William Shakespeare: Sonette
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Bernd
Lüttgerding
William
Shakespeare, Gesamtausgabe. Neuübersetzung von Frank Günther. Band 38: Sonette
/ Sonnets. Englisch / deutsch. Übersetzt von Frank Günther und Christa
Schuenke. Cadolzburg (ars vivendi) 2021. 200 Seiten. 33,00 Euro. ISBN
978-3-89716-193-1
»When
thou reviewest this, thou dost review,
The
very part was consecrate to thee«
»Der
ganze
Shakespeare! Noch nie ist es in den 400 Jahren gelungen, dass ein
Übersetzer alles … Und noch nie ist ein Übersetzer dem
utopischen Ziel so nah gekommen wie Frank Günther«, schreibt die renommierte
Übersetzerin Rosemarie
Tietze. Mit dem nun erschienenen Band 38 ist Frank Günthers
Shakespeare-Gesamtausgabe, die ich unlängst schon aus Anlass von Band 39
(Nichtdramatische Dichtungen, 2019) als »unverzichtbaren definitiven
Shakespeare für Deutschsprachige« bejubelt habe, abgeschlossen. Das heißt, sie
ist zwar abgeschlossen, bleibt aber auch Fragment, denn am 15. Oktober 2020 ist
Frank Günther gestorben.
Dieser
letzte erschienene Band ist also zweierlei: Einerseits ist er, streng nüchtern
betrachtet, nichts weiter als Band 38, der leider weitgehend dem Sonette-Band
der einst bei dtv begonnenen zweisprachigen Shakespeare-Ausgabe entspricht, der
wieder die –
allerdings großartige – Übersetzung von Christa Schuenke nebst
dem Essay von Manfred Pfister bringt und wieder, im Unterschied zu allen
anderen Bänden der Gesamtausgabe, keine Anmerkungen zum Text enthält. Und was
bei Günther die überaus instruktiven Nachworte »Aus der Übersetzerwerkstatt«
waren, ist nun der Titel einer Einführung, die auch Nachruf ist und
Gesamtausgabenausklang, ebenfalls von Manfred Pfister.
Andererseits
aber ist der Band ein anrührendes Dokument und ein sehr würdiger Abschluss zu
Frank Günthers Lebenswerk, denn Günther hatte sich die Übersetzung der Sonette
aufgespart, und war, als er starb, erst bis zum ersten Quartett des XXII.
Sonetts vorgedrungen, ein Umstand, der uns wieder mit der Frage beglückt, ob es
wohl am Tod liegt, oder am Sterbenden, dass Feder, Stift oder Laptop mitunter
an so passenden Stellen einer Hand entfallen:
Mir schwatzt mein Spiegel nicht auf,
ich sei alt,
Solang Du noch gleich jung wie
Jugend bist;
Doch seh ich, wie Dich Zeit kerbt
als Gestalt,
Dann seh ich, wie der Tod mir Tage
frißt.
Ich
will, kann und werde also die fehlenden Anmerkungen verschmerzen, in der
romantischen oder meinetwegen auch bloß erkenntniskritischen Annahme, das
Klein-Klein sachkundiger Anmerkungen nütze der Rezeption von Shakespeares
Sonett-Werk ähnlich wenig, wie dem lebenslüstern auf sich gestellten Bibelleser
all die vielbändigen exegetischen und historisch-kritischen Kommentare.
Was
wir hier haben, wissen wir ohnehin. Man ahnt die Canzoniere-Persiflage, eventuell ein camoufliertes Tagebuch oder
ein Spiel mit tagebuchtypischen Mustern; Tieck las die Sonette als Shakespeares
Autobiographie; da ist die Eloge an Schönheit, an sinnliche Liebe, an Lebens-
und Schreibenslust, die Einübung im Ansehen der vertrackten Welt, meinethalben
ein Selbstkommentar zu seinen Dramen. Daneben sind die Sonette eine Zeitkapsel,
in der wie im Spenser und Donne Befindlichkeit vom Beginn des 17. Jahrhunderts
bewahrt ist, zumal über den »zunehmenden Unbestand aller Dinge« (so Pfister im
Nachwort). Da könnte ein Grund für ihre extreme und immer wieder neuerliche
Aktualität liegen.
