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William Shakespeare: Sonett 71 - 77

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XI. 71–77: NOE LONGER MOURNE when I am dead


Ein Septett aufwühlender Auseinandersetzung zwischen Ich und Du angesichts des Todes [wobei Personal You und Invocatory Thou, ungeschützte Nähe und respektvolle Distanz, mehrfach abwechseln].
Auf zwei Sonette der tiefsten Zerknirschung des Ich, des Verlustes jedes Selbstwertgefühls, der Behauptung, das You verliere nichts, wenn es ihn vergesse (71 und 72), folgen drei Dennoch-Gedichte und bilden die Schwerlinie des Septetts: 73 und 74 stellen dem Thou vor Augen, was er wie bald verlieren werde, und versprechen ihm sein bessres Teil, 75 beschreibt, wie das Ich zwischen Haben und Verlieren hin-und-her-gerissen wird.

Dann reißt die Spannung, der Dichter tritt einen Schritt zurück und spricht aus neu gewonnener Distanz über zwei Bücher: über das vorliegende, in dem das Ich stets wiederhole, was es schon gesagt habe (76), und über ein zweites noch leeres Notizbuch, das dem Du dazu dienen möge, dem steten Raub der Zeit die Stirn zu bieten (77).


71.

NOe Longer mourne for me when I am dead,
Then you shall heare the surly sullen bell
Giue warning to the world that I am fled
From this vile world with vildest wormes to dwell:
Nay if you read this line, remember not,
The hand that writ it, for I loue you so,
That I in your sweet thoughts would be forgot,
If thinking on me then should make you woe.
O if (I say) you looke vpon this verse,
When I (perhaps) compounded am with clay,
Do not so much as my poore name reherse;
But let your loue euen with my life decay.

Least the wise world should looke into your mone,
And mocke you with me after I am gon.

Nicht länger klage, als den Glockenton
du hörst, die Welt zu warnen, zu betonen,
daß ich gestorben bin, der Welt entflohn,
der widrigen, um beim Gewürm zu wohnen!
Nein, denk nicht an die Hand, die dieses schrieb,
weil ich dich liebe, deiner derart achte,
daß lieber ich von dir vergessen blieb,
wenn meiner Denken dich nur weinen machte!
Und blickst du, sag ich, einst auf dies Gedicht
zurück, bin ich wohl schon mit Ton vermischt.
Mein armer Name –– wiederhol ihn nicht!
Laß zu, daß Liebe mit dem Tod erlischt,

eh daß die kluge Welt dich klagen sieht
und dich mit mir ins Lächerliche zieht!


72.

O Least the world should taske you to recite,
What merit liu’d in me that you should loue
After my death (deare loue) forget me quite,
For you in me can nothing worthy proue.
Vnlesse you would deuise some vertuous lye,
To doe more for me then mine owne desert,
And hang more praise vpon deceased I,
Then nigard truth would willingly impart:
O least your true loue may seeme falce in this,
That you for loue speake well of me vntrue,
My name be buried where my body is,
And liue no more to shame nor me, nor you.

For I am shamd by that which I bring forth,
And so should you, to loue things nothing worth.

Eh du der Welt, was mein Verdienst denn war,
was liebenswürdig nach dem Tod, begründen,
erklären mußt, vergiß mich ganz und gar!
An mir kannst du nichts Liebenswertes finden,
es wäre denn –– um mehr zu tun für mich
als mir gebührt –– du sinnst auf fromme Lügen,
behängst mit Ruhm das abgeschiedne Ich
mehr als der kargen Wahrheit zu genügen.
Soll deine wahre Liebe falsch erscheinen,
weil, wie du für mich gutsagst, unwahr klingt?
Leg meinen Namen denn zu den Gebeinen,
damit er mir und dir nicht Schande bringt ––

mir Schande durch das Werk, das ich vollbringe,
dir Schande, liebst du nichtswürdige Dinge!


73.

THat time of yeare thou maist in me behold,
When yellow leaues, or none, or few doe hange
Vpon those boughes which shake against the could,
Bare rn’wd quiers, where late the sweet birds sang.
In me thou seest the twi-light of such day,
As after Sun-set fadeth in the West,
Which by and by blacke night doth take away,
Deaths second selfe that seals vp all in rest.
In me thou seest the glowing of such fire,
That on the ashes of his youth doth lye,
As the death bed, whereon it must expire,
Consum’d with that which it was nurrisht by.

This thou perceu’st, which makes thy loue more strong,
To loue that well, which thou must leaue ere long.

Die Zeit des Jahres magst in mir du sehn,
wo Blätter gilben, keine, wenige hangen,
wo Zweige frösteln, zitternd widerstehn
–– verfalln der Chor, wo süße Vögel sangen.
In mir siehst du das Zwielicht, siehst den Tag
im Westen schwinden, wenn die Sonne sinkt;
die Nacht zieht auf und nimmt sich, was sie mag,
des Todes zweites Selbst, das Ruhe bringt.
In mir siehst du die letzte Feuersglut,
die auf den Aschen ihrer Jugend matt
wie auf dem Totenbett verglimmend ruht ––
mit dem verzehrt, was einst genährt sie hat.

Dies stärkt die Liebe; mach es dir bewußt
und liebe, was so bald du lassen mußt!



74.

