Wolfgang Berends: Der nachtträumende Traum oder Wie die Bilder die Welt verstehen
Montags=Text
Foto: Daniella Jancsó
Wolfgang Berends
Der nachtträumende Traum
oder
Wie die Bilder die Welt verstehen
Wie kommen die Bilder zu mir, wo finde ich
sie auf? – An den Orten, die ich auch früher bereits aufgesucht hatte. Aber
jetzt hängen Worte dort in der Landschaft, an Bäumen, Bergen, Bächen … Das
Wollen bewirkt dabei nichts. Ein Bild ist nicht zu erzwingen, es ist ein
Geschenk. Lyriker nähern sich ihnen auf verschiedene Weise: Die einen konstruieren
die Bilder beschreibend. Andere sehen das poetische Moment in realen Bildern
und Zuständen und geben diese wieder. Meine Methode versucht mittels der
Zusammenfügung, in der Anwendung dieser Bilder des poetischen Moments, Wirkung
zu erzeugen. Das Zusammenbringen, die Verknüpfung ist dabei meine Tätigkeit:
Das Wort bei der Hand nehmen. Aber das Wort ist manchmal ein trotziges Kind: Es
gibt nicht jedem die Hand. Und es nützt dabei gar nichts, in eine Richtung
gehen zu wollen. Die Worte ziehen mich an ganz andere Orte: Sie machen das
Strömen der Luft sichtbar. Sie sind von etwas besessen, was bedeutet, daß sie
sich selbst nicht mehr gehören. Sie lassen sich besitzen von ihrem Genius. Er
ist das sie (ver)leitende Wesen: Es ist eine Selbst-Aufgabe, es ist ein Traum,
der die Nacht träumt.
Der Art von Lyrik, die mich überrascht, die
in mir etwas auslöst, ist gleichzeitig zu eigen, daß sie erneuert, daß sie
überleben wird und an ein Vorbild
anknüpft. Dies sind meines Erachtens keine Widersprüche. Das Tradieren der
Sprache sorgt für ein (Über-) Leben des Gedichts, für seine Zeitlosigkeit. Und
dies ist Teil seines Inhalts, weil der auch
geprägt durch Gefühle ist, welche
überwiegend archaischer Natur sind und mit den Worten ihres Ursprungs in einer sehr engen Verbindung stehen. Diese
Art Gedichte empfinde ich als
gelungen. Sie werden nicht alsbald vergessen, weil sie sich in meinen
Empfindungen „ablagern“. Ein Lyriker ist derjenige, der die Sprache
weiterdenkt. Jeder begnadete Lyriker denkt die Sprache weiter, denn die Sprache
ist ein Gedächtnisteil der Welt. Und Lyrik ist die Sprache, die uns denkt.
In Wolfgang Berends: Nach Durchsicht der Wolken. Wenzendorf (Stadtlichter Presse) 2016. 98 Seiten. 16,00 Euro.