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Armin Steigenberger

Portraits



Armin Steigenberger – der (Nicht-)
Satiriker*




Armin Steigenberger, 1965 in Nürnberg geboren, gehört zu den freien Schriftstellern, die in München leben. Er war Ende der 90er Vorsitzender des Münchner Literaturbüros, gibt seit vielen Jahren die Literaturzeitschrift außer.dem mit heraus, rezensiert in Literaturportalen, ist Mitgestalter der Literatursendung “poesie[magazin]” seit 2013 sowie "Schöner stottern!" seit 2007 bei Lora München 92,4 und gehört zu der Münchener Lyrikgruppe Reimfrei. Sein Lyrikdebüt erschien 2006 im Pop Verlag unter dem Titel „gebrauchsanweisung für ein vaterland“, 2009 gewann er den 1. Preis beim 11. Irseer Pegasus, und letztes Jahr brachte der Horlemann Verlag in der Reihe LYRIKPAPYRI  seine zweite Einzelveröffentlichung heraus: “die fortsetzung des glücks mit anderen mitteln”. Wir nehmen seinen runden Geburtstag im Januar 2015 zum Anlass, ihn zu portraitieren.


Armin, wir kennen uns ja schon eine Weile, und trotzdem überraschst du mich immer wieder, wenn du mir etwas über deine Vergangenheit erzählst. Welche Künstler, welche Musik haben dich auf deinem Werdegang beeinflusst?


Eigentlich war ganz zu Anfang hauptsächlich die Bildende Kunst da. Vorbilder hatte ich da zunächst keine. Außer der Natur. Das genaue Abbild hat mich interessiert. Wie naturgetreu kann ich einen Baum oder eine Katze abbilden? Ich habe als Kind schon, als Jugendlicher, sehr viel gezeichnet. Ich wollte mit Bleistift z. B. perfekte Porträts zeichnen können und war schon relativ geschickt, avancierte in der Klasse zum Zeichner, wenn es was gab. Dann habe ich als Jugendlicher die Farbe entdeckt und kam vom genauen Zeichnen ab, da war es eher die Malerei, das Abstrakte, und ich wurde auch in der Oberstufe von meinen Kunstlehrern sehr gefördert. Da stand fest: ich muss Maler werden. Ich habe aber auch als Jugendlicher schon für mich Texte verfasst, eher sozialkritische oder politische Sachen, die ich als 13-, 14-jähriger geschrieben habe.
Und ich hatte eine E-Gitarre. Mein stärkster Wunsch war, seit ich um die 10 Jahre alt war: lange Haare zu haben und in einer Band zu spielen. Sagen wir so: ich bin stärker von westlicher Popmusik beeinflusst, als ich manchmal wahrhaben will … The Sweet war der Einstieg, dann kamen Deep Purple, Pink Floyd, die Beatles, The Who … immer schon mit so einem Faible für stärkeren Tobak, Hard Rock, Anfang der 80er kamen all die neuen Bands auf aus GB, Judas Priest, Motörhead, Saxon … Viele in meiner Umgebung, in der Schule, waren Punker, da war ich mir sicher, dass das nichts für mich ist. Ich hatte einen Freund, der schraubte und lötete in seinem Keller an alten Boxen, Fernsehern und Plattenspielern herum, da drin habe ich meine halbe Jugend verbracht. Und der kam mit all diesen Scheiben daher, Pretty Things, Traffic, der hatte vor allem das alte Zeug, all diese alten Rock-Kracher der 60er, was Ende der 70er ja schon keiner mehr hörte. Ich habe selbst ab 1980 in einer Band gespielt, so an die zwei Jahre, bin dann aber ausgestiegen, als es in eine professionellere Richtung ging. Für mich war es dann doch mehr die Malerei und die Literatur. Die E-Gitarre von damals besitze ich heute noch, ein tolles Instrument. Ich spiele aber nicht mehr, weil ich keine Möglichkeit mehr habe, sie anzuschließen.

hendrix.

divus. es riecht nach verbranntem gitarrenfett. das pimpelige herz am tremolo. beehive
yourself sterngespengelter banner. freundschaft mit schreibfehlern.  epiphanische
kurzwaren und das flackern jedweder tönung.  ein klickern im kabe.l feedback. in electric
ladyland
berserkern wildgewordene rückkopplungen. ein innerer sprung der gazelle
durchs glas. über dem bordstein gestrandet. here comes everybody. züngelndes blatt

(unveröffentlicht, 2013)

Mit 17, 18 hab ich mich auseinandergesetzt mit Kandinsky und den Expressionisten. Damals waren die Jungen Wilden hochaktuell, die ja letztlich so einen Neo-Expressionismus gemacht haben. Ich habe abstrakt angefangen in meinen Bildern und bin durch die Neuen Wilden immer konkreter geworden. Also irgendwie umgekehrt zum normalen Weg, der ja bei Anfängern eher vom Konkreten zum Abstrakten geht. Relativ lange habe ich  Figurengruppen gemalt. Es wurden komischerweise, egal wie, immer Figuren bei mir. Ich hatte sogar Ausstellungen, im kleineren Rahmen, selber arrangiert in Cafés und so. Meine erste Ausstellung, mit 20, war im Offenen Atelier in Erlangen!

Und warum hast du eher aufgehört, als damit weiterzumachen?

2003/4 hatte ich ein Atelier in Haidhausen, aber das muss ja alles finanziert werden, und wenn du nichts verkaufst, werden die Kosten immer heftiger – so dass ich mich immer mehr auf die Literatur konzentriert habe.

Nietzsche? Wie hat er dich angeregt? Ich würde mal sagen, er hat zwar eine stark bildliche Denkweise und Sprache, aber etwas dogmatisch Prophetisches, was ich bei dir gar nicht sehe, du hast ja eine sehr nachdenklich demokratische Grundhaltung, höchstens also versteckt, sozusagen im Krebsgang?