BVt be contented when that fell arest,
With out all bayle shall carry me away,
My life hath in this line some interest,
Which for memoriall still with thee shall stay.
When thou reuewest this, thou doest reuew,
The very part was consecrate to thee,
The earth can haue but earth, which is his due,
My spirit is thine the better part of me,
So then thou hast but lost the dregs of life,
The pray of wormes, my body being dead,
The coward conquest of a wretches knife,
To base of thee to be remembred,

The worth of that, is that which it containes,
And that is this, and this with thee remaines.

Doch sei’s zufrieden: Ausflucht gibt es nicht,
streckt Er die grause Hand und führt mich ab;
mein Leben ist verwebt in dies Gedicht,
das ich als Denkmal dir errichtet hab.
Betrachtest du es einst, betrachtest du
den wahren Teil; ich widmete ihn dir.
Daß Erde Erde hat, das kommt ihr zu;
mein Geist ist dein, der bessre Teil von mir.
So hast du denn verloren nur Gebeine,
den Würmerfraß, des Lebens letzten Rest,
das Beutestück des Meuchlers, den ich meine,
nicht wert, daß du dich sein erinnertest.

Das hat nur Wert durch das, was in ihm wächst,
und das ist dies, dies bleibt dir –– dieser Text.


75.

SO are you to my thoughts as food to life,
Or as sweet season'd shewers are to the ground;
And for the peace of you I hold such strife,
As twixt a miser and his wealth is found.
Now proud as an inioyer, and anon
Doubting the filching age will steale his treasure,
Now counting best to be with you alone,
Then betterd that the world may see my pleasure,
Some-time all ful with feasting on your sight,
And by and by cleane starued for a looke,
Possessing or pursuing no delight
Saue what is had, or must from you be tooke.

Thus do I pine and surfet day by day,
Or gluttoning on all, or all away,

Was Brot fürs Leben ist, bist du für mich,
was für das Feld ein süßer Reife–Regen;
du gibst mir Frieden, dennoch hadre ich
so, wie ein Geizhals hadert ums Vermögen:
er sonnt sich im Besitz, schon fällt ihm ein,
die Zeit wird diebisch seine Schätze stehlen;
ich schätz am höchsten, nur mit dir zu sein,
dann höher noch, es niemand zu verhehlen;
bin ganz erfüllt davon, dich anzublicken
–– und rein verhungert, grüßt du nicht zurück;
besitzend oder suchend –– kein Entzücken,
das nicht von dir genommen –– aber Glück?

Tagein, tagaus verschmachtend übersatt,
ein Schwelgender, der nichts zu schwelgen hat.


76.

WHy is my verse so barren of new pride?
So far from variation or quicke change?
Why with the time do I not glance aside
To new found methods, and to compounds strange?
Why write I still all one, euer the same,
And keepe inuention in a noted weed,
That euery word doth almost fel my name,
Shewing their birth, and where they did proceed?
O know sweet loue I alwaies write of you,
And you and loue are still my argument:
So all my best is dressing old words new,
Spending againe what is already spent:

For as the Sun is daily new and old,
So is my loue still telling what is told,

Warum mein Vers so arm ist, so befangen,
so fern davon, versiert zu variieren?
Warum ich nicht mit dieser Zeit gegangen:
Methoden testen, Texte präparieren?
Warum ich Eins nur schreibe, monoton,
und beim Erfinden beim Bekannten bleibe,
daß jedes Wort fast meinen Namen schon
verrät –– woher es stammt, wohin es treibe?
O wisse, Liebster, stets umschreib ich dich,
und du und Liebe bleiben meine Themen;
das Alte neu zu kleiden, eifre ich,
das Abgebrauchte wieder aufzunehmen:

So wie die Sonne neu ist und betagt,
sagt meine Liebe, was sie stets gesagt.


77.

THy glasse will shew thee how thy beauties were,
Thy dyall how thy pretious mynuits waste,
The vacant leaues thy mindes imprint will beare,
And of this booke, this learning maist thou taste.
The wrinckles which thy glasse will truly show,
Of mouthed graues will giue thee memorie,
Thou by thy dyals shady stealth maist know,
Times theeuish progresse to eternitie.
Looke what thy memorie cannot containe,
Commit to these waste blacks, and thou shalt finde
Those children nurst, deliuerd from thy braine,
To take a new acquaintance of thy minde.

These offices, so oft as thou wilt looke,
Shall profit thee, and much inrich thy booke.

Die Sonnenuhr zeigt, wie Minuten schwinden,
dein Spiegel zeigt, wie lange Schönheit währt;
die leeren Blätter tragen dein Empfinden,
du wirst erfahren, was dies Buch dich lehrt:
Die Runzeln, die dein Spiegel reflektiert,
sie werden dich an Grabes Mund gemahnen;
wie Zeit sich an die Ewigkeit verliert,
der Schattengang der Uhr läßt dichs erahnen;
was dein Gedächtnis nicht behalten kann,
die Kinder, die dein Hirn gebiert –– zum Reifen
vertrau sie diesen weißen Seiten an,
dann wirst du deinen Geist einst neu begreifen!

Die Mühe wahrzunehmen lohnte sehr ––
für dich und für dein Büchlein umso mehr.



Aus KRITIK DER LIEBE –– Shakespeare’s Sonnets & A Lover’s Complaint –– wiedergelesen und wiedergegeben von Günter Plessow. (c) Passau (Karl Stutz Verlag) 2003.

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