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Wolfgang Schiffer: Du sagst. Tagundnachtgleiche

Gedichte > Lyrik heute
Wolfgang Schiffer


Du sagst

du hast geträumt. Splitternackt bist du
über ein von altem Schnee verharschtes Feld
gelaufen, du bist getaumelt, gestolpert,
gefallen, doch dann gab dir wer
eine Uniform.

Nun bist du gelaufen, immer weiter, hin
zu einem nahen Wald, und obwohl du
vor Anstrengung keuchtest, hat dir dein Atem
wie ein Eiszapfen vom Mund gestanden,
waagerecht nur.

Und die Aaskrähen, hoch über dir
in der todstillen Luft, erfroren im Flug.
Der Traum hat dich erschreckt,

sagst du, mehr noch als die Nachrichten
am Abend zuvor. Und ich weiß nicht,
wie ich dich trösten soll.



Tagesnachtgleiche

Gestern, ich trat hinaus in den frühen Tag
der Tagesnachtgleiche und sah im fahlen Restlicht
des verhangenen Monds noch drei, vier Sterne
blass am Himmel stehen; ich streckte die Arme
nach ihnen und dachte, der ganze Himmel,
so du nur willst, ist deins.

Dann sah ich hinunter und sah, dass die Erde
zurückwich vor mir, mit jedem Schritt, den ich tat,
senkte die Straße sich tiefer hinab,
mit jedem Schritt entfernte sich das Haus
am Ende der Straße um genau diesen Schritt.

Reglos hielt ich inne, blieb stehen, hielt sogar
den Atem an. Da stand auch die Erde still,
selbst der frühe Gesang der Vögel verstummte,
und als ich aufsah, waren auch Mond und Sterne
im graublauen Dunkel der ausbleichenden Nacht
der Tagesnachtgleiche verschwunden.


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