Naja, der Nietzsche – ich hatte einen Banknachbarn im Gymnasium, der ist heute Komponist, lebt in London – der hat mir  mal den „Zarathustra“ ausgeliehen, damals war ich 16. Ich konnte mit dem „Zarathustra“ nicht arg viel anfangen, fand das mystisch, unverständlich, und gab es ihm mit ziemlich derben Worten zurück. Ungefähr ein Jahr später las ich A. S. Neill, diesen Propheten der antiautoritären Erziehung, das fand ich damals phänomenal. Als der dann plötzlich vom Willen zur Macht schrieb, habe ich mich erinnert. Das war der Schlüsselmoment; da wusste ich, das war auf einem Urlaub in Schweden mit meinen Eltern, wenn ich daheim bin, muss ich ganz schnell Nietzsche weiterlesen. Las dann „Jenseits von Gut und Böse“ und die „Genealogie der Moral“, teilweise im Schulunterricht unter der Bank, ich glaube, ich habe erst nicht allzu viel verstanden, aber zumindest war der Grundstein gelegt. Eigentlich überhaupt für die ganzen philosophischen Probleme war das ein Türöffner. In der Schule hatte ich Altgriechisch und las im Leistungskurs dann Platon, Heraklit, Sappho im Original, faszinierend. Platon. Der kommt bei Nietzsche ja gar nicht gut weg, und das war auch wieder so ein Grund für mich, zu graben und zu schauen: was ist da los, warum kommt der schlecht weg. Ich habe Nietzsche immer kritisch gelesen … eigentlich hat er mich immer aufgeregt, mit seinem Frauenhass, mit seinen Volten gegen die Demokratie. Doch jede nationale Idee war ihm zuwider. Deshalb konnte ich nie wirklich begreifen, was die Nazis an ihm fanden. Klar, es trifft sich was, man darf nicht so naiv sein zu glauben, dass man aus ihm nichts herausgelesen hat, allein das Wort „Herrenmoral“ sagt das schon aus. Für mich war Nietzsche viel mehr Inspirationsquell: diese Sprache, diese Wortkaskaden trafen mich eiskalt.

Alle Bildarbeiten vor 2000, z.T. von 1985

Welche Dichter haben dich beeinflusst? Du hast einen Gedichtzyklus geschrieben über Einflüsse – da werden von den Musikern Kurt Cobain & Janis Joplin & Jimi Hendrix betitelt und als Lyriker vor allem Rolf Brinkmann.

brinkmann.

entpulpung, asterfarbensüchtig. don’t walk. zufälliges, nacktes bild, acid.  nicht vermerkte
menschen wechseln die seite. hier schleichen sich vögel an, rücken auf. ziehen weiter über
die dächer. und alleinsein ist wie ein kinderzahn. heute brauche ich einen regenschirm. o
kaputte hausecke und panik im schatten des weißen fleisches. auf dem balkon spricht
jemand mit seinem smartphone. walk one way in austin. was tue ich montag. schwarztango.

(unveröffentlicht, 2013)


Mit 20 hatte ich Nietzsche durch, dann musste was anderes her. Da habe ich philosophische Klassiker gelesen, vor allem Existentialisten, Sartre, Camus, danach Jaspers, Heidegger. Auf Luhmann, Derrida und Quine kam ich erst später. Komischerweise wollte ich selber nie wirklich Philosophie studieren. Da gab es immer schon diesen kreativen Stachel, den ich auch in der Architektur nicht wirklich richtig ausleben konnte.
Heute würde ich sagen, wenn ich bei den Alten anfange: es gibt Sonette von Shakespeare, die mich beeinflusst haben. Vielleicht Sibylla Schwarz. Barockdichtung hat mich auch interessiert, Paul Fleming, Andreas Gryphius … Hölderlin wurde mir wichtig, vor allem die Oden, auch ein paar Romantiker, Martin Greif … dann Baudelaires Blumen des Bösen und Rimbaud. Einen ganzen Sommer lang habe ich nur Rimbaud gelesen. Die Gesänge des Maldoror von Lautréamont. Und Rilke, sehr viel. Kafka, klar, diese Bildwelten, das Schloss, der Hungerkünstler, die Verwandlung. Cummings, Jandl, Pastior, Bachmann, 1995 habe ich mir Albert Ostermaiers „HerzVersSagen“ und Ulrike Draesners „gedächtnisschleifen“ gekauft, das war mein allererster Einstieg in zeitgenössische Lyrik. Dann kaufte ich mir Bücher von Durs Grünbein … Und ja, Allen Ginsberg, Howl und America, da stand ich 1998 bei meinem Urlaub in San Francisco im Dachgeschoss bei City Light Books. Später hatte ich Kontakt zur Münchner Lyrikszene, ging im Spätsommer 1997 auf einen Tipp hin ins Literaturbüro. Und da lernte ich dann die ersten Kollegen persönlich kennen.
Aber zurück zur Popwelt: Wenn ich heute Amerikanismen verwende, – und nach einer Lesung wurde ich wieder fast gerügt, dass ich so viele verwende: Eigentlich mag ich Anglizismen nicht besonders. Ich mag die englische Sprache sehr, aber nicht das Denglisch, also im Deutschen englische Begriffe zu erfinden. Es ist ja so einfach zu durchschauen: Immer soll damit der Text schneller gemacht werden und zugleich betont lässig daherkommen. Und die Zeiten, wo in den 60ern und 70ern damit eine Gegenkultur in die Texte einzog, sind längst vorbei. Diese Begriffe fliegen mir aber überall um die Ohren. Da sind meine Texte wie Spiegel. Ich will mich damit auseinandersetzen. Wer genau hinschaut, merkt vielleicht, dass ich auch teils so ein Fantasie- oder Kinderenglisch verwende, d. h. ich verfremde das auch. Wenn ich andere Sprachen oder Sprechweisen, Computerterminologien oder Wirtschaftssprache gebrauche, dann soll etwas gezeigt werden, es ist dann „uneigentlich“ gesagt. Wer Amerikanismen verwendet, schlüpft in eine andere Rolle, ist in einem anderen Sprechakt. Ich bin Zivilisationskritiker, weil ich eine Utopie habe.

Sibylla Schwarz (1621 - 1638):
Auff Ihren Abscheid auß Greiffswald / Gesang.


