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Wolfgang Schiffer: Ich höre dem Regen zu

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Elke Engelhardt

Wolfgang Schiffer: Ich höre dem Regen zu. Gedichte. Nettetal (Elif Verlag) 2024. 112 Seiten. 20,00 Euro.

Wolfgang Schiffer – Ich höre dem Regen zu


Es könnten Regentropfen sein, die größer oder kleiner, durch spirallförmige Ornamente fast dreidimensional wirkend oder ganz schlicht, das Cover von Wolfgang Schiffers neuem Gedichtband schmücken. Die Augen, die das Zentrum der Tropfen bilden, erinnerten mich aber trotz des Titels, der wie ein Regenstrahl klar und senkrecht auf den Band gedruckt ist, spontan an Theodor Storms Märchen „Der kleine Häwelmann“. Vermutlich war das nicht die Intention von Ragnar Helgi Ólafsson, der die Gestaltung übernommen hat. In Island dürfte das Märchen nicht besonders bekannt sein. Dennoch scheint mir meine Assoziation nach dem Lesen der Gedichte nicht vollkommen unpassend zu sein. Denn die Gedichte, die Wolfgang Schiffer für diesen Band zusammengestellt hat, beklagen nicht zuletzt diesen sehr menschlichen Charakterzug des kleinen Häwelmann, der immerzu „mehr, mehr“ will. Die Ungeduld, das Unmaß, die die Erde an den Punkt gebracht haben, an dem sie nun steht.

In seinem neuen Band „Ich höre dem Regen zu“ lauscht der Dichter Wolfgang Schiffer nicht nur dem Regen, der entweder ausbleibt und die Erde austrocknet, oder so heftig fällt, dass Menschen nicht nur Hab und Gut, oder auch ihr Leben verlieren, vielmehr ebenso sich selbst und ihre Gedanken.
        Zwischen zwei Dilemmata, die das Buch rahmen, zeichnet er den Zustand seiner Heimat und seines Denkens auf. Mit all ihren Begrenzungen und Unzulänglichkeiten. Mit einer großen Aufrichtigkeit und klaren Haltung gegen Krieg und Gewalt. Mit einer großen Verzweiflung angesichts des Unrechts und Leids der Welt. Er tut dies nicht anklagend, seine Gedichte sind eher Protokolle dessen, was Schiffer sieht oder hört. Die trostlosen Dinge, wie der Krieg gegen die Ukraine, der kein Ende findet, aber auch der Trost, der sich in der Beobachtung kleiner Naturphänomene findet.
      Das lyrische Ich erinnert sich an kindliche Grausamkeiten anderen Kindern oder Tieren gegenüber, denkt über das Wesen der Erinnerung an sich nach, analysiert und erzählt Träume, relativiert den eigenen Schmerz, indem er ihn mit dem Leiden der Menschen vergleicht, die in den Krieg ziehen müssen, deren Heimat sich nachhaltig in ein Kriegsgebiet verwandelt hat, oder die ihre Heimat verlassen mussten.
       Es entsteht ein Wahrnehmungsprotokoll, das aufzeichnet, wie die Sprache angesichts der Tatsachen immer wieder an ihre Grenzen stößt.
    Gleichzeitig findet eine Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit statt. Ganz unaufdringlich, fast nebenbei, in einer wie hingeworfenen Zeile inmitten des Gedichtes. Wenn das lyrische Ich über die Pappeln der Kindheit sinniert, darüber, wie Jahreszeit auf Jahreszeit folgt

„[…] jeder Nacht ein Tag und eine neue Nacht.
Und ich schließe für einen Augenblick die
Augen und denke: und mir ein anderer Mensch.“
Es ist gerade diese Beiläufigkeit, die die Erkenntnis der ei-genen Bedeutungslosigkeit und Sterblichkeit eine schmerz-hafte Wucht verleiht.

In „andernorts, ganz nah“ findet eine geistreiche Aus-einandersetzung mit Erkennen und Erkenntnis statt. Der Kosmopolit Wolfgang Schiffer verbindet dabei Kafka und Snorri Hjartarson, einen isländischen Dichter, San Francisco und das eigene Heimatdorf, aber auch das Einbeziehen von Brecht verhindert nicht, dass die Hoffnung vergeblich bleibt:

„[…] die Zeiten zum Besseren sich wendeten. Allein:
Es will mir nicht gelingen. Und auch dass der Nacht
nach zwölf Stunden der Tag schon folgt,
mag rechnerisch stimmen, düster bleibt´s doch.“
Und es ist ausgerechnet der Zweifel, der dieser pessimistischen Bestandsaufnahme noch einmal einen Dreh verleiht.

Die den Abschluss bildenden Gedichte „revisited 2024“ bekennen sich schließlich mit Vehemenz zum kleinen Unscheinbaren und gegen jegliche Ideologien, seien sie wirt-schaftlicher oder religiöser Art.
      Hier findet sich auch das Gedicht, das ich zum Abschluss beispielhaft für diesen Band zitieren möchte:

L. im Oktober

Erste Kälte in den Straßen.
Ein gelber Hund. Die Sprache der Mauern.
Wind. Kein Wind.
Die Haut raut sich von innen auf.
Die Welt in mir steht still.

Ruhe. Keine Ruhe, diese Stille.
Nicht atmen, die Kälte nur sehen
und den Hund nicht riechen.
Die Mauern schweigen.

Vom Tag bleibt nur das Warten auf die Nacht:
Alt stehen die Dächer vor dem ewig alten Himmel.

Nach dem Lesen, nach so viel Trauer und Ohnmacht, die Ausdruck in berührenden Gedichten gefunden haben, frage ich mich, wo die Wut bleibt. Ob Wut nicht ein angemesseneres Gefühl wäre gegenüber dem, was hier thematisiert wurde. Aber, wird mir dann klar, wir müssten ja auf uns selbst wütend werden, auf uns als Menschen, als die, die den Krieg nicht verhindert, als die, die die Zerstörung der Natur nicht gestoppt haben. Auf unsere Ohnmacht, auf unser „mehr, mehr“.
     Das zu erkennen, und Wolfgang Schiffer erfasst diesen Umstand mit jedem seiner Gedichte, löst die Wut in Resignation auf. Die einzige Hoffnung, der Lichtblick dieses Bandes, besteht im Festhalten am Wort, an der Formulierung, im Trost, dass auch das Trostlose sich benennen und auf diese Weise teilen lässt.


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