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Armin Steigenberger: die fortsetzung des glücks mit anderen mitteln

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Dominik Dombrowski

Wilde Musiken  – „die fortsetzung des glücks mit anderen mitteln“ – Neue Lyrik von Armin Steigenberger



Mit den Gedichten Armin Steigenbergers machte ich erstmals im Jahr 2008 Bekanntschaft. Es war bei einer Veranstaltung der Schwabenakademie des Klosters Irsee, welche dort diesen mittlerweile schon recht traditionsreichen Literaturwettbewerb, den sogenannten „Irseer Pegasus“, ausrichtet, der sich dadurch auszeichnet, dass an die fünfzehn geladene Lyrik- und Prosaschriftsteller je ihre Texte vorstellen und die anderen Autoren immer dazwischen, orchestriert von einer vierköpfigen moderierenden Jury, darüber diskutieren lassen. Am Schluss, nach etwa zweieinhalb Tagen, werden dann aufgrund eines Punktesystems, ausschließlich von eben den teilnehmenden Autoren, drei Preisträger gekürt. Ich selbst hielt mich damals, weil ich kein Akademiker bin, bei den ganzen Diskussionen ziemlich zurück und hatte plötzlich – deshalb erwähne ich es – nach eben der Lesung des Dichters Armin Steigenberger, plötzlich doch den Impuls, mich zu Wort zu melden. Grund hierfür war, neben der poetischen Ausgebildetheit, die mir bei diesem Lyriker sofort aufgefallen ist, seine absolute Willkürlosigkeit in den Versen, will sagen, ich spürte bei diesen Texten intuitiv, noch bevor ich sie vollends verstanden hatte (denn das geht nur ausnahmsweise bei guter Lyrik und nicht nach dem ersten Hören), dass sie mich gleichzeitig musikalisch berührten und etwas zu sagen hatten; ich spürte hier eine direkte konsequente Glaubwürdigkeit im Sinne dessen, dass dem Stil ein inhärentes Mitgefühl im Zweifelsfall zugunsten einer schnellen Zunge eignete. Ich traf hier auf eine Balance zwischen absoluter, sich zu wortaussortierender Gebundenheit verpflichtender und dennoch lustvoll-begabter (unschwatzhafter) Klangvirtuosität. Ziemlich verblüfft war ich also, und hörte mich deshalb dann auch so etwas sagen, wie, „dass ich ein Buch Armin Steigenbergers sofort im nächsten Buchladen kaufen würde, weil diese Art des Schreibens mir das Gefühl geben würde, nicht übers Ohr gehauen zu werden.“ Dies war nun nicht gerade ein sehr literaturwissenschaftliches Statement, aber mich beglückte eben bei den Texten die Verweigerung von Koketterie in dem zu dieser Zeit immer forscher betriebenen Abwägen von Soundcheck an einer Prise Seelenstriptease, was das war, was ich satt hatte. Erstaunlicherweise gab es bei diesem Autor schon damals nicht diese sibyllinischen Nebelkerzen, oder deren Effektwillen zum Beispiel beim Durchmischen von Diametralem und wie man dazwischen übrigbleibt = Ich. Armer. Tor. Und eben dort, bei diesem Irseer Pegasus-Literaturpreis, hat Armin Steigenberger dann natürlich auch 2009 den ersten Preis gewonnen. Anders gesagt, ich fühlte mich endlich mal wieder von einem Dichter abgeholt - und nicht in seine Lektüre hineingezwungen. Geborgen in einem Buch zu sein, das stellte ich mir immer genauso vor wie bei diesen Steigenbergergedichten, erschütternd, zärtlich, meditativ wie auf Seite 53 der „fortsetzung des glücks mit anderen mitteln“:


das ist wie beim tee
der noch zieht während du ihn
bereits in die tasse gießt

das ist wie bei einem gedicht an das du
noch nicht einmal denkst wo dir
schon worte auf der zunge tanzen

das ist wie bei deinem todestag
den du jedes jahr begehst
ohne zu wissen dass er es sein wird


Nichtsdestoweniger: Effekte zu kreieren, einen Sound zu schaffen, das beherrscht der Autor natürlich darüber hinaus auch noch, jedoch als selbstverständliches Handwerk, über das er dann aber seine politischen, seine gesellschaftskritischen und philosophischen Diskurse setzt.

Die Gedichte geben sich somit äußerst ungern schnell zufrieden. Wo viele Lyriker schon ihren geglückten Lamettabehang feiern würden, froh, in etwa Atmosphärisches vermittelt und eine Stimmung aufgebaut zu haben (jenes berühmte „Kartenhaus aus aufgeweichten Bierdeckeln“) muß bei Steigenberger dennoch die höhere Ebene her, sprich eine Aussage, eine Meinung, eine Erlebtes mindestens noch eingebettet sein:


