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William Shakespeare: Sonett 64 - 70

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X. 64–70: INCREASING store with losse and losse with store


INCREASING store with losse, and losse with store –– im Haben das Verlieren zu beweinen. Die Stimmung sinkt weiter, sowie der Sprecher seine schwarzen Zeilen außer Acht läßt und sich ansieht, wie es auf der Welt zugeht (Sonette 64, 65, 66). Es ist auffällig, daß Du und Ich in diesem Septett kaum eine Rolle spielen. Das Du ist in die Ferne gerückt (hat sich fünf Sonette lang in eine dritte Person verwandelt, an die er seine Hoffnung hängt, obwohl ihm auch das immer schwerer fällt), und das Ich verstummt vollends, wenn es beginnt, sich mit dem Leumund des Geliebten zu befassen und sich bemüht, es als Verleumdung hinzustellen.

Das zentrale Gedicht (67) ist dasjenige, in dem er nicht umhin kann, von infection zu sprechen, und versuchen muß, sie sich schönzureden. Die Sonette 68 und 70 kommen mit the ornament of beautie auf Sonett 1 zurück, aber was in 68 noch Hoffnung verheißt, ist in 70 bereits suspekt.


64.

VVHen I haue seene by times fell hand defaced
The rich proud cost of outworne buried age,
When sometime loftie towers I see downe rased,
And brasse eternall slaue to mortall rage.
When I haue seene the hungry Ocean gaine
Aduantage on the Kingdome of the shoare,
And the firme soile win of the watry maine,
Increasing store with losse, and losse with store.
When I haue seene such interchange of state,
Or state it selfe confounded, to decay,
Ruine hath taught me thus to ruminate
That Time will come and take my loue away.

This thought is as a death which cannot choose
But weepe to haue, that which it feares to loose.

Sooft ich sehe, wie die Zeit entstellt,
wie Prunksucht altert, Pracht zugrabe geht,
wie mancher stolze Turm zu Boden fällt,
und Erz gekettet an Mortalität;
sooft ich sehe, wie der Ozean
das Königreich der Küste aufgezehrt
und festen Boden freigibt, nebenan,
Gewinn Verlust, Verlust Gewinn vermehrt;
sooft ich solchen Zustandswandel sehe,
den Stand der Dinge zum Verfall bestimmt,
lehrt der Ruin mich grübeln, ich verstehe:
es kommt die Zeit, die mir die Liebe nimmt.

Dies Denken –– tödlich, Ausweg weiß ich keinen ––
im Haben das Verlieren zu beweinen.


65.

SInce brasse, nor stone, nor earth, nor boundlesse sea,
But sad mortallity ore–swaies their power,
How with this rage shall beautie hold a plea,
Whose action is no stronger then a flower?
O how shall summers hunny breath hold out,
Against the wrackfull siedge of battring dayes,
When rocks impregnable are not so stoute,
Nor gates of steele so strong but time decayes?
O fearefull meditation, where alack,
Shall times best Iewell from times chest lie hid?
Or what strong hand can hold his swift foote back,
Or who his spoile or beautie can forbid?

O none, vnlesse this miracle haue might,
That in black inck my loue may still shine bright.

Nicht Erz noch Stein, nicht Land noch Meeres Weiten,
Mortalität geht über alle Macht.
Dies Wüten –– wie soll Schönheit widerstreiten,
die stärker nicht als eine Blüte lacht?
O, was vermag der süße Sommerwind?
Die Tage rennen an. Wie hält er aus,
wenn Felsen selbst nicht unbezwingbar sind?
Die Zeit zersetzt. Kein Stahltor schützt das Haus.
O Meditieren! Wo, so frag ich bang,
kann vor der Zeit der Zeit Juwel sich hüten?
Wes starke Hand hemmt ihren leichten Gang?
Wer könnte Schönheit retten, Raub verbieten?

O, keiner, wenn nicht dieses Wunder bliebe:
in schwarzer Tinte leuchtet meine Liebe.


66.

TYr’d with all these for restfull death I cry,
As to behold desert a begger borne,
And needie Nothing trimd in iollitie,
And purest faith vnhappily forsworne,
And gilded honor shamefully misplast,
And maiden vertue rudely strumpeted,
And right perfection wrongfully disgrac’d,
And strength by limping sway disabled,
And arte made tung-tide by authoritie,
And Folly (Doctor-like) controuling skill,
And simple-Truth miscalde Simplicitie,
And captiue-good attending Captaine ill.

Tyr’d with all these, from these would I be gone,
Saue that to dye, I leaue my loue alone.

Bins müde auf den Tod, ich könnte schrein ––
mitanzusehn, wie Tugend betteln geht
und blankes Nichts sich bläht in Narretein,
und wie Beständigkeit verraten steht
und Ehre an den falschen Mann gewandt
und Mädchenscheu mißbraucht wird, roh geschändet
und wirkliche Vollkommenheit verkannt
und Kraft durch Kriecherei geschwächt verendet,
und wie der Staat die Geister mundtod macht
und Torheit Können prüft und dirigiert
und Wahrheit als Einfältigkeit verlacht ––
kurz: wie das Gute dient, das Böse führt.

Bins müde, möchte gehn –– doch sterben hieße,
daß in all dem mein Lieb allein ich ließe.


67.

