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Barbara Maria Kloos: Amorette am Schleifstein

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Timo Brandt

Barbara Maria Kloos: Amorette am Schleifstein. Liebesgedichte 1980 – 2020. Niederstetten (Edition Hammer + Veilchen – Günther Emig) 2020. 146 Seiten. 12,00 Euro.

Die Lust zur Sache, zur Sache die Lust


„Der Himmel stampft als Elefant vorbei.
Drei blonde Blitze auf der Buckelstirn.
Mein läufiges Herz läuft aus für zwei.
Spann an! Ich kriech auf allen Viern.

Durch Fenster stößt die Sturmtrompete
uns in den jämmerlichen März zurück
Du meinst, wir feiern unsre Abschiedsfete.
Ich beiß mich fest an deinem besten Stück.

Der Himmel wackelt mit den grauen Ohren.
Bewacht den Zoo, das Abstellgleis für zwei
zahme Tiere, angeschossen und verloren.
Der Schmerz im Bauch. Die Lust. Der Schrei.“                

„Es ist reizvoll das Getaumel und Gestammel der hohen oder niederen Minne, den Odem der Intimität, literarisch zu bannen“, schreibt Barbara Maria Kloos in ihrem quirlig-angriffslustigen Nachwort zu dieser Ausgabe, einem Best of ihrer (Liebes-)Gedichte aus den Jahren 1980-2020. In diesem Satz ist ziemlich viel von dem enthalten, was Kloos' Liebesdichtung, die häufig auch eine erotische Dichtung ist, ausmacht.

Diese Dichtung hat etwas Frontales, explizit Körperliches (Getaumel und Gestammel) und doch nicht selten hohe formale (Minne) und sprachliche (Odem) Ansprüche. Des Weiteren ist meist Ironie, Schalk, Witz, eine subtile bis rasante Komik mit im Spiel, ein Augenzwinkern, das sich manches Mal aber auch als Wegblinzeln einer Träne, als schmerzliches Zusammenziehen des Augenmuskels herausstellt.

Schritt offen, Fummelloch, erst teilen, dann
heilen, aus Dreck mach ich Dichtung, die Fallen
der Venus im Großstadtrevier, gezügelte Geilheit,
Grammatik mit Eingriff, mein dominantes Sprachgeschirr
[…]
schweißnaß, es muss wirklich weh tun,
sonst macht’s keinen Spaß: Und was trägst du drunter,
Süße? Ich, nur ein paar Federn und ein Glöckchen ums Herz.

Verhandelt wird so ziemlich alles, vom Pärchenglück bis zum One-Night-Stand, selige, feurige, peinliche, unausgeglichene Situationen, jugendlich anmutendes Schwärmen und Liebe als Herausforderung im Alter. Fast allen Gedichten gemein ist der gleichsam tänzelnde wie kämpferische Ton, eine Stimmung, in der Eros und Amors Einflüsterungen stets als Rüstzeug (wenn auch manchmal als scheiterndes, unzureichendes) gegen das Unglück, als Ringen mit der Gestalt eines Glücks, verstanden werden.

„Wir kennen uns tage- und nächtelang,
lassen unsere Geschichten gegenseitig
den Rücken runterlaufen,
werfen surrende Angeln in die Zukunft.“

„Es war einmal
da flogen Glocken wie Sommerröcke
durch die Luft da turtelten wir
zwei gebratene Tauben da schlug
uns die Sonne ihr spanisches Rad“

Über den Band bemerkt man eine deutliche Entwicklung hin zu immer ambitionierteren Gedicht-Gebilden (wer nur Kloos' letzten Einzelband „Fossile Infanten“ gelesen hat, wird sie nicht anders kennen). Der inhaltliche Übermut, der schon die ersten Gedichte auszeichnet, wird auch in der Form immer präsenter, was manche Texte etwas ausufern lässt, aber eben auch gut die Lust und Launenhaftigkeit wiederspiegeln, die nicht nur den Inhalt ausmachen, sondern auch die Machart.

Anders gesagt: Die Leidenschaft ist nicht nur das Thema der Gedichte, sondern ihre Gestalt. Sie zeichnen sich nicht nur durch Beschreibungen der Lust, sondern vor allem durch die Lust an der Beschreibung aus. Kloos hat ein gutes Gespür für Wortgewalt (aber auch für die Gewalt in den Wörtern) und beschreibt mitunter virtuos den Punkt „wo die kunst zu phantasieren /in zwei nackte körper übergeht“.

In manchen ihrer Gedichte geht es zur Sache, aber es gibt auch Gedichte, da weiß man nicht ganz, was Sache ist. Aber das ist ja ein feature, kein Fehler. Wie sagte Susan Sontag vor mehr als 50 Jahren: Wir brauchen keine Hermeneutik der Kunst, wir brauche eine Erotik der Kunst. Oder wie Barbara Maria Kloos in ihrem Nachwort zusammenfasst:

„wer keinen Spaß am Geheimnis hat, am Sprung ins Ungewisse, ist für die Liebe wie für die Lyrik verloren. Er mag sich im Cyber-Puff der Algorithmen verlustigen.“


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