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William Shakespeare: Sonett 36 - 42

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VI. 36–42: MY BEWAILED GUILT –– thy abundance


Als Gegener sein Advokat sein –– das hatte sich der Dichter im vorigen Septett vorgenommen. Nun demonstriert er, wie weit er über eine bloße Verteidigungsrede hinauszugehen bereit ist. Complaint wird zu praise umgemünzt –– wird sweete flattery (wie er sich selber eingesteht) –– und bleibt doch complaint. Damit hat der Dichter einen Tenor seiner Liebe gefunden, der ihn durch diese Subsequenz geleiten wird. Sieben Sonette, an- und abschwellend, eng miteinander verzahnt.


Die Situation scheint sich gravierend verändert zu haben. Sonett 36 beginnt mit einem unerwarteten Geständnis: wir zwei, wir sind entzweit. Der Dichter scheint entschlossen, diese Entzweiung zu überbrücken, irgendwie. Deine Liebe –– ein Schatten? Mag sein, sagt Sonett 37, aber wieviel Substanz kann mir dieser Schatten geben?! Dennoch, mit den Sonetten 4042 wird plötzlich klar, daß ein Dreiecksverhältnis herrscht. Wir bekommen einen Vorgeschmack von dem, was uns in der zweiten Subsequenz Dark Mistress erwartet.


36.

LEt me confesse that we two must be twaine,
Although our vndeuided loues are one:
So shall those blots that do with me remaine,
Without thy helpe, by me be borne alone.
In our two loues there is but one respect,
Though in our liues a seperable spight,
Which though it alter not loues sole effect,
Yet doth it steale sweet houres from loues delight,
I may not euer-more acknowledge thee,
Least my bewailed guilt should do thee shame,
Nor thou with publike kindnesse honour me,
Vnlesse thou take that honour from thy name:

But doe not so, I loue thee in such sort,
As thou being mine, mine is thy good report.

Laß mich gestehn, wir zwei, wir sind entzweit,
sind unsre Lieben ungeteilt auch eine,
denn jener Makel bleibt. Ich bin bereit,
ich will ihn tragen ohne dich –– alleine:
Zwei Lieben, die uns einen im Respekt,
zwei Leben, die uns trennen, mich verwunden.
Das ändert nichts, denn nur die Liebe weckt
das Glück, jedoch es stiehlt ihm süße Stunden.
Daß ich mich nie zu dir bekennen kann,
da du durch meine Schuld dich schämen mußt!
Nein, tu vor andern nie mir Ehre an,
die du von deinem Namen nehmen mußt!

So wie ich liebe, sag ich: tu es nicht!
Bist mein –– und mein ist, wie man von dir spricht.


37.

AS a decrepit father takes delight,
To see his actiue childe do deeds of youth,
So I, made lame by Fortunes dearest spight
Take all my comfort of thy worth and truth.
For whether beauty, birth, or wealth, or wit,
Or any of these all, or all, or more
Intitled in their parts, do crowned sit,
I make my loue ingrafted to this store:
So then I am not lame, poore, nor dispis’d,
Whilst that this shadow doth such substance giue,
That I in thy abundance am suffic’d,
And by a part of all thy glory liue:

Looke what is best, that best I wish in thee,
This wish I haue, then ten times happy me.

So wie ein Greis das jugendliche Tollen
und Tun des Kindes sieht und ist erfreut,
bin ich, gelähmt durch Glückes böses Grollen,
gelöst durch dich und deine Offenheit:
Ob Glanz, Geburt, ob Wohlstand oder Witz,
ob einiges davon, ob alles dein,
ob mehr noch –– Titel, Krone und Besitz ––
ich pflanze meine Liebe mittenein
und bin nicht länger lahm, arm, unterschätzt.
So viel Substanz kann mir dein Schatten geben,
denn du in deiner Fülle stützt mich jetzt,
ein Teil von deinem Glanz genügt zu leben.

Das Beste, was es sei, hinein in dich
zu wünschen nur –– und zehnmal glücklich ich!


38.

HOw can my Muse want subiect to inuent
While thou dost breath that poor’st into my verse,
Thine owne sweet argument, to excellent,
For euery vulgar paper to rehearse:
Oh giue thy selfe the thankes if ought in me,
Worthy perusal stand against thy sight,
For who’s so dumbe that cannot write to thee,
When thou thy selfe dost giue inuention light?
Be thou the tenth Muse, ten times more in worth
Then those old nine which rimers inuocate,
And he that calls on thee, let him bring forth
Eternal numbers to out-liue long date.

If my slight Muse doe please these curious daies,
The paine be mine, but thine shal be the praise.