„wir schimmern an den rändern / schon durch. wir geben uns selbst nur zur hälfte / wieder. wir dichten rückwärts, stehen ganz oben / auf unserer playlist. wir leiten uns weiter / die haltbarkeit unseres glücks ist eine frage / sternenklarer gedanken. wir wachsen immer / weiter zu, bis wir mit grün überwuchert sind:“(…) (wir schimmern an den rändern, Seite 16). Ich habe einen solchen eigentümlichen lyrischen Ton im Grunde bisher eher selten gelesen. Es ist eine Art satirische-zeitkritische Auseinandersetzung, die eigentlich keine Satire ist. Mehr eine Ver(s)schmelzung, eine Auflösung der Satire im Melancholischen. Im Klappentext des Buches heißt es, der Autor nehme „mit spielerisch leichter Wortakrobatik unsere medial geprägte Wirklichkeit auseinander und setzt sie, ihr neues Leben einhauchend, so wieder zusammen, dass sie nun wertvoller und lohnender erscheint“. Stimmt zwar, ist aber vielleicht etwas zu kurz gegriffen, im Sinne dessen, dass man hier „Wortakrobatik“ leicht missverstehen könnte. Es handelt sich hier eher um virtuose Verse. Denn dieser Dichter beherrscht zwar all die Tricks der Neologismen, der Anglizismen, aber nicht um ihrer selbst willen, sondern eher zur Ausdeutung und zur Inkarnierung des Melodischen zur Einsicht: „ich beichte touchscreenmonitore, lückenlos / planierte mentalitäten, traumata, ölungen: / hinreißende premiumstunden / dienstagabends samt abwerbung friedlicher / david-hockney-himmel für meine sache." (ich gestehe den weltfrieden, Seite 80). Suggestiv geschickt werden da die falschen Fährten gelegt: „und dennoch packt uns zwischen den tagen auch / manch quicklebendig sommerlich abgeriss / nes fieber: richtig rot glüht unser / halbwildes leben, verleiht uns zügel.“ (fernbedingung, Seite 14) und eine Katharsis entfaltet sich dann desto gewaltiger, um sie in uns wiederhallen zu lassen: „(…) die kunst geht nach brot und nicht nach wein / davon nicht ausgenommen diejenigen die zum zeit / punkt ihres todes lächeln oder goldene kälber an / himmeln oder gar ihren inwendigen menschen suchen.“ (sapere aude, Seite 50).

Der Titel seines seltsamer- oder auch klugerweise erst zweiten Lyrikbandes (auch diese publizitäre Bescheidenheit könnte schon ein Qualitätsmerkmal sein) „die fortsetzung des glücks mit anderen mitteln“  ist meines Erachtens dann eine sehr sinnige Überschreibung innerhalb der Anordnung der fünfundachtzig Gedichte, ein Quellcode, von dem aus sich dann das ganze Steigenbergerische Universum ausdehnen wird, auf der einen Seite natürlich die Abwandlung und Verballhornung des bekannten Clausewitz-Zitats, andererseits dann implizierend ein postmodernes, sich im Absurden selbstsuchendes Sehnsuchtsmoment, fungiert der Titel somit schon als konzeptueller Wegweiser, die Gedichte sind so aufgestellt, dass sie von einer zeitkritischen Bestandsaufnahme in die individuelle Befindlichkeit bis hin zu einer eigentümlich-zarten, fast intimen Melancholie, etwa in der Gruppe mit den „Wir“-Gedichten führen („was uns beflügelt“, „was uns erschüttert“, „was wir loben und preisen“, „wer wir sind“, „was wir lieben“, „was uns etwas bedeutet“, „woran wir glauben“, „was uns verdunkelt“, „was wir vermissen“, „was wir persönlich nehmen“) und:


wovor wir angst haben
dass irgendwann ein kleines schiff
vorüberfährt mit uns selbst an bord
die wir uns auf unserer tauben
insel stehen sehn und
über unsere verrohung
die köpfe schütteln


um dann am Schluss, wie in einem klassischen existentiellen Satyrspiel ihr Grande Finale abzuliefern, ein großes Vergnügen. Denn da kommen eine Reihe von Venediggedichten, die ich so noch nie gelesen oder gehört habe „(…)vaterbusen italiens scheppse kirmeskloake / durch welche maske luren deine tauben / du gefütterte marmorlarve aus geld // langlebigster traum sommerlicher fluten / graziles nichts zauberischer metaseele / artifizieller meerschaum mit blick auf“ (san marco, Seite 73), obwohl man sofort denkt, sobald man sie gelesen hat, das müßte doch heutzutage geradezu auf der Hand liegen, etwas so zu schreiben. Warum es in diesem Buch keine Kapiteleinteilungen gibt, habe ich mich erst gefragt, muß man wohl verlagstechnischen Vorgaben anlasten, jedoch – andererseits, wenn ich es bedenke – gelingt damit doch aber auch so etwas wie ein eigentümliches existentielles elementares Stakkato, nicht fern einem Langgedicht, behutsam und atemlos sich aufbrausend eine Lebenserfahrungsschau, abenteuerlich, schillernd und bestimmt, treibt es einen durch diese Texte, immer weiterlesend mit dem Gedanken: - dorthin muß ich gleich nochmal zurück! Und immer wieder gehe ich zurück zum Gedicht auf Seite sechsundachtzig, ganz subjektiv jetzt mal mein momentanes Lieblingsgedicht in dieser vielschichtigen Lyrik:


fausertod

just heute wär ich   wenn ich jörg fauser hieß
beziehungsweise fauser geheißen hätt
schon tot   vom dunkel aufgeschluckt   ein
seltsames autobahnuntergehen

dahin vorbei die feier am rohstoffplatz
im münchner zentrum   aufprall   zu weit hinaus
getragen   rückwärtsreh   gebannt vom
scheinwerferaugenpaar   schier geblendet

im hellen licht verzückt es   verrückt der blick
dort   wo das auge heimwärts zur quelle spielt
das letzte zucken des subjektes
wilde musiken in sich bergend

Armin Steigenberger: die fortsetzung des glücks mit anderen mitteln. Gedichte. LYRIKPAPYRI, hrsg. von Mathias Jeschke. Berlin (Horlemann Verlag) 2014. 96 Seiten. 14,80 Euro.

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