Direkt zum Seiteninhalt

Ann Cotten: Hauptwerk. Softsoftporn

Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen



Jan Kuhlbrodt

Zu Ann Cotten:  Hauptwerk. Softsoftporn



Ein schmales Bändchen, dass sich im Titel Hauptwerk nennt und im Untertitel Softsoftporn will von vornherein ironisch/parodistisch aufgefasst sein. Nun ist das mit der Parodie aber nicht nur Spaß. Wir befinden uns nicht im literarischen Kabarett oder gar auf einer deutschen Comedybühne. Parodie im literarischen Sinne ist nach den Russischen Formalisten z.B. ein Weg, die tradierte Form zu überwinden.

Hier ist schon der Hauptunterschied zur Comedy, die Comedy überwindet nichts, sondern bringt immer nur sich selbst hervor, nicht im Sinne der Komödie wird in der Comedy gelacht.

Schließlich erweist sich die Verbindung von Literaturgeschichte und lebendiger Gegenwartsliteratur – eine für die Wissenschaft vorteilhafte und notwendige Verbindung – nicht immer als notwendig und vorteilhaft für die sich entwickelnde Literatur, … das schreibt Jurij Tynjanow in seinem Aufsatz Über die literarische Evolution.


Ganz anders bei Ann Cotten, deren Texte in einem komödiantischen Sinn existenziell sind.

Und womit kommst du, über die Wellen hüpfend,
die Fische verlachend, endgültig davon? Mit Entsetzen.


Jedoch ist Vorsicht geboten. Cottens lyrisches Ich ist Maske – und trägt Maske. Kein Text steht für das Gesamte.

Den im Verlag Peter Engstler erschienenen Texten von Cotten sind Zeichnungen Mareile Felliens zur Seite gestellt. Diese Technik, also die der Zeichnung, ist eine der privilegierten Techniken der Buchillustration, das mag an ihrer eingeschränkten Farbigkeit liegen, die letztlich die Fläche zu Gunsten der Linie in den Hintergrund stellt. Schatten sind Schatten des Strichs, der Umriss tritt ins Zentrum. Und vielleicht machen sie so auch der Beziehung zum Text Raum, wenn das Figürliche Silhouette wird und dem Gedanken Platz einräumt. Die gelungene Zeichnung kann aber nicht nur Dienerin des Textes sein, sie bleibt autonom, wie die Arbeiten Felliens eben ihre Eigenständigkeit bewahren.

Was in den Zeichnungen Felliens passiert, und das haben sie mit Cottens Texten gemein, ist eine Enthistorisierung der Form. Sie wird dem Ursprung enthoben und auf die gegenwärtige Aussage gebracht. Ihr Antikezitat bereits auf dem ersten Bild ist ja schon das Zitat eines Zitats, bekommt aber hier die Form einer Erzählung in einem Raum, in dem nichts neu sein kann, außer die Souveränität, mit der man die Überlieferung zu beherrschen sucht.
Und gerade an den Zeichnungen wird sichtbar, dass Überlieferung weit mehr ist als Antike und Märchen, sondern eben auch Rolle und Rollenverhalten, soziale Funktion.
Wie die Zeichnerin überlieferte Formen auf ihre Brauchbarkeit abklopft oder auch travestiert, tut das Cotten mit literarischen Formen. Und sie macht es gründlich, ist sich für Silbenzählerei nicht zu schade.

Auf Seite 58 des Buches treffen sich Zeichnung und Text auf einem einzigen Blatt. Das kann man als didaktisches Zeichen interpretieren. Als Zeichen der Vorgehensweise beider Künstlerinnen, Didaktisch in dem Sinne, dass sich in ihren Arbeiten so etwas, wie ein objektiver Gehalt der Form offenbart. Und sichtbar wird hier aber auch die Möglichkeit, eigentlich die Notwendigkeit zur Parodie.

Der Text auf dieser Seite ist ein Tagebuchtext und naturgemäß trägt er das Datum als Überschrift. Der Text beginnt mit einer Art wirren, leicht betrunkenen Einleitung, den Klang imitierend, wie ihn eine schwere Zunge hervorbringt, bevor er immer klarer wird und zu sich findet, als gewönne das betrunkene Subjekt schreibend die Herrschaft über sich selbst und die Sprache zurück. Oder besser: indem es dem Subjekt gelingt, sich der Sprache auszuliefern, entzieht es sich der Herrschaft des Alkohols. Der Text endet dann auch: Danke Sprache, du beineverkürzender Umweg!

Ähnlich die Zeichnung auf dieser Seite, aus einem Gewirr an Strichen bildet sich eine menschliche Figur, umschlichen von einer Raubkatze, aber die Zeichnung ist aus zwei Seiten zu betrachten, einerseits, dass im Gewirr sich etwas konkretisiert, oder dass sich etwas Konkretes in Gewirr auflöst. Den Text allerdings müsste man rückwärts lesen, um zum gleichen Effekt zu gelangen.
Die Klarheit des Endes schlägt auf den Anfang zurück und zeigt, dass die Betrunkenheit nur eine Konstruktion der Klarheit ist, dass Sprache sich auch dem sprachlich Versehrten anverwandelt.
Das Ganze letztlich hat man der Form des Tagebuchnotats zu verdanken, und ist nicht repräsentativ für das Buch, aber vielleicht für Cottens und Felliens doppelnder Herangehensweise, dass das, was die Form vorgibt, parodistisch aufgenommen und parodiert wird.

Um zum Anfang zurück zu kommen. Das Buch ist natürlich humorvoll und witzig, darüber hinaus aber eben noch wesentlich mehr.



Ann Cotten: Hauptwerk. Softsoftporn. Ann Cotten: Ostheim/Rhön (Peter Engstler Verlag) 2013. 72 S. 14,00 Euro.

Zurück zum Seiteninhalt