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Armin Steigenberger: rohherz und antikkörper

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Andreas Hutt

Armin Steigenberger: rohherz und antikkörper. Dortmund (edition offenes feld) 2023. ISBN 978-374-1272004. 170 Seiten. Preis: 22,00 Euro.

Am offenen Herzen
Armin Steigenbergers Gedichtband „rohherz und antikkörper“


„rohherz und antikkörper“ nennt Armin Steigenberger seinen neuen in der edition offenes feld erschienenen Gedichtband. Das „rohherz“ könnte dabei für ein rohes Herz, also ein schutzloses Herz stehen, eines, das dem Thorax entkleidet von allen Seiten offen angreifbar ist. Somit spielen die Texte Steigenbergers darauf an, wie verletzlich ein Mensch ist, wie angreifbar. Der „antikkörper“ ist als Neologismus doppeldeutig. Zum einen würde er als Antikörper das repräsentieren, was einen Menschen immun macht gegen die Anfeindungen der Welt, was ihn kräftigt. So gesehen spiegelt der Titel des Bandes eine Ambivalenz wider. Zum anderen könnte das Antike darauf verweisen, dass unser Körper mit den Erfordernissen der Leistungsgesellschaft nicht mehr Schritt halten kann, dass er zu alt für deren Anforderungen ist.
        Diesen Denkansätzen bleibt der Autor treu und illustriert sie mit zwei Untertiteln. Zum einen charakterisiert der Schriftsteller seine Gedichte als „reprisen zur zerschönerung der welt.“ Die Reprisen sind Rückgriffe, also Zitate, aus Steigenbergers letztem Gedichtband „das ist der abgesägte lauf der welt.“ Die Rückgriffe werden, in ein Gedicht verpackt, jeweils einem Kapitel vorangestellt und dienen als eine Art Überschrift. Sie sollen laut Steigenberger also zur Zerschönerung der Welt beitragen. Dieser Neologismus setzt sich aus den Nomen Zerstörung und Verschönerung zusammen und greift auf den Gedanken zurück, dass ein Neuanfang, ein Neuaufbau nur möglich ist, wenn ihm ein Akt der Zerstörung des Alten vorangeht. „Gedichte und Wortschöpfungsketten“ solle der Band laut einem zweiten Zusatz zum Titel enthalten. Die Beantwortung der Frage, was eine „Wortschöpfungskette“ von einem Gedicht unterscheidet, bleibt der Autor dem Leser schuldig, muss im Laufe der Rezeption geklärt werden. Die „zerschönerung“ und der „antikkörper“ lassen grüßen.

Wer die Texte Armin Steigenbergers aus dessen letztem Band „das ist der abgesägte lauf der welt“ kennt, die mittels Neologismen und Sprachspielen wortgewaltig die Ausdrucks-möglichkeiten von Sprache erweitern, wird überrascht sein, dass sich in „rohherz und antikkörper“ an etablierte Schreibweisen anknüpfende Reise- und Landschaftsgedichte finden, auch wenn ihr Ton schnodderiger ist als der in thematisch ähnlich gelagerten Texten anderer Schriftstellerinnen und Schriftsteller.
      Folgerichtig reicht die thematische Bandbreite in Steigenbergers Gedichten von Meer- und Himmelsbeschrei-bungen, Landschaften bis hin zu Selbstbildnissen bzw. Selbst-zuschreibungen, in dem z.B. im achten Kapitel jedes Gedicht mit dem Personalpronomen „mein“ beginnt und etwas thema-tisiert, das zum lyrischen Ich gehört, z.B. „meine Hausaufgaben/ meine Hypothek/ mein Brett.“ Der genannte Gegenstand wird dabei lyrisch-metaphorisch charakterisiert und gibt so Auskunft über das lyrische Ich.

MEINE HAUSAUFGABEN

Immer einen Revolver im Anschlag: Gemachte Männer, so oder so,
und ein Gesichtsausdruck mit Armen und Beinen.
Wir nennen es auch die Weltanschauung des Auseinanderfallens.
Sie wird bis aufs I-Tüpfelchen durchdekliniert, nachmittags, abends, nachts
etwas kümmerlicher. Dergestalt in die Ziellosigkeit der Grundverhaltensweisen eintauchen.
Das Gleichnis der Sachlichkeit und des Gehorsams
und die Blutrache schneller Begriffe: vulgärer Move.      

Jede Urkunde hat ihren schwarzen Tag. Der Krawattenknoten ist ein zu bindender,
die zugespitzte Welt ist eine de facto nicht mehr beherrschbare. Virtuos ungereimt rattert
sie streng nach Ökonomie. Das alles haben wir nicht in der Schule gelernt. Zum Beispiel
wie man stundenweise mit dem Kopf schüttelt, wie man tagaus tagein Ohnmacht empfindet
und wie wir uns immer anstiften lassen zum Unglück.   
     
Diese Texte beinhalten eine Reihe von Elementen, die für das Schreiben Steigenbergers typisch sind: Sein Ton ist nicht getragen pathetisch, sondern umgangssprachlich („Gesichtsausdruck mit Armen und Beinen“). Der Dichter arbeitet mit alltäglichem Wortmaterial („Ökonomie/ de facto“), das mitunter kaum klassisches poetisches Potential aufweist. Er reiht seine Wörter assoziativ aneinander, ohne sich um klar nachvollziehbare Inhalte zu scheren. Auf diese Weise entstehen wortgewaltige Zuschreibungen, die vielfältig offen interpretierbar sind.
         Einer der Höhepunkte des Bandes ist sicher der Zyklus „Weltenbrand 3a“, der zurecht beim Feldkircher Lyrikpreis ausgezeichnet worden ist. Hier nimmt Steigenberger am deutlichsten Bezug auf seinen letzten Band „das ist der abgesägte lauf der welt“, indem er seine assoziativen Gedankenkaskaden mit zahlreichen Neologismen anreichert, so dass tatsächlich „Wort-schöpfungsketten“ entstehen. Thematisch klingt in diesem Zyklus eine Endzeitbeschreibung der Gesellschaft und der in ihr deformierten Menschheit an, die neoexpressionistisch dargestellt wird, oder wie Steigenberger es in der Reprise zu Kapitelbeginn nennt: es oxidiert das menschen-trumm.  

I Hope that when the world come to an end, I can breathe
a sigh of relief, because there will be so much to look forward to.
Donnie Darko

2.  WHEN TURNING THE CRANK IN CLOCKWISE DIRECTION

Zeitgleich gab es eine Schalte zu den Leidwölfen und ihren geschmerzten
LIppenblütlerinnenliedern: Die besangen ungebremst ihre frivolen Sommernachts-
Gemütstiefen von der idealen Reiseflughöhe. Gaben ihren Klick- und Kipplauten
die nötige Form im Ausdruck. Das Motto lautete: Ohtöne, rhapsodisch, vorgetragen
mit unterkühlter Stimme und Brandrodungsblick.
          
Kurz hinterm Windpark sägten einige Liebhaber in Countrycordhosen
an der implodierenden Gesellschaft. Ein paar Sprizzmenschen jubelten
gegen den Strom, veratmeten poetische Kalauer und begingen linke Streifzüge
durch ein deutsches Brustorgan. []  
       


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