Zeitschriftenschau
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Hendrik Jackson
Zeitschriftenschau
außer.dem, Das Gedicht, Metamorphosen, alba, Lichtungen und
zu guter Letzt die Manuskripte
Vor mir liegen 5 Literaturzeitschriften (zur sechsten erst
am Ende), die unterschiedlicher kaum sein könnten: Sowohl was ihr Format
angeht, ihre regionale Bindung, ihre Schwerpunkte, ihre Tradition und ihr
Design unterscheiden sich die Zeitschriften stark und spiegeln insofern das
weite Spektrum der Literaturzeitschriften. Was alle aber gleichermaßen
auszeichnet, ist der Raum, den sie auch der Lyrik einräumen.
Unter diesem Aspekt steht natürlich die Zeitschrift Das Gedicht noch einmal heraus. Sie ist ein inzwischen vertrauter Begleiter in der Lyrikszene und legt hier ihre Jubiläumsausgabe #25 vor. Für diese Ausgabe zeichnet diesmal nicht nur Anton G. Leitner verantwortlich, sondern auch José F.A. Oliver. Thema ist Religion, geordnet sind die Gedichte in neun Kapiteln den sieben Todsünden nach, dazu ein sich annäherndes und ein abschließendes Kapitel im einen Fall vorweg- und im anderen nachgestellt. Angesichts des Co-Herausgebers erstaunt ein wenig die Biederkeit der ausgewählten Gedichte, die überwiegend traditionell wirken, sowohl was Form als auch Inhalt angeht. Wir finden so bekannte Dichter wie Jan Wagner mit einem „Gedicht an Jona“ oder Franzobel, aber auch zahlreiche unbekanntere bis gar nicht bekannte Autoren und Autorinnen, was die Lektüre zu einer kleinen Entdeckungsfahrt macht.
So schön solche neuen Namen auch neben den altbekannten sind, so reizvoll die Gedichte auch thematisch geordnet sein mögen, die Auswahl krankt wie fast alle Lyrikanthologien zu einem Thema (zuletzt zum Beispiel die Anthropozän-Anthologie) ein bisschen daran, dass die Kontingenz der Auswahl (die Herausgeber sind ja gezwungen, von dem zu nehmen, was sie vorfinden oder was ihnen zugeschickt wird) mit dem Anspruch der thematischen Engführung kollidiert. Eher wäre ja doch ein Fokus wünschenswert, der das allzu weit gesteckte Feld ein wenig genauer in Augenschein nähme. So bekommt man zwar viele Beispiele, weiß die aber in der Landschaft des Themas („Religion“) trotz der Kapitel nicht recht einzuordnen. Vielleicht sind Titel wie „Lyrik im Anthropozän“ oder „Religion im Gedicht“ auch einfach ein wenig zu groß. Durchforstet man den Band daher mehr wie eine kleine Plunder- und Plündertruhe zum Thema, wird der Leser und die Leserin, je nach Fasson, fündig werden.
Die wie Das Gedicht in Bayern ansässige (dieses in Weßling, jene in München) Zeitschrift außer.dem parodiert in ihrer bereits 24. Ausgabe genau diesen Zwang zur Kohärenz, indem sie all ihren Beiträgen in der Einleitung einfach die Zahl 24 unterjubelt: 24 gedankeninnenansichten, 24 vorfrühlinge, etc. 24 also: An Ausgaben zieht diese jüngere Zeitschrift fast mit dem Gedicht gleich, ist allerdings nicht so umfangreich und auch etwas legerer in der Präsentation: Schriftgrößen wechseln sich munter ab, Textformen ebenso – und wenn Das Gedicht eine eher schnurrig-andächtige Erkundungsfahrt von Kapelle zu Kapelle ist, dann ist dieses kleine Heft eine geschwinde und gewitzte Fahrt mit dem Mountainbike über nur locker abgestecktes Terrain, querfeldein.
Der bereits erwähnte Oliver ist auch vertreten mit einem sehr langen Gedicht – und Texte solchen sprachexperimentellen Kalibers hatte man bei dem Gedicht ein bisschen vermisst. Interessanterweise führt das etwas wilde und „studentische“ Layout des Heftes nicht zu Desorientierung: die Texte sind spannend und so hintereinander geordnet, dass man den Parcours gut abfahren kann – ein kleines und großes Vergnügen.
