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Alexander Gumz: verschwörungscartoons

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Dirk Uwe Hansen

Touristenfalle



Ach, man sollte die Dichter öfter mal verschicken. Alexander Gumz war in New York und hat Gedichte mitgebracht. Erschienen sind zehn dieser Mitbringsel nun in der parasitenpresse, die in diesem Jahr ihren 15. Geburtstag feiert. (Glückwunsch!)

Wem es um Klassifikationen zu tun ist, der könnte die verschwörungscartoons als Prosagedichte verstehen: Kurze, meist halbseitige Texte aus meist ebenfalls kurzen Sätzen, das alles im Blocksatz. Diese unprätentiöse Aufmachung tut den Texten gut, denn es sind Gedichte, für die jeder Leser seinen eigenen Rhythmus finden sollte.

„sie befinden sich ecke 50th street und 5th avenue, da muss es gleich los gehen.” – so beginnt das erste Gedicht des Zyklus und versetzt uns gleich hinein in das Bild, das jeder im Kopf haben mag bei diesen Koordinaten. Und wirft uns danach gleich wieder hinaus aus dem imaginierten Stadtplan: „in frankreich schlafen die kathedralen. manhatten allein liegt in amerika. es besteht lediglich aus einem chor.” – so geht es weiter. Mal kurz, mal etwas länger wiegen die Sätze uns in Sicherheit wie eine geführte Touristengruppe, nur damit uns dann der nächste Satz abrupt in ein anderes Setting versetzt. Als säße man in einem Kino und berachtete einen Film, der in Schnitt/Gegenschnitt-Technik aus den Trailern anderer, uns bisweilen irgendwie bekannt vorkommender Filme zusammengesetzt ist. Manchmal sind diese Bilder nicht gegeneinander geschnitten, sondern fließen – surrealistisch, so möchte man gleich wieder klassifizieren – gleich in ein Bild zusammen. Etwa zu Beginn des dritten Textes „Dunkles Millenium”:

„9:13 uhr ortszeit: john stürzt aus großer höhe auf den bürgersteig. mogule, die gründe zum töten haben, präsentieren ihre alibis. sarah erkannte ihn sofort, den zuverlässigen triumph eines einsamen zauberers. er beruht darauf, dass er uns glauben lässt, ende august sei hochhauskritik aufgekommen. im herzen jedoch schlägt eine kammer für ihre heimat. marxistische linke umständehalber abzugeben: dieser satz wurde schon im alten rom feldherren in den rückspiegel geritzt. ... ”
Spätestens hier, das gestehe ich gern, war mein Spieltrieb erwacht. Sollte ich mir den bedauernswerten John als Opfer einer kapitalistischen Verschwörung vorstellen? Findet Sarah seine Leiche an der Ecke 50ste Straße / 5th Avenue? Oder hat sie ihn selbst von dem Wolkenkratzer gestoßen?

Und während ich mir meine eigene Ordnung beim Weg durch die Texte suche, holen sie mich auch schon wieder ein: „konstruktionsfehler werden erkannt, das wesen jeder dogmatisierung. blöd gesagt: eine ordnung,” lese ich im vorletzten Text „Untergang des Weltfinanzsystems” und kurz danach: „doch vorsicht: das äußere ist nicht bloß sichtbare haut. es ist ein lebendiges gefüge”.

Es ist natürlich kein Wunder, dass Gumz’ Gedichte nicht nur zum Durch- sondern auch zum Quer- und Gegenlesen einladen. Es sind schließlich Flarf-Gedichte, Montagen also aus suchmaschinengenerierten Zeilen. Dabei hat der Autor, so will es die Lehre von Flarf-Erfinder Drew Gardener, die Lizenz, seine Suchanfrage frei zu gestalten – Gumz nutzt dafür Kapitelüberschriften aus „Delerious New York” von R. Kohlhaas – und aus den vom Rechner generierten Trefferzeilen die ihm genehmen auszuwählen, zu arrangieren und sogar (anders als bei einem klassischen Cento) leicht zu verändern. Der Leser dagegen hat im Flarf-Universum natürlich das Recht, das vom Autor präsentierte Material seinerseits weiter zu bearbeiten.

Wer also die Texte in der Hoffnung liest, von ihnen an der Hand genommen und durch New York geführt zu werden, wird sicher enttäuscht werden; wer aber bereit ist, sich auf das Spiel mit überraschenden und häufig sehr witzigen (in einem altmodischen Sinn des Wortes) Wendungen einzulassen und selbst daran teilzunehmen, der wird seine helle Freude haben und finden „auf dieser fototapete gibt es viel zu tun”.

Alexander Gumz: verschwörungscartoons. New York Flarf Gedichte. Köln (parasitenpresse, Lyrikreihe Bd. 33) 2015. 14 S. 6,00 Euro.

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