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Yevgeniy Breyger: Ausflug nach innen

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Birger Niehaus
 

Yevgeniy Breyger: Ausflug nach innen. Kleine Liste. Leonberg (Verlag Ulrich Keicher – Reihe „Unter Sternen“, Wendeband mit Norbert Hummelt: Ankunft. Genese eines Gedichts) 2021. 14 Seiten (+ 16 S. Wendetext). 15,00 Euro.

Yevgeniy Breyger: Ausflug nach innen.
Von Mandelstam ins Schmetterlingstal

In seinem Essay Ausflug nach Innen. Kleine Liste verfolgt der Leonce-und-Lena-Preisträger Yevgeniy Breyger seinen poetischen Werdegang zurück, würdigt poetische Weichensteller und verhandelt u. a. Fragen nach Originalität und Schönheit in der Lyrik. Erschienen ist der Text im Verlag Ulrich Keicher in der Reihe „Unter Sternen“. Diese umfasst Essays, die im Zusammenhang mit dem gleichnamigen Format des Literaturhauses Stuttgart und des Hospitalhofes Stuttgart entstanden sind und „strahlende Schönheiten der zeitgenössischen Poesie mit ihren leuchtenden Vorfahren der Poesiegeschichte“ verbindet, wie es so glastig im editorischen Nachwort heißt.

Breyger, der aus der Ukraine stammt, beginnt bei seinen ersten poetischen Leseversuchen mit den Klassikern der russischsprachigen Moderne des 20. Jahrhunderts: Marina Zwetajewa, Ossip Mandelstam, Anna Achmatowa. Im Deutschen beeindruckten ihn u. a. Rilke, später Daniel Falb, Uljana Wolf, Daniela Seel und Norbert Hummelts Übertragungen von Inger Christensens Schmetterlingstal (Letzterer ist übrigens mit einem eigenen Essay im selben Doppelband vertreten).

Anhand seiner ersten Mandelstam-Imitationen konstatiert Breyger gleich ganz klar, dass Originalität nur ein Phantasma sei, und knüpft damit, so meine erste Assoziation, beispielsweise an Raoul Schrott an. Dieser hatte in seiner Dankesrede für den Peter-Huchel-Preis das eigene Schaffen vor allem zu einem Masken- und Perspektivenspiel mit anderen Dichtern erklärt, als „eine Komparatistik des Blicks, in deren Differenzen das eigene Ich Gestalt gewinnt“*. Breyger schreibt:

„Wer Originalität behauptet, lügt – hinein in die Leere des eigenen Körpers, in dessen unzulängliche Bewegungen, in die Tollpatschigkeit der Augen beim Sehen der Dinge, wie sie sind. Die Originalität als solche muss hart erarbeitet werden und kann sich bloß an sich selbst messen, unabhängig von Referenzen, unabhängig vom eigenen Text, der im Eintreten in die Welt einen autonomen Raum, eine Behausung für sich allein beansprucht.“ (S. 5)

Wiederholt betont er diese (auch rückwirkende) Absage an einen Originalitäts- und Geniekult (vgl. S. 11). Darüber hinaus hebt er die Beherrschung des Schreibhandwerks (S. 8) einerseits, andererseits den unabdingbaren Sinn für Schönheit bei der Lyrikproduktion hervor: „Die Kategorie Schönheit blitzte neu auf, verwandelt in einen Hybrid aus Vergangenem und Zukünftigem“ (S. 9), heißt es über ein wichtiges Leseerlebnis bei Uljana Wolfs Zyklus flurstücke. Dementgegen steht das „plumpe zeitkritische Gedicht“, das in seiner Zustimmungsheischerei „herzlich wenig auslösen“ kann, denn „Zustimmung ist der Tod alles Denkens, des Diskurses und der Kunst“ (S. 13).

In diesem Sinne ein kleiner Kritikpunkt: Als er die Bedeutung von Jan Kuhlbrodt und Martina Hefter für sein Schreiben darlegt, verliert sich Breygers sonst klare und kompromisslose Sprache leicht ins Klappentexthafte, gipfelt in einer Kaufempfehlung ihrer gesammelten Werke, die bei aller Unterstützungswürdigkeit etwas deplatziert wirkt. Auch die Eloge auf die Lehrenden am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig gehört in ihrem Aufzählungscharakter eher in eine Dankesrede als in einen Essay.

Ansonsten habe ich Breyger gern auf seinem Ausflug nach innen begleitet. Belesen und sympathisch, ohne den Konflikt zu scheuen, entfaltet er das Panorama seiner poetischen Welt, teilt es, setzt Impulse, die jene Tradition, in die er sich einreiht, fortführen werden. Meine kleine Leseliste ist nach der Lektüre jedenfalls gewachsen.   


*Schrott, Raoul. 1999. „Die Kehrseiten der poetischen Münze. Rede zur Verleihung des Peter-Huchel-Preises 1999“. In: Heinrich Detering und Michael Roesler-Graichen (Hgg.), Die Kieler Liliencron-Dozentur für Lyrik. Kiel, S. 24–31. Hier S. 26.
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