   WEil dann der Unholdt gäntzlich mir
Zum Greiffswald nicht will lenger leiden /
So bleibt dennoch mein Hertz alhier /
Undt wirdt sich nimmer von euch scheiden!
   Wohin gedenckstu dann mein Sinn?
Ist doch Europa gantz voll Kriegen /
Es ist ja warlich kein Gewinn /
Von einem stets zum andern fliegen.
    (Weiter hier ...)


Allen Ginsberg liest "America"



you left me right here


deine geblisterten träume im blog. nebenbei
lief ein psychotropes lied und jemand
erklärte mir den krieg aus der überdosis.
ich schenkte ihm zur abendsonne einen text
baustein. er kam dann nicht aus seinen thesen
heraus. das war so todkühn und biestig.
light yourself on fire.

(die fortsetzung des glücks mit  anderen mitteln, S. 37)

Du schreibst ja auch selber Rezensionen und entscheidest in eurer außer.dem-Redaktion mit über die Texte der nächsten Ausgabe. Dabei bist du, soweit ich dich kenne, immer an Neuem, „Echtem“ interessiert. Wie könntest du dieses „Echte“ beschreiben, auf das du aus bist?


Gut, das „Echte“, sofern es das gibt, ist natürlich ein Ideal. Das „Echte“, jetzt mal umgangssprachlich gebraucht, ist für mich ein Synonym dafür, dass ich etwas lesen möchte, was mehr ist als nur schöne Worte. Es gibt so Reißbretttexte, wo jemand etwas montiert, weil er weiß, das sind Wendungen, die gut ankommen. Oder so stromlinienförmiges Sprechen, das keine wirkliche Verbindung zur Persönlichkeit des Autors hat. „Echt“ bedeutet so gesehen authentisch, aber eben auch durchlebt: vielleicht. Es muss mir weder gefallen noch muss es mich anrühren und es muss mich auch nicht erfreuen, es darf mich ärgern und es darf mich aufregen oder schmunzeln machen, aber es muss etwas mit mir machen. Oft vermisse ich ein echtes Anliegen.
Wenn ich etwas schreibe, gibt es immer auch die Frage an mich selber: traue ich mich, das vorzulesen? Wenn sich da etwas sträubt, wird es spannend. Warum? Ist es mir zu anstößig? Warum glaube ich, das nicht lesen zu können? Empfinde ich es als pure Provokation? Da bin ich dann einer Sache auf der Spur. Immer, wenn sich solche Empfindungen regen, zeigen sie mir was an. Aber viele Bücher sind so, dass ich das Gefühl habe, OK, das ist der 5. Band, das schreibt jemand aus dem Handgelenk, nach Strickmuster und Schema F, Buch 6, Buch 7. Das wird dann durchs Großfeuilleton durchgereicht, ein „echter“, ein „neuer“ X oder eine „neue“ Y …
Also, auf eine kurze Formel gebracht vielleicht: Ich möchte etwas lesen, wo sichtbar ein Prozess stattfindet, wo jemand sich beim Schreiben noch selbst überrascht oder sich neu erfindet. Ich mag ja so gar keine ideologischen Texte. Aber ich mag Texte, die eine Utopie haben, eine inwendige Schönheit, einen Glanz haben.
Das „Echte“ ist vielleicht so etwas wie poetische Identität. Das wird dann ein ganz eigener Sound, unverwechselbar und eigenwillig. Auch verknüpft mit einer Weltsicht, einer ganz speziellen Wahrnehmung. So eine ganz eigene Drehung. Etwas Probleme habe ich dabei immer mit dem Begriff der „eigenen Stimme“, das ist mir zu verbrämt. Denn es gibt auch ganz viel, was dieser so genannten eigenen Stimme im Weg steht. Störfrequenzen, weshalb jemand womöglich nie wirklich sein Eigenes entwickeln kann.
Aber es gibt auch junge Leute, die ich sehr bewundere, die ganz konsequent sich in ein Thema hineingraben, sich Bücher besorgen, und wirklich da auch eintauchen, wobei ich nicht so ein Ethos-Typ bin, der sagt: wer viel arbeitet und das Handwerk erlernt, der wird auch gut schreiben, das ist Quatsch. Es hat schon auch was mit Talent zu tun und mit Mut. Den Alltagssprech verlassen und etwas eigenes zu machen in einer wie auch immer aufbereiteten, geformten Sprache.

Du hast also in der Lyrik etwas gegen Mimikry, Anpassung – das Glatte? Wie würdest du diesen Gegensatz in deinem Sprachgebrauch eingrenzen, hier das Echte, da das Glatte?


Glatt sind für mich Gedichte, deren erstes Anliegen ist, sich unangreifbar zu machen. Stromlinienförmige Texte, schnittig und auch schön, angesagte Themen, Versatzstücke, längst erprobte Sprechweisen … das alles ist mit etwas Übung in Dutzendware herstellbar. Es gibt eine Reihe von Wendungen und Halbsätzen, auch modischen Worten, die immer gut klingen, jeden Text aufpeppen – das alles ist gewissermaßen erlernbar oder konstruierbar; man kann sich mit ein paar einfachen Methoden recht schnell ein Vokabular zusammenstellen, man sampelt z. B. Wissenschaftssprache verschiedener Sparten und kann das dann je nach Gusto idiosynkratisch durchdeklinieren. Haben wir in Schreibworkshops alles ausprobiert. So entstehen glatte, schöne Texte, die sogar ganz attraktiv sind und auch Spaß machen. Aber meist sind es Gedichte, die nichts Eigenes mehr haben. Solche Texte sind für mich allenfalls eine Grundlage; da ginge es dann erst richtig los, eine neue Ebene einzuziehen. Allerdings bin ich der Meinung, dass Texte, die man in mehreren Schritten zum Gedicht macht, eher was mit künstlicher Poetisierung zu tun haben. Oder mit Auftragsdichtung.
Für mich sind Gedichte eher wie Findlinge, wo auf einmal etwas da ist, ein Bild, eine ungewöhnliche Wendung, die insgesamt etwas Neues einfängt, was hohe Valenz für mich hat. Das ist im Prinzip der umgekehrte Weg: erst finde ich etwas vor, was mich selbst irritiert. Dann versuche ich, das irgendwie in den Griff zu bekommen. Und dann erst mache ich daraus ein Gedicht. Momentan schreibe ich an einem Zyklus, der noch keinen Titel hat, da finde ich erst einmal eine Art Ereignisraum, so einen Kokon aus Büchern und Quellen, Fotos, alte Kladden, u.v.m. Manchmal schaffe ich es, anhand von „Rohstoff“ so einen Schwebezustand zu erreichen, auf Grundlage einiger Skizzen, die ich seit vielen Jahren sammle, etwas Neues zu machen und es wirklich zu Ende zu treiben. Ich brauche oft nur einen Auslöser. Das ist ein sehr euphorischer Zustand, der nicht allzu lang anhält. Das Verblüffende für mich ist, dass ich das Gefühl habe, die Ideen kommen wie aus einer anderen Schicht.

