Andreas Altmann: Von beiden Seiten der Tür
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Stefan Heuer
Andreas Altmann: "Von beiden Seiten der Tür"
– Gedichte. Leipzig (poetenladen Verlag) 2023. 104 Seiten, Hardcover. 19,80 Euro. ISBN 978-3-948305-17-8
"ihre zeit wird kommen, wenn sie vergangen ist" –
neue Gedichte von Andreas Altmann
Ein neuer Gedichtband von Andreas Altmann – und wer sich
mit und vor allem in den Gedichten des in Berlin und in der Prignitz lebenden
Autors auskennt, für den ist an dieser Stelle Vieles bereits gesagt, sind die Gedichte
von Andreas Altmann im lyrischen Kanon doch längst zu einem Synonym für den
gewissenhaften und jede Effekthascherei meidenden Umgang mit und die sorgsame
Arbeit am Wort geworden, für einen eigenen Sprachkosmos, in dem er sich seit seinen
ersten Bänden traumwandlerisch sicher bewegt; intensiv, souverän, freiwillig
reduziert.
Mir ist bewusst, dass gerade diese Reduzierung (Altmann
hat eine Vorliebe für bestimmte Wörter, die wieder und wieder auftauchen und
ein lyrisches Mantra streuen) dazu führen mag, dass eilige Leser seinen
Gedichten nicht viel abgewinnen können. Und auch, dass ihn einige als "Naturdichter"
bezeichnen mögen, weil seine Texte einen Großteil ihrer Zeit im Schnee und Regen
verbringen, dem Blick auf Bäume und Büsche folgen und sich von Kranichflügeln
beschatten lassen. Aber natürlich ist das Quatsch, denn seine Schilderungen,
seine Beschreibungen, seine festgehaltenen Spaziergänge sind nichts anderes als
Äquivalente zum menschlichen Tun, sind Platzhalter für Personen, Stimmungen und
Gefühle.
"Von beiden Seiten der Tür",
pünktlich zu Altmanns 60. Geburtstag Anfang Januar 2023 und wie seine vier vorhergehenden
Gedichtbände beim Leipziger poetenladen erschienen, ist ein ernstes Buch geworden.
Nicht, dass er bis dahin Klamauk verfasst hätte, auch der Vorgänger "Weg
zwischen wechselnden Feldern" (2018) war schon ernst, aber der Tod beider
Eltern ist in den neuen Gedichten auch nach Jahren noch sehr präsent, hat ihnen
eine gesteigerte Tiefe und Intensität verliehen, mal klar benannt, mal
verklausuliert. Und natürlich dringen die Gedanken und Erinnerungen tiefer, spiegeln
und machen des eigenen Alters bewusst, weiß der denkende Mensch doch, dass mit
60 gute zwei Drittel rum sein dürften:
schaukeldu gehst nach jahrzehnten durch straßenmit häuserverbundenen augen. ein lichtfällt auf dich, das zurückwächst. kindlicheschatten bilden spaliere, flüstern dir liedernie gehört, doch vertraut. es öffnet ein hausseine türen und fenster. du drehst dichdarunter. stimmen erkennen dich wieder.sie rufen, sie schweigen. du lächelst,du singst. dein gesicht geht dir unter die haut.dein kleid, es ist rot, es ist gelb, bläht sichim wind auf der schaukel im hof, schmiegt sichan den körper. himmel schwingt in den augen,stößt auf die erde. der baum ging dir nieaus dem kopf. er hängt an der schaukel.
Vielen der auf 4 Kapitel verteilten 60 Gedichte wohnt (auch)
zwischen den Zeilen eine Bedrohlichkeit inne, die mir in den bisherigen Bänden
von Andreas Altmann nicht so aufgefallen ist, wie sie es nun tut. Haben sich
seine Gedichte wirklich so verändert? Oder liegt es an mir, liegt es an meiner
Stimmung oder an der Tatsache, dass ich um die Präsenz des Abschieds in diesen Gedichten
weiß? Blühende Felder setzen die Gedanken an Vergänglichkeit in Gang, in jedem
lauen Lüftchen ein drohender Sturm, in jedem Sonnenstrahl die Vorahnung auf
Hitze, anhaltende Dürre. Glück als nicht zu leugnende Momentaufnahme – ein
Vogelnest nur so lange schön und friedlich, bis das erste Küken herausfällt.
Viel Tod, viel Abkehr, viel und langer Abschied. Aber: Es
gibt auch Licht! Und dieses Licht strahlt so hell, wie Licht nur strahlen kann:
pfaddie grüne schneewiese liegt im nebel.aus fenstern der holzbaracken dringt rauch.sie sind vergittert, die eingänge nummeriert.von den wänden blättert farbe. gehwegedazwischen sind geräumt, einige stämmein den eisenzaun gewachsen. die einzigen,die nicht gefällt wurden. verklumpt sindfedern gerissener tauben, sie waren weiß.in sichtweite wurden häuser mit getöntenscheiben gebaut, eins vom anderen verstellt.im weiher sind fußabdrücke eingefroren.das eis hat gesungen. maschinen hobentiefe löcher aus. gesenkte köpfe versteinernden pfad. meine tochter bekommt einen sohn.
Eine neue Generation also, die sich hier ankündigt (bzw.
beim Verfassen dieses Gedichtes angekündigt hat, ist der Enkel nun doch schon 5
Jahre alt und Empfänger der vorangestellten Widmung), und schon ist der Blick
ein ganz anderer, siegt die Neugier, hat das alles wieder einen in die Zukunft
führenden Sinn.
Den zumeist recht kurzen Sätzen, der konventionellen Zeichensetzung
und der konsequenten Kleinschreibung ist Andreas Altmann auch in "Von
beiden Seiten der Tür" treu geblieben. Hingegen relativ neu ist die
Beschäftigung mit seinen sogenannten "Fabelhäusern", denen das Buch
ein eigenes Kapitel widmet und von denen er in den letzten Jahren bereits an
die 500 Stück in die Welt geschickt hat: kleine Häuser aus Holz mit Dächern aus
Metall und Armen und Beinen. Manche verharren gespannt, manche scheinen zu
tanzen, manche haben seitlich einen Schlüssel, so als könne man sie aufziehen
und in die Freiheit entlassen. Eine schöne Vorstellung eigentlich.