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Wolfgang Schiffer: Ich gehe

Werkstatt/Reihen > Reihen > Frühling
Wolfgang Schiffer

Ich gehe


nach Jahren den Uferweg entlang, der um den See
der Kindheit führt, die Uferböschung
und die Krakenarme ihrer Sträucher,
die übers Wasser ragen, zu meiner Rechten
und zur Linken der schmale Bach,
gesäumt von Butterblumen,
die gelb-leuchtend seinen Verlauf markieren.

Auch Pappeln stehen senkrecht, links und rechts,
ein wenig Wind fährt ihnen leis durchs Laub,
doch scheint mir, je weiter ich gehe,
dass sie, anders als früher, enger jetzt zusammenstehn
und ich frage mich, ob sich etwas geändert hat
in den Jahren, die ich nicht mehr hier gewesen bin.

Gewachsen werden sie sein, so sage ich mir,
aber geändert, wirklich geändert hat sich nichts.
Und dann wird mir sehr plötzlich klar,
wie unbedeutend ich, der Mensch, doch bin,
verglichen mit dem See, dem Bach, den Blumen
und den Pappeln, mit allem – selbst, wenn ich tot wäre,
wären die Auswirkungen auf all das gleich null.

Die Pappeln würden weiter stehn und wachsen,
die Winde würde wehen, die Blumen blühen,
jedem Sommer der Herbst, der Winter,
ein Frühling und ein neuer Sommer folgen,
jeder Nacht ein Tag und eine neue Nacht.
Und ich schließe für einen Augenblick die
Augen und denke: und mir ein anderer Mensch.


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