Yrsa Daley-Ward: In den Knochen
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Timo Brandt
Yrsa Daley-Ward: In den Knochen. Übersetzt von Nora Bossong. Berlin (Blumenbar
/ Aufbau Verlag) 2020. 192 Seiten. 16,00 Euro.
(Auf)Begehren oder: „deine Geschichte kommt/ angerannt“
„Sieh doch, die Straße draußenist voller Menschen und trotzdemleerer als dein Innerstes, und der Himmelist noch dunkler als der Himmel in dir.Sieh selbst, es hilft ja nichts,wenn andere dir davon erzählen.“
Nachdem im letzten Jahr bei Blumenbar das poetisch angehauchte
biographische Buch „Alles, was passiert ist“ erschien, ist nun auch eine
Ausgabe der Gedichte von Yrsa Daley-Ward auf Deutsch verfügbar (leider nicht
zweisprachig, was ich immer bedauernswert finde, besonders aber bei
englischsprachiger Poesie, welche die meisten Leser*innen wohl halbwegs
verstehen könnten).
Diese Gedichtauswahl könnte man im Prinzip mit demselben Satz
übertiteln, mit der die ZEIT-Journalistin Carola Ebeling ihre Rezension zu
„Alles, was passiert ist“ übertitelte: Der Körper ist eine Falle. Eine,
in die man bei verschiedenen Gelegenheiten und auf verschiedensten Wegen tappt.
Man steckt in seinen Knochen, und was die Knochen, was der Körper erlebt,
steckt in einem; Geist und Körper stecken ineinander fest, ziehen und reißen
aneinander, bohren sich ineinander.
Was man in den Gedichten als Körperfeindlichkeit lesen könnte, sehe
ich als Thematisierung der Erfahrung, einen Frauenkörper zu haben (etwas, das
ich als Mann, dessen körperliche Unversehrtheit in den meisten alltäglichen
Zusammenhängen gewährleistet ist, nur bedingt nachvollziehen kann), der sich
oft in einem gefährlichen Zwielicht von Besitzwünschen, Schönheitsidealen,
Tabus und anderen Fremdprägungen wiederfindet – und der aber auch ein Körper
ist, der selbst begehrt, individuell ausgeprägt, Vehikel für Genüsse, Freuden,
Schmerz und vieles andere, Hülle eines Selbst.
In einem Gedicht mit dem Titel „Notfallwarnung“ intoniert Daley-Ward
das Bild einer Person von einer anderen, in dem toxische, übergriffige
Zuschreibung und aufrichtiges Begehren ineinanderfließen, schwer voneinander zu
trennen:
„Mein Verstandagitiert gegen meinen Körper.Ein Teil von mir verwildert, der Restlehnt sich auf. Du bist schön und gefährlich.Zwing mich nicht, mich zu öffnen. MancheBücher bleiben nicht grundlos auf Jahreunaufgeschlagen. Manche Bücher werdenum ihrer selbst willen verbrannt, meinHerz.[…]Vielleicht, mein Herz, solltestdu an jene denken, die du elend machst, dieverglühen an dir, aus deren Poren du trittst.Du weißt, was du auslöst. Du bist einschleichendes Fieber. Sei nicht so reizend,so witzig, so geistreich, so klug.“
Gedichte wie dieses, die bis an die Haut gehen und dann darunter, sind die stärksten in dem Band. In ihnen vollzieht sich in vielen Facetten die Geschichte einer Körperlichkeit, voller Empfindungen, die fast immer auf Versehrungen, Verletzungen oder deren Überwindung, ein Hintersichlassen, zurückzuführen sind; auf Wunden, von anderen zugefügt oder von einem selbst.In dem Titelgedicht „In den Knochen“ zählt das lyrische Ich bspw. einige Sexualpartner auf:
„Von Nr. 1,der sagt: »Nicht weinen,irgendwann gefällt’s dir schon«,[…]zu Nr. 5, der sagt, den eigenen Körperherzugeben ist nicht ohne,aber du kannst das richtig gutzu Nr.6,der nach Zigaretten riechtund sagt: »Komm schon, ich merk doch,dir gefällt das«,“
und am Ende heißt es:
„Zum Glück schaffst du’s immerzurück auf nulljedes Malzurück auf null.Wie sonst vernäht man die Risse?Wie sonst steht der Körper das durch?“
Im Vergleich zu Poetinnen wie Koleka Putuma oder Kate Tempest sind Daley-Wards Gedichte weniger kämpferisch, weniger wütend, sie konstatieren vor allem, reflektieren, begeben sich in den Schmerz und beschreiben seine Innenräume, seine Fluchten und Wände. Die wichtigsten Ansagen darin sind keine nach außen gerichteten Verlautbarungen, sondern trostvolle und mahnende Worte an das eigene Ich.