Du bist sperrig, bohrst immer tiefer, sobald du dich mit etwas beschäftigst, willst es für dich selber bestimmen, beurteilen, einordnen können. Liegt das daran, dass du auch Rezensionen schreibst, oder ist das ein Charakterzug von dir?


Ich weiß nicht, ob Sperrigkeit ein Charakterzug sein kann. Ich will schon auch manchmal provozieren. Es gibt ja so eine glattgebügelte Lyrik, wo das Schildchen POESIE ganz groß dranhängt. Mir wäre das viel zu langweilig, so etwas zu schreiben. Ich finde: Dichtung muss schon auch mal den Finger in die Wunde halten, muss weh tun.

Im Lyrik Kabinett am 11. Oktober 2014 bei der außer.dem-Präsentation #21


Aus einem neuen Gedichtszyklus,
unveröffentlicht, 2014:

#37

laparoskopisch ins innere meiner organe die läufel abziehen. pellen das ledrige. ein vorstoß zum fruchtfleisch. aus der hülle a little drop of poison. sie dringen weiter vor, heben die bauchdecke. now it’s closing time, ich bin ein kofferwort. das treibt wabenartig durch mich hindurch. der schlauch saugt das meiste ab. das röhrchen macht schnorchel geräusche. the music’s fading out.
sie mobben mich innerlich, prallen das lebendige. etwas lachgas.



#117

wir lassen uns durchpausen. wir drehen uns immer schneller. es ist lange her, da wir papierdünne blüten waren. gelb behütete messerzungen, punktwolle und absinth grüner pelz. bad taste im all gemeinen, ablösbare schönheiten. wir sprudelten im trash. jung beblütete maserungen im stamm. blood was spewing out of fremdkörper gefühle.
if you want to commit mayhem
I want to commit my 2 cents. prometheische blaupausen. etwas hymne.


#216

wir glauben nicht ans papier. eher noch an glorreiche übersetzungen auf andere kontinente, überlandfahrten. ans meer wasser zwischen worten und ihrem belag. auch schmelz genannt. wir atmen und atmen an silber, etwas aleatorisches salpeter mit vervierzehnfachender kraft. es spült silben ans multitaskingufer, ans who is who geweinter orte, ans hebel werk unserer klaustrophobischen betriebstemperatur. wir gilben anders, mit jeder menge andacht vor den ego maschinen.



Du siehst darin, sperrig zu sein, nicht nur einen Charakterzug, sondern eine Qualität der Poesie? Du arbeitest quasi daran, sperrig zu sein und anzuecken?

Anecken alleine bringt gar nichts. Man kann nicht mit dem Kopf durch die Wand. Aber kleine Irritationsmomente schaden nicht.

Ist das nicht ein Antagonismus, der da in dir kämpft. Hier die Unabhängigkeit, dort die Anpassung. Du beziehst ja lyrische Prozesse und Diskussionen immer auch auf dich. Dieser Antagonismus, dieses Hin und Her manchmal ist auch in deiner Haltung zur Sprache, in deiner Sprachakribie zu finden?


Ich mag das Wort Akribie nicht. Akribie klingt mir zu angestrengt. Mich strengt das Schreiben nicht an. Für mich ist Schreiben immer schon ein lustvolles Tun. Ich habe auch noch nie verstanden, warum andere das als so quälend und schwer empfinden. Warum sie dann nicht etwas schreiben, was ihnen leichter fällt? Antagonismus: man ist ja Kind seiner Zeit, ist diskursgeprüft, wenn man verfolgt, was an neuen Essays auftaucht, welche Positionen es da gibt. Das ist ja im Grunde hochspannend. Mich lenkt das oft auch ab. Aber ich will gleichzeitig wissen, worum man sich derzeit fetzt. Ich habe da ja auch Anteil. Ich habe immer Anteil, auch wenn ich nicht aktiv mitwirke. Ja, ich trage das auch alles teilweise in mir aus. Manche Standpunkte sind plötzlich nicht mehr haltbar, die man mal für gesichertes Territorium hielt. Dichter zu sein heißt für mich auch, sich immer wieder neu zu ordnen, neue Positionen auszuprobieren. Da muss ich lernfähig bleiben.

Ich habe mal gesagt, da sei ein innerer Daimon bei dir am Werk, der dich mal hindert, der dich und deine Affekte aufbohrt, (wenn du ihm keinen Raum gibst), der dich in einen Sprachrausch versetzt, (wenn du ihm freien Lauf lässt).