Wechsel von München nach Berlin: die auch eher junge Literaturzeitschrift Metamorphosen bringt es auf immerhin schon 18 Ausgaben. Sie schafft es allerdings in der vorliegenden achtzehnten Ausgabe, ein Thema engzuführen und mit ihren Beiträgen eine thematische und konzeptuelle Dichte zu erzeugen: es geht um fake, ein sehr zeitgenössischer, um nicht zu sagen hochaktueller Gegenstand, der überdies den Vorzug hat, an den innersten Kern jeder Literatur zu reichen: die Frage nach dem Original, nach Originalität und mehr noch: die Frage nach der Diskrepanz zwischen Zeichen und Bezeichnetem. Denn hinter der Frage nach dem fake lauert natürlich immer die umgekehrte Frage: ob es überhaupt ein Original, ob es etwas Authentisches in der Literatur, die formal gesprochen ja auf der Wiederholung von Zeichen beruht, geben kann.
Wenn also die Wiederholung und das Spiel mit der Neuordnung von bereits Gekanntem die Grundlage jeder Literatur ist, dann muss alles Authentische in der Literatur ein Authentisches zweiter Ordnung sein. Deshalb ist es konsequent, dass der Autor Joshua Groß das Konzept des Authentischen gerade an Karl May hochziehen will, der es bekanntlich nie in den Wilden Westen geschafft hat.
Auch die Reportage aus Island über die Gründung der Walther von Goethe Foundation ist höchst frivol, überdies REAL. Konsequent im Sinne des ausgerufenen: fake is realness, gibt die Zeitschrift dann 5 Pastiches (Pastichen) Raum. Trotz einer rasanten Mischung von gesellschaftlichen, politischen und theoretischen Texten bleibt die Zeitschrift eng beim Thema. Gedichte gibt es diesmal nur eins, aber alles in allem: 5 (von 5) authentischen Sternen auf einer hart gefakten Bewertungsskala.
Bei Nummer 10 angekommen ist die ebenfalls in Berlin ansässige Literaturzeitshrift: alba, mit ihrem programmatischen Untertitel: Lateinamerika lesen. Ich stecke aber leider noch in der Ausgabe 9, von der ich schon seit langem berichten wollte. Das liegt wohl auch daran, dass die Zeitschrift zweisprachig ist, ich aber keiner der lateinamerikanischen Sprachen mächtig, gleichwohl aber das Bedürfnis habe, die Gedichtübersetzungen ein wenig nachzuvollziehen oder zumindest erahnen zu können (was ja ansatzweise mit Latein- und Französischkenntnissen möglich wäre) – und dementsprechend langsam wie eine Schildkröte vorwärts krieche, eher wie ein schleppender Alba-Tross denn als weißer Vogel, der in die Morgenröte fliegt.
Das aber ist nicht dem Magazin anzulasten. Wie oft, wenn man sich in eher unbekannten Kulturen bewegt, bekommt, was zu Hause vielleicht eher alltäglich wirken würde, einen exotischeren Reiz und Sätze oder Bilder blühen in solchen Kontexten leichter auf. Das kommt den hier abgedruckten Gedichten erst einmal zugute, verhindert aber auch, dass sich dem Kritiker Tiefschürfendes entlocken ließe: sein Auge weilt zu träumerisch bei den Gringos eines Rógers Santiváñez oder dem eigenartigen „Gesang des Feuers“ eines Ak‘abal, dessen Laute indianisch anmuten: „Waq‘ waq‘ waq‘ waq‘ ...q’aq‘ q’aq‘ q’aq‘ q’aq‘“ (man beachte die Links- und Rechtsdrehungen der Apostrophe). Faszinierend!
Schließlich die Grazer Zeitschrift Lichtungen, die im Format (also Größe und Satz) schon stark an ihre ältere Schwester Manuskripte erinnert. Schon ungewöhnlich, dass gerade das kleine Graz sich zwei solch bedeutende und irgendwie doch auch nicht ganz unähnliche Literaturzeitschriften leistet. Beide stehen nicht nur aus der österreichischen Zeitschriftenlandschaft heraus. Man hört, sie stünden in Konkurrenzverhältnis, was ein wenig an Revierderbys erinnert.