AH wherefore with infection should he liue,
And with his presence grace impietie,
That sinne by him aduantage should atchiue,
And lace it selfe with his societie?
Why should false painting immitate his cheeke,
And steale dead seeing of his liuing hew?
Why should poore beautie indirectly seeke,
Roses of shaddow, since his Rose is true?
Why should he liue, now nature banckrout is,
Beggerd of blood to blush through liuely vaines,
For she hath no exchecker now but his,
And proud of many, liues vpon his gaines?

O him she stores, to show what welth she had,
In daies long since, before these last so bad.

Und er inmitten dieser Infektion ––
Wofür? Soll er der Sünde Anmut leihn,
daß sie im Vorteil wäre dadurch schon
und machte sich geschickt mit ihm gemein?
Warum ihn schildern, fälschen, imitieren
als toten Abglanz? Lebt nicht sein Gesicht?
O arme Schönheit –– warum sich verlieren
an Schattenrosen? Blüht die seine nicht?
Warum wohl lebt er jetzt, wo die Natur
bankrott ist, bettelarm, kein Puls, kein Blut,
kein Kapital? Sie hat das seine nur ––
und lebt in großem Stil von seinem Gut?

Ihn spart sie auf, auf daß er uns bedeute,
was einst sie hatte vor dem matten Heute.


68.

THus is his cheeke the map of daies out-worne,
When beauty liu’d and dy’ed as flowers do now,
Before these bastard signes of faire were borne,
Or durst inhabit on a liuing brow:
Before the goulden tresses of the dead,
The right of sepulchers, were shorne away,
To liue a scond life on second head,
Ere beauties dead fleece made another gay:
In him those holy antique howers are seene,
Without all ornament, it selfe and true,
Making no summer of an others greene,
Robbing no ould to dresse his beauty new,

And him as for a map doth Nature store,
To shew faulse Art what beauty was of yore.


So ist sein Antlitz Urbild: bildet ab,
wie Schönheit kam und ging wie Blumenflor
einst, eh es Bastard–Schönheitszeichen gab
und wagten sich auf frischer Stirn hervor;
eh goldne Locken man (und damit eben
das Recht, im Grab zu ruhn) den Toten nahm:
ein zweites Mal auf zweitem Kopf zu leben,
der Schönheit Totenvlies zu Tand verkam.
Wir sehn in ihm die heilig–alte Zeit
ohn alles Ornament, wie sie’s verdient,
kein Raub am Alten für ein neues Kleid,
kein Sommer, der aus anderm Sommer grünt;

Natur hält ihn als Urbild, er stellt dar,
zeigt falscher Kunst, was Schönheit einmal war.


69.

THose parts of thee that the worlds eye doth view,
Want nothing that the thought of hearts can mend:
All toungs (the voice of soules) giue thee that end,
Vttring bare truth, euen so as foes Commend.
Their outward thus with outward praise is crownd,
But those same toungs that giue thee so thine owne,
In other accents doe this praise confound
By seeing farther then the eye hath showne.
They looke into the beauty of thy mind,
And that in guesse they measure by thy deeds,
Then churls their thoughts (although their eies were kind)
To thy faire flower ad the rancke smell of weeds,

But why thy odor matcheth not thy show,
The solye is this, that thou doest common grow.

Dem, was das Aug der Welt von dir erblickt,
fehlt nichts, was Herzen sich ersinnen können,
und alle Zungen gebens zu, entzückt,
so wahr es selbst die Feinde anerkennen.
So wird dein Aussehn außenhin gerühmt,
doch eben jene, die dirs zugestehn,
bezweifeln auch, ob höchstes Lob dir ziemt,
wenn weiter, als das Auge weist, sie sehn.
Sie suchen nach der Schönheit im Gemüt,
sie schätzen sie nach deinen Taten ein,
und sinnen drauf, dem Edlen, das da blüht,
den üblen Ruch des Unkrauts zu verleihn.

Daß An– und Aussehn nicht zusammenfallen ––
warum ? –– Du wächst auf einem Grund mit allen.


70.

THat thou are blam’d shall not be thy defect,
For slanders marke was euer yet the faire,
The ornament of beauty is suspect,
A Crow that flies in heauens sweetest ayre.
So thou be good, slander doth but approue,
Their worth the greater beeing woo’d of time,
For Canker vice the sweetest buds doth loue,
And thou present’st a pure vnstayined prime.
Thou hast past by the ambush of young daies,
Either not assayld, or victor beeing charg’d,
Yet this thy praise cannot be soe thy praise,
To tye vp enuy, euermore inlarged,

If some suspect of ill maskt not thy show,
Then thou alone kingdomes of hearts shouldst owe.

Daß man dich schmäht, das muß kein Makel sein,
Verleumdung zielt aufs Schöne, der Verdacht
gehört zur Schönheit, ziert sie obendrein,
die Krähe fliegt, wo ihr der Himmel lacht.
Verleumdung hebt noch deinen Wert, sofern
du gütig bist –– umworben von der Zeit,
nagt Laster doch an süßen Knospen gern,
und du zeigst reine Makellosigkeit.
Hast junger Tage Fährnisse umschifft,
ob unbedrängt, ob Sieger in Bedrängnis;
ich preise dich, indes versagt mein Stift,
den Neid zu fesseln –– wachsendes Verhängnis.

Verdeckte nicht Verdacht den schönen Schein,
gehörten alle Herzen dir allein.



Aus KRITIK DER LIEBE –– Shakespeare’s Sonnets & A Lover’s Complaint –– wiedergelesen und wiedergegeben von Günter Plessow. (c) Passau (Karl Stutz Verlag) 2003.

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