Also, mich selber will ich nicht, kann ich nicht „aufbohren“. Das Aufbohren meine ich rein auf sprachlicher Ebene, dass man simpel gesagt die Kraft der Worte entfesseln kann, wenn man sie anders verwendet, Kontexte verfremdet, Worte umstellt oder Worte selbst verfremdet, also Buchstaben verdreht usw. Man kann da viel machen. Wenn Tobias Falberg in einem seiner Texte z. B. statt Fruchtkörper Furchtkörper schreibt, macht er das, was ich aufbohren nenne. Es kommt erst ganz unscheinbar daher, aber da steckt schon auch gewaltig Energie drin.
Und oft beginnt sich anhand von so einem Tun etwas zu drehen, in meinem Kopf springt etwas an, kommt in Gang. Sobald der Kanal offen ist, fließt was. Wie gesagt, es ist für mich eine Art Euphorie, ich kenne kaum was Lustvolleres. Blöd ist, dass ich gleichzeitig so ein unruhiger Wirbler bin, der allerhand bewegen will, mit unserer Zeitschrift zum Beispiel und den zwei Radiosendungen und auch Veranstaltungen.
Der Daimon – einerseits gefällt mir das, ich würde sagen: es gibt da eine Kraft, die ich mir wie einen frischen Hauch vorstelle, so einen Atem, aber es ist kein anderes Wesen, das fände ich unheimlich. Er kommt und ich bin in meinem Element und bin gleichzeitig aus dem Häuschen, wenn es mit dem Schreiben gut läuft. Andererseits weiß niemand, welche Motive und Antriebe wir in der untersten Persönlichkeitsschicht wirklich haben. Der Daimon ist so gesehen etwas aus mir selbst, eine innere Kraft, ein unbewusster Drive, aber ich empfinde mich nicht als Getriebener, obwohl ich das Schreiben nicht sein lassen könnte. Als Architekt konnte ich das nicht ausleben und war unglücklich. So ist es bei mir mit dem Schreiben: Es hat Vorrang, aber ich weiß nicht, wohin es geht.

Du warst in einer Rockband, du fährst Motorrad – da ist was Wildes, Unbändiges in dir, dahinter könnte auch dieser Daimon stecken; aber dann der Demokrat, der nachdenklich-zögernd-Zaudernde, der in einer Neubau-Eigentumswohnung lebt – wie ist das vereinbar? Zerreißt es dich manchmal?


Motorrad ist meine „jüngste“ Errungenschaft. Ich fand Motorräder früher abstoßend, umwelt-ignorant. Sie sahen für mich gefährlich aus und ich fand die Leute ansatzweise verrückt, die sich auf sowas setzen, gleichzeitig habe ich sie bewundert. Dann haben Christel und ich auf griechischen und italienischen Inseln – wir lieben Inseln – Urlaub gemacht und die beste Fortbewegung ist da ein kleiner Roller. Da bin ich auf den Geschmack gekommen. Das Motorrad wurde ab dem Moment, wo ich es halbwegs beherrscht habe, für mich immer attraktiver, es geht da einfach die Post ab. Aber man muss sehr präzise fahren, also nicht unbändig, sondern mit kontrollierter Kraft. Ich habe mal eine Sendung gesehen, über Leute, die gelernt haben, einen Jet zu fliegen, sie haben immer vom „Tier“ gesprochen, wie sie „das Tier“ beherrschen lernen. So ähnlich ist es da auch. Den Demokraten sehe ich nicht im Widerspruch dazu.

Da ist auch dieses düstere Weltbild in deinen Texte, ein Antagonismus, der keine Antwort, kein Versprechen enthält, so dass man eine Art Ausweglosigkeit verspürt. Woher kommt das?


So düster bin ich doch gar nicht. Ja, es könnte Gedichte geben, wo es am Ende evtl. nicht glückt, meine Utopie durchschimmern zu lassen. Ich selber sehe sie immer, aber es muss ja auch beim Leser ankommen, und sei es „ex negativo“.

Zu deinem Demokratieverständnis gehört ein besonderer Gerechtigkeitssinn, ein Hang zu Außenseitern, zu (scheinbar) Benachteiligten. Das ist mir immer wieder in unseren Gesprächen aufgefallen, auch wenn es um Rezensionen geht.


Mir sind Außenseiter sympathisch. Es gibt ja genug, die es in die Literatur nicht schaffen, das hat selten was mit ihren Texten zu tun. Sie haben nicht die richtigen Kontakte oder gar keine und sind zumeist keine Meister im Selbstvermarkten. Denen fühle ich mich verbunden. Sofern mir da nicht diese „Ich weiß doch längst wie’s geht“-Attitüde entgegenschlägt. Deswegen bin ich auch bei der Zeitschrift außer.dem dabei, wo es im Wesentlichen um Neuentdeckungen geht.

Du schreibst auch Prosa, hast sogar einen experimentellen Roman in der Schublade - wie unterscheidet diese sich von deiner Lyrik? Mir ist dabei eine mäanderartige Einkreisung aufgefallen – du deutest das Setting, die Situation an, dann – zum Teil in Wiederholungen – gehst du mit einkreisenden Sätzen immer mehr in die Tiefe hinein. Nicht wie Thomas Bernhard in fast tautologisch verengenden Schleifen. Du variierst, lotest aus.


Das trifft es gut. Ich bin natürlich eher in der Lyrik zu Hause, habe aber auch einige Prosasachen in der Schublade, seit 2004 z. B auch ein recht konventionelles Kinderbuch, für das sich bisher kein Verlag interessiert hat. Mein Roman „fleck“ von 2002 ist ja komplett als E-Book im Netz verfügbar, so gesehen habe ich drei Buchveröffentlichungen und mit Prosa sogar debütiert. Dieses Buch zeigt, wie sehr mich das Experiment interessiert hat …


Inwieweit spielt die Collagetechnik für deinen Stil eine entscheidende Rolle?