Die Ausgabe 151 (!) der Lichtungen möchte ich hier jedenfalls besonders hervorheben, da sie außer neuseeländischer Literatur, einem sehr interessanten Kunstteil im letzten Viertel auch mit einem Schwerpunkt: Junge Österreichische Literatur (darunter viel Lyrik) auftritt. Zwar lässt sich nicht behaupten, dass es in Deutschland der österreichischen Literatur an Beachtung mangelte, aber dies betrifft meist nur Literatur ÜBER einer gewissen Radarerfassung. Deshalb ist es umso interessanter, diese neuen Spuren zu verfolgen. Allein dieser Teil, von Christoph Szalay und Robert Prosser ausgewählt und herausgegeben, umfasst fast 50 großformatige Seiten, würde also schon Stoff für mehrere Rezensionen oder eine Doktorarbeit hergeben. Diese Fülle wird noch flankiert von etwas staatstragend geratenen, aber informativen Einleitungen zu den nach geographischen Gesichtspunkten unterteilten vier Unterkapiteln (Norden, Süden, Osten, Westen).
Da man von den Autorinnen und Autoren jeweils nur ein, zwei Gedichte zu lesen bekommt, hat diese Anordnung wohl eher einen rein informativen, denn einen literarischen oder szene-erkundenden Sinn, wie man ja überhaupt aus ein-zwei Gedichten weder Tendenzen, schon gar nicht biografische oder regionale Bezüge herauslesen kann. So wirkt es eher, als wolle man allen Partizipienten der Szenen gerecht werden. Besser wäre vielleicht eine inhaltliche oder qualitativ nochmal enger gefasste Auswahl gewesen (und dann zum Beispiel von manchen Autoren mehr Gedichte) – aber Mäkeln ist immer leicht. Dennoch neigt, in so einem ohnehin schon überfrachteten Heft, eine auf Repräsentanz ausgerichtete Auswahl zur Informationsvermittlung zu werden, eine Schlagseite, die auch diese Rezension selbst erfasst: für eine dem Thema gerecht werdende Ausführlichkeit ist immer zu wenig Platz, und doch erwartet der Leser mehr als Deskription. So besteht hier wie dort die Gefahr, dass man von den vielen kleinen Häppchen nicht satt ist, aber doch eigentümlich überfressen. Man verzeihe mir und den Lichtungen diese fast unvermeidliche Schwäche.
Alles in allem: Allein wegen ihrer Überschaubarkeit und ihrer inhaltlichen Stringenz (und ihres Themas) würde ich die Metamorphosen empfehlen. Sehr unterhaltsam und schräg ist außer.dem, die vielleicht leserfreundlichste der hier besprochenen Zeitschriften. Im Gedicht kann man gut immer mal wieder lesen und sich überraschen lassen, vor allem als Freund des eher klassischen Gedichts. Den an Lateinamerika Interessierten ist alba unbedingt zu empfehlen, und die Lichtungen bieten das meiste Material, die größte Diversität und erscheint insgesamt als die etablierteste und gewichtigste der Zeitschriften – um einen Einblick in das speziell österreichische Schreiben zu gewinnen, ist sie unverzichtbar, wird für den Leser, die Leserin allerdings fast eine nur ächzend zu bewältigende Leseaufgabe.
Gerade schwungvoll dies Fazit geschrieben, da erreicht mich die neuste Ausgabe der Manuskripte. Und auch auf die oben beschriebene Gefahr hin der Übersättigung, muss ich doch noch einen wenigstens werbenden Hinweis nachliefern (mehr würde die Rezension noch einmal um zwei Wochen verschieben) – denn diese Ausgabe ist aufregend geworden. Franz Josef Czernin ist vertreten mit Gedichten, die verblüffen. Fast schon mühelos scheint er seinen Stil wie ein Altmeister spielerisch neu erfinden zu können und legt überdies noch eine famose Gewitztheit an den Tag. Außerdem finden wir Gedichte der Manuskripte-Förderpreisträgerin Verena Stauffer und Lyrik von Friederike Mayröcker, Aleš Šteger, Johannes Kühn, Alida Bremer, Mikael Vogel & anderen hochklassigen Lyriker*innen.