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William Shakespeare: Sonett 43 - 49

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VII. 43–49:  AGAINST THAT TIME –– thy shadow

Aus der Realität, die im vorigen Septett aus heitern Himmel in die Ideenwelt des liebenden Dichters eindrang, und auf die er sich nur einen bitter ironischen Reim zu machen wußte, gibt es keine Rettung, es sei denn die Rückkehr in träumerische Versonnenheit.

Sonett 43 eröffnet diesen Gedankengang mit dem Bild des Schattens, das auch im Zentrum des folgenden Septetts stehen wird.  Der Dichter fragt nach der Distanz und der Liebe, die sie überwindet.  Und der Liebende fragt: wer oder was bin ich, und wie kann ich mich Deiner versichern?  Der Ton schwankt, beginnt hochgemut, sinkt dann aber ab, um sich erst am Ende (49) zu erbittertem Widerstand aufzuraffen:  die Zeit wird kommen, wo du deine Summe ziehst und ich auf mich selbst zurückgeworfen bin:  Against that time do I ensconce me here.


43.

WHen most I winke then doe mine eyes best see,
For all the day they view things vnrespected,
But when I sleepe, in dreames they looke on thee,
And darkely bright, are bright in darke directed.
Then thou whose shaddow shaddowes doth make bright,
How would thy shadowes forme, forme happy show,
To the cleere day with thy much cleerer light,
When to vn-seeing eyes thy shade shines so?
How would (I say) mine eyes be blessed made,
By looking on thee in the liuing day?
When in dead night their faire imperfect shade,
Through heauy sleepe on sightlesse eyes doth stay?

All dayes are nights to see till I see thee,
And nights bright daies when dreams do shew thee me,

Wenn ich die Augen schließe, sehe ich
am besten –– tags nie Dinge von Betracht;
doch wenn ich schlafe, träume, sehn sie dich,
sind hell gewandt ins dunkle Hell der Nacht.
Du, dessen Schatten Schatten macht zu Licht,
wie würde deines Schattens Urgestalt
am klaren Tag viel klarer leuchten nicht,
wenn mir schon ohne Blick dein Schatten strahlt?
Wie würden meine Augen sich verklären,
erlebten sie und sähen dich am Tag,
wenn nachts in schwerem Schlaf, im Ungefähren
dein Schatten schon so schön vor Augen lag?

Bis ich dich sehe, seh ich tags die Nacht,
nachts hellen Tag, wenn Träume dich gebracht.


44.

IF the dull substance of my flesh were thought,
Iniurious distance should not stop my way,
For then dispight of space I would be brought,
From limits farre remote, where thou doost stay,
No matter then although my foote did stand
Vpon the farthest earth remoou’d from thee,
For nimble thought can iumpe both sea and land,
As soone as thinke the place where he would be.
But ah, thought kills me that I am not thought
To leape large lengths of miles when thou art gone,
But that so much of earth and water wrought,
I must attend, times leasure with my mone.

Receiuing naughts by elements so sloe,
But heauie teares, badges of eithers woe.

Wenn Stoff nicht träge, Fleisch Gedanke wär
–– Distanzen wärn kein böses Hemmnis mir;
wie weit die Welt sich dehnte, trüge er
von ihren fernsten Grenzen mich zu dir.
Es machte nichts, wie weit von dir entrückt
der Punkt der Erde wär, an dem ich bin;
der flinke Geist, er springt, er überbrückt
die See, das Land, sobald er weiß, wohin.
Doch ach, es tötet mich –– ich bin nicht Geist,
um meilenweit zu gehn, wenn du gegangen;
ich bin aus Erd und Wasser, und das heißt,
die Gunst der Zeit erwarten, weiter bangen,

weil träge Elemente nichts verleihn
als tränenschwere Zeichen ihrer Pein.


45.

THe other two, slight ayre, and purging fire,
Are both with thee, where euer I abide,
The first my thought, the other my desire,
These present absent with swift motion slide.
For when these quicker Elements are gone
In tender Embassie of loue to thee,
My life being made of foure, with two alone,
Sinkes downe to death, opprest with melancholie.
Vntill liues composition be recured,
By those swift messengers return’d from thee,
Who euen but now come back againe assured,
Of their faire health, recounting it to me.

This told, I ioy, but then no longer glad,
I send them back againe and straight grow sad.

Die andern, Luft und Feuer, stofflos, rein,
sind beide stets bei dir, wo ich auch bin;
mein Geist:  die Luft, mein Sehnen: Feuers Schein
–– sind da, sind nicht da, gleiten flugs dahin.
Sind nun in zärtlicher Mission bei dir
grad diese quickeren der Elemente,
besteht mein Leben nur aus zwei von vier
und wird mir schwer, so daß ich sterben könnte.
Bis sich das Leben neu zusammensetzt,
wenn die geschwinden Boten wiederkehren
von dir –– wie eben jetzt –– und wissen jetzt,
wie gut dirs geht, und geben mirs zu hören.

Ich hörs, bins froh und bin es doch nicht lang;
ich sende sie zurück, bin wieder bang.


46.

MIne eye and heart are at a mortall warre,
How to deuide the conquest of thy sight,
Mine eye, my heart their pictures sight would barre,
My heart, mine eye the freedome of that right,
My heart doth plead that thou in him doost lye,
(A closet neuer pearst with christall eyes)
But the defendant doth that plea deny,
And sayes in him their faire appearance lyes.
To side this title is impannelled
A quest of thoughts, all tennants to the heart,
And by their verdict is determined
The cleere eyes moyitie, and the deare hearts part.