Collage ist für mich ganz wichtig. Collage „betrifft mich“, sowohl in der bildenden Kunst, als auch ist sie für mich ein Verfahren der Moderne, das nicht mehr wegzudenken ist. Als Kind, als Jugendlicher, habe ich mich für Strandgut interessiert, fand das hochspannend, was man an Stränden findet, für die meisten die unschöne Seite der Zivilisation, aber da ist natürlich auch manche Perle dabei. Ich hatte mal eine ganze Sammlung wunderschön verschliffener Glassplitter, verschliffene Gegenstände, vom Meer zernagt. Im Prinzip ist jeder Text, der Diskurse mischt, der Fachsprachen durchdekliniert, ähnlich. Anfangs habe ich, wie die Dadaisten, Zeitungsschnipsel ausgeschnitten, teils auch nur halbe Wörter oder Wortteile, „Morpheme“, die ich dann anders zusammengefügt habe. Das Interessante ist, dass auf diese Weise auch Soziolekte vermischt werden, Umgangssprache, Spartensprache. Mich interessiert es sehr, aus diesen Dingen, aus unterschiedlichsten Sprechweisen, Sprachsegmenten, Sprechsplittern, etwas Neues zu bauen. Da habe ich auch viel bei Ulf Stolterfoht und Jean Krier gelernt. Von Stolterfoht die raffinierte Verschneidung von Diskursen, von Jean Krier das kühne Recyceln von Worten unterschiedlichster Herkunft. Natürlich auch bei Thomas Kling. Daniel Falbs Gedichte habe ich erst später kennengelernt, der das auch praktiziert. Oft auch mit der Fragestellung: kann man diesen Dingen etwas Poetisches abgewinnen? Aus etwas Unschönem, Gedankenlosem etwas Schönes, Gedankenvolles bauen? Schönheit muss man ja sowieso heute ganz anders definieren. Erst wenn man die Romantik, das Aparte, Weihevolle, das Hohe, Hochtrabende, Pathetische einmal völlig aus seiner Kunst rausgeschmissen hat, kann man es wieder zulassen, dann vielleicht anders. Ich finde auch das schöne alte Wort Erbauung ganz wichtig. Wozu sonst Kunst? Wenn Leute vor einem Kunstwerk stehen, das skandalös ist und ein Aufreger, kann das kurzzeitig toll sein, aber es ist so eine Egoadapterkunst, ein Augenzwinkern zwischen dem Künstler und einer gewissen Klientel, die auf Schockwirkung steht. Oft mit sexuellen Inhalten. Sowas fand ich mit 20 gut, diese Form, die oft nur die eigenen Ressentiments befördert. Das ist ja auch OK. Ein Kunstwerk ist aber nur dann etwas wert, wenn ich es immer wieder hernehmen kann und mich immer wieder auch dran freuen kann. Man muss es reflektieren. Es gibt das natürlich alles auch als Gedicht. Wer eine Utopie hat, glaubt auch an Schönheit. Ich glaube sehr an Schönheit. Aber es ist eben nicht diese Schönheit des Sauberen, des Unberührten, des Perfekten, diese Tropfenästhetik an kühlen Bierdosen. Gut gemacht und wirkungsvoll, aber gleichzeitig zum Kotzen dumm. Es muss eine Auseinandersetzung mit der Gegenwart, mit der Wirklichkeit stattfinden.
Ja, Thomas Bernhard umkreist seine Inhalte mit immer wiederkehrenden, fast meditativen Redundanzschleifen, da kommt immer und immer wieder dasselbe. Mich interessiert eher die Variation, ich schreibe zurzeit einen großen Zyklus, wo ich gewisse Motive variiere, also immer ein Wort verändere an einem Vers, um zu sehen, ob es etwas neues evoziert. Das ist sehr spannend. Das wurde in der Konkreten Poesie häufig gemacht, dass man Sätze variiert hat, bis ins Absurde verdreht. Deshalb eben auch diese Strandgutworte. Gerade in vollkommen unpoetischen Texten finde ich Worte mit enormer Strahlkraft.


Ich meine, auf der einen Seite kommst du vom Bild, allein schon aufgrund deiner Vergangenheit als bildender Künstler, dieses Bild versuchst du weniger zu beschreiben, sondern eher als Sprachbild aufzubohren. Zum Teil in einem eruptiven, rauschhaften Rhythmus. Da du weniger in einem festgelegten Metrum schreibst, sondern zunehmend vornotierte Sprachfetzen und –gefüge collagierst, stellt sich mir die Frage, ob du dabei einer inneren Musik, einem inneren Takt folgst oder ob du nach inhaltlichen Kriterien und Zielsetzungen vorgehst?


Die Sachen entstehen nicht mehr linear. D. h. ich schreibe nicht von A bis Z den Text runter, so wie man ihn liest. Oft habe ich für den Schluss eine Idee, baue eine Klammer aus Anfang und Schluss, dann entsteht plötzlich eine Idee für die Mitte, meist schreibe ich mehrere Texte und Gedichte gleichzeitig, so bleibe ich im Fluss. Sowas kann ich nur von Hand machen. Der Vorteil ist, dass ich nicht allzu deutlich schreibe. So verlese ich mich hin und wieder, aber eben das, was ich stattdessen lese, wenn ich es mir laut vorlese, ist oft noch mehr am Eigenen dran, kommt nun wirklich aus mir selbst. Und es geht ja genau darum, einen Weg zu finden, das Innere – oder hochtrabend gesagt, das Unbewusste, Sublime – zutage zu befördern und diese ganzen rationalen Bremsen, allen voran den Selbstbeobachter, der auf ein „gutes Gedicht“ lauert, zu überlisten. An dem vorbei muss ich Texte schreiben, der liest ja immer mit.
Manche Sachen hebe ich mir Jahre auf, bis sie irgendwann ihren Platz finden. Da muss ich schauen, dass ich eine gute Umgebung dafür schaffe, oder, wie du sagst, ein Gefüge. Auch wenn ich mich beim Schreiben häufig anderer Inspirationsquellen bediene und Dinge auf mich wirken lasse: das Gedicht kommt immer aus mir selber. Ich bin ja derjenige, der diese Fundstücke einbaut, zu Texturen verwebt, der sie umbaut. Ich habe alte Kladden aus den frühen 90ern, als ich gerade anfing, meine „poetische Identität“ zu finden, wenn man es so nennen kann. Da sind auch Sachen drin, die jetzt erst in Texte einfließen. Mir gefiel auch mal eine Zeitlang das Wort Auswaschungen. Wie eine Formation aus Lava oder Ähnlichem am Strand, was da durch immer neues Auswaschen stehenbleibt. Alles Überflüssige, Haltlose wird weggewaschen. Hinzu kommt der Prozess, dass ich mit Fremdem, das mich irritiert und deshalb anregt, erst das ganz Eigene finde.
Metrum: ich gehöre ja zu den Leuten, die sagen, es gibt keine Texte ohne Metrum. Denn Worte haben ihre Hebungen und Senkungen. Und auch wenn ich die freie Form wähle, werde ich mich dann unbewusst an Klängen und Binnenreimen und Versmaß und Alliterationen ausrichten: Rein formal ist ein Prosagedicht ein Prosagedicht. Aber wenn ich es genau lese, werden mir auch da gewisse Arrangements auffallen, klanglich, rhythmisch. Sonette habe ich auch versucht. In meinem ersten Band gibt es eine Reihe von experimentellen Sonetten, wo ich Sprachmaterial erzeugt habe, das ich in 5-hebige Sonette eingefügt habe. Das fand ich damals ganz reizvoll. Das Heikle daran ist, für mich, dass ich einerseits das Sonett bis aufs I-Tüpfelchen erfüllen will, also formal, andererseits aber den Impuls verspüre, den ja viele haben, mich dennoch über die Form hinwegzusetzen. So sind meine Sonette in dem 2006er Band keine Sonette, die immer alles Formale punktgenau erfüllen. Ich glaube, das scheinbar Restriktive, das all diese traditionellen Versformen haben, ist für viele Lyriker genau der Punkt, es sein zu lassen.