All
das ist bekannt. Da muss man gar keine Worte mehr drum machen. Shakespeares
Sonette sind ein Buch, das mehr als die meisten für jeden einzelnen seiner
Leser persönlich geschrieben scheint.
Bleibt
der edle Wettstreit, auf den Frank Günther sich übersetzerisch mit Christa
Schuenke eingelassen hat. Im Ansatz können wir ihn verfolgen, denn der Band 38
bietet die ersten XXI Sonette in Günthers Übertragung, die übrigen in der
bewährten.
Ich
werde allerdings nicht, hier nicht und nicht mal für mich selbst
schiedsrichten, wer von beiden die Sonette besser übersetzt zu haben
scheint. Ich schätze beide Wettstreiter zu sehr, und mich überrieselt Gänsehaut
angesichts der unterschiedlichen Entscheidungen, die sie getroffen haben. Wer gewonnen
hätte, könnten die Wettstreiter allenfalls selbst entscheiden.
Mir
bleibt nur, festzustellen, wie eigenständig und wie nah am Original diese 80.
deutsche Komplettnachdichtung der Sonette vermutlich geworden wäre.
Friedhelm
Kemp stellt in seiner Abhandlung Das europäische Sonett (im Bd. 1, S.
410 ff.) Übersetzungen des Sonetts CXXVIII von Gottlob Regis, Stefan George,
Karl Kraus und Hanno Helbling einander gegenüber. – Wenn ich auch oft zu der Behauptung neige, den
Deutschen sei viel von ihrem Sprachgefühl, das Mitte des 19. Jahrhunderts sein
höchstes Niveau erreicht hatte, wieder verloren gegangen, ist das natürlich
Quatsch: Selbst der Großmeister Gottlob Regis kommt an CXXVIII nicht so nah
heran wie Christa Schuenke.
Was
Günther geleistet HÄTTE, wie unabhängig sein Ansatz ist, kann man erahnen oder
sich düster schwanen lassen, wenn man seine 2014 in der Anthologie Shakespeares
Wort-Schätze erschienene und im Vorwort wieder abgedruckte Übertragung des
LXVI. Sonetts mit dem Original – und ein jeder mit seiner
Lieblingsübersetzung – vergleicht:
All dessen müd, wünsch ich im Tod mir Ruh –Wie, Leistung sehn, geborn zum Bettelstand,Und nacktes Nichts herausgeputzt zum Schmu,Und reinste Treue elendigst verkannt,Und goldne Ehren schandbar falsch verliehn,Und Mädchenunschuld hurenhaft beschmutzt,Und wahre Größe unter Wert verschrien,Und Können rein aus Trägheit nicht genutzt,
Und Kunst kraft Amtsgewalt mundtot gemacht,Und Dummheit als der Arzt kuriert am Geist,Und Einfachheit als Einfalt ausgelacht,Und wie Knecht Gut sich für Herrn Bös verschleißt –
All dessen müd, möcht ich fern allem
sein –
Nur dass ich, stürb ich, ließ mein
Lieb allein.
Zwar kann ich
mich nun fragen, und hier könnte ich beginnen, meine Rezension in endloses vergleichendes
Schmecken auswuchern zu lassen, ob mir nicht die zweite Zeile in Christa
Schuenkes Lösung (Ich seh es doch: Verdienst muss betteln gehn) doch ein
wenig eingängiger vorkommt, aber das mag jeder für sich zu Hause unternehmen.
Man beginne mit der Anschaffung dieses Bandes. Dann, nach und nach, damit es
dem Sackerl nicht allzu weh tut, vielleicht gar des ganzen Günther'schen
Shakespeare. Denn was bitteschön bliebe auch sonst?