As thus, mine eyes due is their outward part,
And my hearts right, their inward loue of heart.

Mein Aug bekriegt mein Herz, sie sind gespalten,
du bist –– du und dein Bild –– das Beutestück,
mein Auge möchts dem Herzen vorenthalten,
doch hat es recht?  Mein Herz weist das zurück,
behauptet, daß in ihm du liegst –– ein Schrein,
und von kristallnen Augen nie gesehn.
Der Gegner widerspricht und sagt, o nein,
du liegst in ihm, erscheinst in ihm so schön.
Nun, ein Gericht, die Sache zu entscheiden,
ist anberaumt, Gedanken, alle treu
dem Herzen, sprechen, und ihr Spruch weist beiden
den Anteil zu an dir.  Und also sei

des klaren Auges Part, wie du erscheinst,
des Herzens Recht, wie herzlich du es meinst.


47.

BEtwixt mine eye and heart a league is tooke,
And each doth good turnes now vnto the other,
When that mine eye is famisht for a looke,
Or heart in loue with sighes himselfe doth smother;
With my loues picture then my eye doth feast,
And to the painted banquet bids my heart:
An other time mine eye is my hearts guest,
And in his thoughts of loue doth share a part.
So either by thy picture or my loue,
Thy selfe away, are present still with me,
For thou nor farther then my thoughts canst moue,
And I am still with them, and they with thee.

Or if they sleepe, thy picture in my sight
Awakes my heart, to hearts and eyes delight.

Mein Auge und mein Herz sind nun liiert,
eins auf des andern Wohl und Wehe achtet,
und wenn mein Aug nach einem Blicke giert,
mein Herz in seinem Liebesdurst verschmachtet,
dann lädt mein Aug mein Herz ein –– zum Bankett,
gemalt, in deinem Bild dich zu verehren,
und nimmt als Gast in Herzens Kabinett
auch an Gedanken teil, die dir gehören.
Du, ob im Bild, ob durch mein liebend Herz,
bist, wenn du fort bist, dennoch da –– mit mir;
entrinnst nicht den Gedanken anderwärts,
und ich bin stets bei ihnen, sie bei dir.

Und schlafen sie, bleibt mir dein Bild bewußt:
es weckt das Herz –– dem Herz und Aug zur Lust.


48.

HOw carefull was I when I tooke my way,
Each trifle vnder truest barres to thrust,
That to my vse it might vn-vsed stay
From hands of falsehood, in sure wards of trust?
But thou, to whom my iewels trifles are,
Most worthy comfort, now my greatest griefe,
Thou best of deerest, and mine onely care,
Art left the prey of euery vulgar theefe.
Thee haue I not lockt vp in any chest,
Saue where thou art not, though I feele thou art,
Within the gentle closure of my brest,
From whence at pleasure thou maist come and part,

And euen thence thou wilt be stolne I feare,
For truth prooues theeuish for a prize so deare.

Wie sorgte ich mich doch um jeden Tand,
verriegelte ihn, wenn ich ausging, gut,
damit ich unberührt ihn wiederfand
von falschen Händen und in sicherer Hut.
Doch du –– ist nicht mein Reichtum Tand vor dir?
Du, wahres Labsal, größter Kummer heute,
du Teuerster und einzige Sorge mir,
bist jedem Dieb nur allzu leichte Beute.
Dich hab ich nirgends weggeschlossen –– nur,
wo nicht du bist (wiewohl ich fühl, du bist
in meines Herzens zärtlicher Klausur
und kommst und gehst, wie dirs gefällig ist) ––

und wirst von dort gestohlen, ach, ich weiß,
die Treue wird zum Dieb um solchen Preis.


49.

AGainst that time (if euer that time come)
When I shall see thee frowne on my defects,
When as thy loue hath cast his vtmost summe,
Cauld to that audite by aduis’d respects,
Against that time when thou shalt strangely passe,
And scarcely greete me with that sunne thine eye,
When loue conuerted from the thing it was
Shall reasons finde of setled grauitie.
Against that time do I insconce me here
Within the knowledge of mine own desart,
And this my hand, against my selfe vpreare,
To guard the lawfull reasons on thy part,

To leaue poore me, thou hast the strength of lawes,
Since why to loue, I can alledge no cause.

Für jene Zeit (wenn je sie mir denn blüht),
wo meine Fehler zornig dich gemacht,
wo deine Liebe ihre Summe zieht,
das Konto schließt nach reiflichem Bedacht;
für jene Zeit, wo du vorbei gehst, fremd,
mich kaum mehr grüßt, dein Aug mein Sonnenschein,
wo Liebe, längst ein ander Ding, nichts hemmt,
den Grund zu finden, reserviert zu sein;
für jene Zeit verschanze ich mich hier,
wo ich den eignen Wert durchschauen kann,
und schreibe wider mich, bezeuge dir,
auf deiner Seite liegt das Recht –– wohlan:

hast, mich zu lassen, das Gesetz für dich,
denn welchen Grund zu lieben wüßte ich?



Aus KRITIK DER LIEBE –– Shakespeare’s Sonnets & A Lover’s Complaint –– wiedergelesen und wiedergegeben von Günter Plessow. (c) Passau (Karl Stutz Verlag) 2003.

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