Ein wichtiges Thema, das sich durch alle deine Arbeiten zieht, ist ja die Sprachkritik, wie sie bereits bei Nietzsche und Mauthner vorgenommen wird, du sprichst dabei als deine Methode immer wieder von einem „Aufbrechen der Sprache“. Ist das überhaupt sinnvoll möglich?


Also, die Sprache ist natürlich die Sprache, und die wirkt seit unserer frühesten Kindheit und hat so manche festgefahrenen Bedeutungen. Auf diesem Abgenutzten aber kann ich ansetzen, indem ich Wortinhalte wieder neu heraushole, herausarbeite, dass sie neu strahlen, um das, was ein Wort eigentlich ist, was darin steckt, neu erlebbar zu machen. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wenn ich von Aufbrechen spreche, meine ich, dass man das Alltagsgeflecht der Sprache, die eingeübten Muster unterläuft. Die Bandbreite reicht vom Umstellen der Worte über das Umdrehen semantischer Bezüge, Sprachwendungen umzukehren bis hin zum Finden neuer Termini, oder Worte zu zerlegen in Morpheme u. ä. und sie anders zusammenzufügen. Gerade so Sätze, in denen ein ganz kleiner Fehler ist, lassen dich aufhorchen. Wenn ich hinschreibe: du hast mich in Verwendung, ist das ein klein wenig irritierend, wenn ich aber schreibe: du hast mich in Verwundung, fängt da etwas ganz stark an zu arbeiten, wird schnell auch zum schmerzhaften Bild.


nachrichten von nirgendwo


let’s talk about luftschloss. landschaftsbild mit lemur. eine longlist an lobliedern. unterwegs in sachen quest. lösungsorientierter ansatz. lebensfäden. das skillen deines charakters. gehen wir eine dampfen. sagst du im chat. du formst blutgrüne etappenziele. ein mensch von ekelstem geblüt. sorry for trolling.
worte auf zeitungspapier verbrennen. tandaradei. wüstenei sui generis. subskribierte subtexte. minuskelspiele. ein wort schwelt in lebensgefahr. das weiße rauschen. no remorse. no regret. tag und nacht diese gesänge. da kokelt was. flammen erforschen ihr objekt. bohren nah am suffix in die endung.
morgensonnenmonogramm. ich bin nur eine kugelschreiberskizze. ein weißes blatt. gähne leer. zwinkerndes lichtlied. verschneite sonne. ich bin nur ein ausschnitt. vollverkabeltes etwas. bauteil. die substanz intoniert schall und welle. verfertigt geräusche. hält rhythmisch maß. soweit das auge.

(unveröffentlicht, 2013)


11.06.13, Ustka, Hafen, Taverna Viva

Karol ist ein roter Fratz an der Grenze von niedrig kariertem Fachwerk, kaschubisch für Schleppkahn und Süßteile auf der Promenade eine Apfelscheibe hineinlegen in den langen Abend ein kleines Karussell. Grobe Holztische mit Hafen und kleinen späten Kinderwagen spät geniest an den Damentisch ein rotes Kinderbier hinter dem Leuchtturm und noch so hell. Die Polen sind die Franzosen unter den Wikingern mit kürzeren Kartoffeln, dafür schöneren Seesanddünen, dafür viele Bötchen die Küste entlang, notfalls mit Sahne noch weniger als. Das sieht doch ein Löffelchen Urlaub mit Strandbad ignoriert doch den Wind! Einmal probiert vom guten jeder kann schreiben und schmecken und rot oder grün, schleckt am soliden, gediegenen Urlaubshunger. Nur mit dem Bus einen enormen Bauch und Fitness-Waldbeeren, Herz auf Tisch ich trau mich doch nicht, dies ist nicht die Gegend für Pelzkrägen im Juni mit Heidelbeer geschützt auf dem Bike um das Eck. Ein gutes Eis hinterlässt eisiges Schweigen! Wir hingegen rüsten uns für weitere Flußmündungen und Fleißmündungen, eifrig schnäbelnd am Wod(k)a kann es nicht liegen, andere Geschichte auch Hafenarbeit, ein Bier und ein Bier und dann gut.

(2fell = Christel und Armin Steigenberger)






#341


und am himmel myriaden von damoklesmüden
schwertern, an den ausläufern just nah am refresh.
das rote dort oben unserer gedanken nest: das kleine
schwebstöffchen, dieser same, bestens getarnt, späht
dir ins offene herz. es wird so sein, dass wir guter dinge
sind von januargesetzten blüten und götzen betört im garten
tränen säen. tränen säen. tränen säen. tränen säen.
und etwas taubengurren, schläfrig, an nachmittagen, wenn
wenn draußen alles um vogelstimmen herum erstarrt.
dann plötzlich erwacht dein herz um etwas mildes herum
und schlägt pret? warum pret? warum pret? warum pret?
und am coltranefarbenene himmel. und am himmel ein glanz
von #66. wo sind shakespeares sonette, wo.


Zusammenfassend könnte man also sagen, dass du weder zu den Lyrikern gehörst, die Anhänger der Collagetheorie sind und Inspiration für einen altmodischen Irrtum halten, noch zu denen, die allein auf Intuition setzen. Sondern dir deine Einfälle und Eingebungen notierst und später collagierst?