„Niemand warnt dich vor dir selbst.Dem Rot in deinem Auge.Der Falle in deinem Mund.Letzten Endes wird dich ein Mensch am meisten verletzen:Du.Du, fast jedes Mal.“
„Das Wichtigste: Sei unbesorgt.Der Kummer, der deine Züge beschwert,hindert die Sonne nicht daran aufzugehen.Deine Tränen färben nicht aufs Wetter ab.Es werden Kriege geführt.Der Krieg in deinem Körper ist der einzige,den du mit Sicherheit gewinnst oder verlierstund wieder verlierst.“
Yrsa Daley-Ward begann ihre Karriere als Lyrikerin auf Instagram, und (damit ist bei mir keine implizite Wertung verbunden) das merkt man auch. Es gibt einige rhetorische Allgemeinplätze und viele kurze Gedichte muten sehr aphoristisch an, sind manchmal nah an der klassischen Lebensweisheit; man merkt, anders formuliert, dass manche dieser Texte eher dazu gedacht waren, Erlebnisse und Gedanken, möglichst direkt und allgemein formuliert, mit anderen zu teilen, weniger als Verdichtung, poetisch aufbereitet.Auch diese Passagen haben ihre Qualität, aber natürlich nicht die Intensität mancher ihrer langen Gedichte und nicht die Komplexität und Dichte von Texten vieler anderer Lyriker*innen, die heutzutage publizieren. Sie bilden vielmehr spruchreife Zeilen heraus:
„Wir verlieben uns da in etwas, dass wir schon baldfür Liebe halten werden.[…]Der Unterschied zwischen Anziehungund Harmonieein Tritt in die Magengrubevon Zeit zu Zeit.[…]Seltsam,dass Schönheitmeist auch nur ein Gefängnis ist.“
Lebendigsein als angeschlagene Existenz, diese Frage, dieses Motiv, dieses Ziel umkreisen viele der Gedichte. Es gibt allerdings noch einige Thematiken, die in den Gedichten verhandelt werden, die ich bisher noch nicht genannt habe, dazu gehören: Religion, Hautfarbe, Missbrauch.Zwei der stärksten Texte sind Langgedichte: in dem einen wird die Beziehung zum toten Vater aufgearbeitet, im anderen die Geschichte einer Frau erzählt, die herausfindet, dass ihr Mann gerne Frauenkleidung trägt und sich mit anderen Männern triff – letzteres endet mit einem religiösen Mob.
„Schon mein Vaterwar ein langes düsteres Märchen.So ist es undso wird es sein.“
Ich finde es immer schwierig, Qualitätsmaßstäbe irgendeiner Art anzulegen, wenn Intensität und Bedeutung der Texte einem von der ersten Seite an ins Gesicht springen. „In den Knochen“ ist ein aufwühlendes Buch, viele Gedichte darin sind Dokumente eines exemplarischen Lebensgefühls, getragen von einer manchmal etwas haltlosen, aber darin authentischen Diktion. Man kann erahnen wie übermächtig hinter manch schmalem, leicht unzureichenden Satz ein Erleben, eine Angst steht, die sich Bahn zu brechen versucht.Allein, dass sie diesen Abgrund zwischen den Knochen des Ausdrucks und dem Fleisch der sich darüberlegenden, die Sprache überragenden Intensitäten verkörpern, macht diese Gedichte schon zu etwas Besonderem und Lesenswertem.
„Angst vorm SchreibenIst ein gutes Zeichen.Es muss wohl wahr sein,wenn es dir davor graut.“