"Pfingststau" mit optischer KI
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Felix Philipp Ingold
"Pfingststau" mit optischer KI
Felix Philipp Ingold
Pfingststau
Gingst auf den Grund dem Zweifel undder Ausdruckswut. Empfingst(wo Gewalt das Gute tut) Spra-rache!Au ... wen das Wort versteht! Und dunklerist die Laune die stilltund staunt. Auch kommt alles von obenGesagte nie nicht zu spät und aberNamen und Bergeversetzt es. Welches Ding dannwessen Zwilling istweiss auch die innre Stimme nicht. Dem Hiesigenentspricht − als Wort – die Tat.
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Dem
kleinen beiläufigen Projekt, den obenstehenden Gedichttext mit künstlicher
Intelligenz zu visualisieren beziehungsweise visualisieren zu lassen, ging die
fragende Überlegung voraus, was das System (Deep AI und PicsArt, jeweils ohne Stilvorgabe) erbringen
könne aufgrund einer unanschaulichen Sprachvorlage, die nur auf ganz wenige
Realien Bezug nimmt, dafür umso mehr Abstracta mit sich führt und diese in
dichter Formulierung vergegenwärtigt.
Konkret
fassbar und bildhaft wiederzugeben sind allein die genannten „Berge“ und der
„Zwilling“, obwohl auch sie nur als Allgemeinbegriffe fungieren und keinen
direkten Wirklichkeitsbezug ermöglichen. Der titelgebende „Pfingststau“ (ein
Gebrauchswort, das der Duden nicht kennt) mag sich als Strassenstau optisch
veranschaulichen lassen, nicht aber spezifisch als Stausituation vom verlängerten
Pfingstwochenende und schon gar nicht – auf übertragener Verständnisebene – als
Stau der angeblich zu Pfingsten erfolgenden Geistes- und Wortergiessungen, der
hier mitgemeint ist.
Alle übrigen
Substantive lassen sich nicht ins Bild setzen, weder „Grund“ noch „Ding“ oder „Wort“
und auch nicht „Ausdruckswut, Gewalt, Laune, Zweifel“ usf., zu schweigen von
der „innren Stimme“ oder von dem gebrochenen Kunstwort „Spra-rache“, das die
pfingstliche Sprache als Rache ausweist. Darstellerisch ebenso unfassbar sind
abstrakte Tätigkeiten wie „verstehen, staunen, entsprechen“ und vollends
Verbformen wie „gingst“ oder „empfingst“ (mit der lautlichen Anspielung auf
Pfingsten).
Was also
bleibt der künstlichen Intelligenz an Anhaltspunkten für die Illustration des
Gedichts?
Zwei
Ausarbeitungen seien an dieser Stelle eingerückt.
Abb. 1
Diese
Visualisierung wird bestenfalls dem Gedichttitel gerecht – die untere
Bildhälfte zeigt eine Menschenmenge, Schulter an Schulter gedrängt; zu sehen
sind nur die Hinterköpfe, die grösstenteils mit Tüchern verhüllt oder stark
deformiert sind. Die Menge verliert sich im mittleren Bildhintergrund, der an
seiner hellsten Stelle unmittelbar in eine höhere Welt überzugehen scheint. Von
oben drängen teils wolkenartige, teils flammenähnliche Gebilde herab, die wohl
die Ausgiessungen des glossolalischen Heiligen Geists (Zungenrede)
veranschaulichen sollen. „Pfingsten“ und „Stau“ werden damit zumindest andeutungsweise
ins Bild gesetzt, der gesamte Gedichttext indes bleibt unberücksichtigt:
Sprache, Ausdruck, Name, das Gesagte oder gar der Zweifel werden ebenso
ausgeblendet wie die Berge und die Zwillinge, die sich ja, zumindest
schematisch, problemlos darstellen liessen.
Abb. 2
Die
Darstellung bleibt hier auf den „Stau“ beschränkt, der freilich wie in Bild 1
verallgemeinert und damit verfälscht wird als „Gedränge“ oder „Menge“.
Menschenähnliche Gestalten in langen Gewändern drängen sich in heftiger
Bewegung, ihre Gesichter sind verzerrt oder verhüllt; vereinzelt werden Arme in
die Höhe gereckt – das einzige Anzeichen dafür, dass allenfalls „von oben“
etwas erwartet wird, nichts Beseligendes allerdings, kein Heiliger Geist, viel
eher lässt die Gestik auf eine Bedrohung schliessen. Auch in diesem Fall geht
das System auf den Text insgesamt nicht ein und vermittelt keinerlei
Vorstellung von ihm – weder Pfingsten noch Stau oder gar Pfingststau, noch andere,
im Gedicht damit assoziierte Phänomene kommen direkt oder auch nur indirekt zur
Darstellung.
Der
Visualisierungsversuch – die intermediale Übertragung des Sprachtexts in einen
Bildtext – ist mithin gescheitert. Die Vorgabe – das Gedicht – bietet
allerdings kaum Anhaltspunkte für bildliche Darstellung, und es wurde ja auch
eigens ausgewählt, um die Produktivität, wenn nicht gar die Kreativität
künstlicher Intelligenz zu testen. Hier begnügt sich die KI offensichtlich
damit, auf die Stereotypie hergebrachter Pfingstdarstellungen zurückzugreifen
und diese zu bestätigen: Dazu gehören – siehe dazu das schematische Bild 3 –
die Menschenmenge (der „Stau“) im Vordergrund und die diffuse Lichtquelle im
obern Teil:
Abb. 3
(Bildschema Pfingsten)
Sicherlich
ist davon auszugehen, dass ein konventionell praktizierender Maler oder
Graphiker das Experiment mit nachhaltigerem Ergebnis absolviert hätte als das
KI-System, da die Bildkunst für die Umsetzung von Abstracta (Ideen, Phantasien,
Glaubenssätzen usf.) über eine Vielzahl von symbolischen, allegorischen und
auch thematischen Assoziationsmöglichkeiten verfügt, die dem Automaten fehlen. Vorerst
jedenfalls bleibt die künstliche Intelligenz diesbezüglich klar hinter der
Findigkeit und den Findungen individueller künstlerischer Arbeit zurück.