Naja, eigentlich umgekehrt. Intuition ist ja immer da. Also, mein „Job“ als Lyriker ist es, Intuition zu haben und sie umzusetzen. Woher auch immer sie kommt. Intuition ist nur die Kraft, die Dinge zu arrangieren, die schon da sind. Das zumindest ist mein Bild davon. So ist ja auch der Titel zu meinem Buch entstanden, aus dem Clausewitz-Zitat, „Die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln“, das ich verfremdet habe. Verfremden ist eine Art, sich an etwas zu reiben. Durch diese Bearbeitungen mache ich es zu etwas Eigenen, in diesem Aneignungsprozess wird die Intuition erst geweckt. Ich glaube auch sehr an Spontanität. So, wie ich es anfangs hinschreibe, hat es oft am meisten Kraft, und inzwischen habe ich den Mut, Texte auch mit kleinen „Fehlern“ und Ecken und Kanten einfach stehen zu lassen.

Du bist ja Architekt von der Ausbildung her, auch wenn du diese Disziplin nicht beruflich ausübst - inwieweit, würdest du sagen, wirkt sich das auf die Gedichte und ihre Konstruktion aus? (Ich meine, deine Sprach-Bauteile, die du collagierst, sind ja auch Module, so wie architektonische Container-Fertigteile).


Also, im Architekturstudium und auch in der Arbeit als Architekt habe ich sehr viel gelernt. Im Grunde gibt es da viele Parallelen, auch da gibt es neben all dem Funktionalen auch Diskurse der Ästhetik, des Materials, was man machen kann. Das ist hochspannend. Ich habe da viel gelernt, was große, übergeordnete Strukturen betrifft. Die Architekten arbeiten rein deduktiv, also von der ersten Skizze auf Skizzenrolle hin zum fertigen Bauwerk, wobei da eben auch Prozesse passieren, in denen sich etwas ändert. Von der deduktiven Vorgehensweise musste ich mich wieder lösen. Heute arbeite ich eher von unten nach oben, also komponiere gefundene fertige Details zu ganzen Textgeweben. Der Architekt schafft erst das grobe Gewebe und dann putzt er an den Details herum.
Es wäre ja schön, wenn es so Module gäbe, aber bei Gebäuden, die genau einmal gebaut werden, gibt es das nicht so wirklich. Momentan faszinieren mich Fertigungsweisen, also das Ausdrucken von Bauteilen mit 3D-Druckern. Das geht schon mit unterschiedlichen Materialien. Es ist nur noch die Frage der Zeit, bis man ganze Häuser ausdrucken kann. Die Maschine, die das alles Schicht für Schicht hochzieht, vollautomatisch: Faszinierend und erschreckend zugleich. Die Autos, die wir heute fahren, sind ja auch schon zu ganz vielen Anteilen von Maschinen vollautomatisch gefertigt. Wobei ich das Computergesteuerte immer auch hochkritisch sehe. Was kommt uns abhanden? Wie viel Verantwortung gibt man ab?
Ich kann mir bei Gedichten nicht vorstellen, dass sie sich replizieren lassen. Oder dass sich replizierbare Teile verwenden lassen. Dass es überhaupt so etwas gibt wie Module. Wobei sich Kenji Siratori, wenigstens damals, als ich mich damit befasst habe, so um die Jahrtausendwende herum, eben genau mit solchen immer neu variierten Textteilen, Modulen quasi, beschäftigt hat: Cyberpunk. Ich denke, dass er seine Texte durch irgendein Computerprogramm gejagt hat. In den 90ern und frühen 2000er Jahren habe ich auch mit Computertexten und Textmodifikationsprogrammen experimentiert. Es gibt ja im Netz einige Gedichtgeneratoren, die Gedichte ausspucken, aber die meisten Computertexte hatten und haben für mich zu wenig Aussage.

Wie, würdest du sagen, unterscheidet sich dein erster Gedichtband, „gebrauchsanweisung für ein vaterland“ von der neuen, gerade bei Horlemann erschienenen „fortsetzung des glücks mit anderen mitteln“? Mir scheint der frühere Band plakativer zu sein, zugleich offensichtlich politischer – dafür weniger artistisch in der Sprachgestaltung…


Der neue Band ist ganz klar länger gereift. Bei meinem ersten Band hatte ich das Angebot vom Verlag und habe die Chance beim Schopf gepackt und das alles mehr oder weniger über Nacht zusammengestellt. Das würde ich heute anders machen und vermutlich auch weniger Texte nehmen. Ja, da war ich politischer, oder sagen wir, ausgesprochener. Zwischen dem ersten und dem zweiten Band liegen nun 8 Jahre und von der Menge der möglichen Texte her hätte ich drei Bände machen können. Jetzt habe ich eine Auswahl geformt, bei der ich sehr lange abgewogen habe: was passt, was passt nicht.

Was schreibst Du denn aktuell für Texte?

Es geht wieder mehr in die experimentelle Richtung. Das, was ich vorhin schon etwas skizziert habe, die Texte werden epischer, aber entstehen nicht mehr linear. Momentan bin ich über einem Mammutprojekt, das hat sich so entwickelt, will eigentlich nichts verraten … nur so viel: ich schreibe seit Jahresbeginn jeden Tag in einer Art Tagebuchniederschrift , das hat für mich eine Hauch von Fluxus, es fließt auch schön, ich habe noch nie so viel geschrieben wie momentan. Die Texte haben nur noch Nummern. Da lassen sich ganz gut Gedichte draus formen, habe da auch schon hauptsächlich bei Lesungen einiges vorgetragen.

KK



* Dominik Dombrowski in seiner Beprechung von "die forsetzung des glücks mit anderen mitteln": "Es ist eine Art satirische-zeitkritische Auseinandersetzung, die eigentlich keine Satire ist. Mehr eine Ver(s)schmelzung, eine Auflösung der Satire im Melancholischen."



auswaschungen 2


blutbuchstaben sind keine gläubiger der
spaßgesellschaft, es ist der puls der
unzeit, der über eingabemasken oszilliert,
die handschrift fernwirkender waffen

der leib geht an kompakter sahne zugrunde.
man guckt weg.

die fische liegen seitlich der sichel, die not
ist der bornierteste vagabund


(gebrauchsanweisung für ein vaterland, 2006)

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