blitzen immer wieder beeindruckende Bilder auf, wenn
beispielsweise der Vater auf seiner verschwitzten Hand das Funkeln von
Sternenstaub sieht oder der Kommunismus das Weite suchte, ohne seine
Versprechen einzulösen. Mit raffinierten Zeilensprüngen gelingt ihm oft eine
Mehrdeutigkeit, die seiner Ansicht über die Uneindeutigkeit der Welt
entspricht. Er, der Dramatiker, arbeitet oft mit wörtlicher Rede, führt mit
sich selbst Zwiegespräche und durch Klammern fügt er den eigentlichen Aussagen
manchmal noch eine erklärende oder zweifelnde Stimme aus dem Off hinzu.
Die
Texte stehen im Dialog mit den beeindruckenden Bildern von Liviu Tulbure. Sie
stammen alle aus den Jahren 1989/ 1990 und zeigen neben König Michael I. den
Autor Josif Costinaş, zusammen mit der Dichterin Ana
Blandiana, sowie den Dichter und Revolutionär Ioan Monoran, beide wie sie zu
Menschen sprechen. Fotos von Demonstranten, von einer Versammlung auf dem
Temeswarer Opernplatz, Fackelzüge und die Flagge mit einem Loch in der Mitte,
aus der das kommunistische Emblem herausgeschnitten wurde. Und dann gibt es
noch ein Foto mit ausgegrabenen, unbekannten Leichen. Spätestens hier wird
deutlich, dass die vor vielen Jahren entstandenen Texte und Fotos sehr aktuell
und uns recht nahe sind.