Fehlt meiner Muse Stoff? Inspiration?
Du atmest doch, du gießt in mein Gedicht
dein süßes Argument –– zu hoch der Ton,
als daß ihm schlichtes Schreiben je entspricht?
Gib dir den Dank, hätt etwas nur von mir
Bestand, wenn du es dir vor Augen stellst!
Wer wär so stumpf und schriebe nicht von dir,
der selbst du den Erfindungsgeist erhellst?
Sei du die zehnte Muse, zehnmal mehr
als jene Neun, die andre rufen, wert;
und wer dich anruft : Verse schreibe er
von ewigem Maß und ewig unerhört!

Gefällt dem schrillen Tag mein schlichtes Wort,
so sei die Mühe mein –– dein Ruhm lebt fort!


39.

OH how thy worth with manners may I singe,
When thou art all the better part of me?
What can mine owne praise to mine owne selfe bring;
And what is’t but mine owne when I praise thee,
Euen for this, let vs deuided liue,
And our deare loue loose name of single one,
That by this seperation I may giue:
That due to thee which thou deseru'st alone:
Oh absence what a torment wouldst thou proue,
Were it not thy soure leisure gaue sweet leaue,
To entertaine the time with thoughts of loue,
VVich time and thoughts so sweetly dost deceiue.

And that thou teachest how to make one twaine,
By praising him here who doth hence remaine.

Wie dürfte ich mit Anstand dich besingen?
Bist du denn nicht der bessre Teil von mir?
Was könnte mir mein eignes Loblied bringen?
Und wärs nicht Eigenlob, spräch ich von dir?
Dies sei der Grund, daß wir geschieden leben
und unsre Liebe eben nicht mehr eine
zu nennen ist –– getrennt, will ich dir geben,
was dir gebührt, was du verdienst, alleine!
O Fernsein, was bereitest du für Qual
–– wenngleich in bittrer Muße süß sichs fügt
und Sinnen über Liebe Zeit zumal
vertreibt, was Zeit und Sinnen süß betrügt.

Und daß du lehrst: wie macht aus Eins man Zwei!
Im Liede ist er hier, wie fern er sei.


40.

TAke all my loues, my loue, yea take them all,
What hast thou then more then thou hadst before?
No loue, my loue, that thou maist true loue call,
All mine was thine, before thou hadst this more:
Then if for my loue, thou my loue receiuest,
I cannot blame thee, for my loue thou vsest,
But yet be blam’d, if thou this selfe deceauest
By wilfull taste of what thy selfe refusest.
I doe forgiue thy robb’rie gentle theefe
Although thou steale thee all my pouerty:
And yet loue knowes it is a greater griefe
To beare loues wrong, then hates knowne iniury.

Lasciuious grace, in whom all il wel showes,
Kill me with spights yet we must not be foes.

Nimm alle meine Lieben, Lieber, ja,
nimm alle! Hast du mehr nun als vorher,
mein Lieber? Liebe? Treue Liebe? –– Ah,
was mein, war dein; du hattest vorher mehr.
Nimmst du mein Lieb um meiner Liebe willen,
empfängst und nimmst sie, kann ich dich nicht rügen;
doch willst du nichts als deine Neugier stillen,
so sei gerügt, du wirst dich selbst betrügen!
Den Raub vergebe ich dem edlen Diebe,
(all meine Armut stiehlst du, weißt du das?)
und doch –– der Gram ist größer (weiß die Liebe),
wenn Liebe Unrecht tut, als barer Haß.

Laszive Anmut, böse, schön zum Schein,
so töte mich! Doch warum Feinde sein?


41.

THose pretty wrongs that liberty commits,
When I am some-time absent from thy heart,
Thy beautie, and thy yeares full well befits,
For still temptation followes where thou art.
Gentle thou art, and therefore to be wonne,
Beautious thou art, therefore to be assailed.
And when a woman woes, what womans sonne,
Will sourely leaue her till he haue preuailed.
Aye me, but yet thou mightst my seate forbeare,
And chide thy beauty, and thy straying youth,
Who lead thee in their ryot euen there
Where thou art forst to breake a two-fold truth:

Hers by thy beauty tempting her to thee,
Thine by thy beautie beeing false to me.

Die hübschen Sünden, dies Was–ist–dabei,
–– zumal, wenn deinem Herzen fern ich bin ––
stehn deiner Schönheit, deinen Jahren frei,
denn wo du bist, folgt die Versucherin.
Bist edel und bist deshalb zu gewinnen,
bist schön, und deshalb wirst du auch berannt;
und wirbt ein Weib, wer würde ihm entrinnen,
wes Weibes Sohn? Sie hat die Oberhand.
Weh mir, du könntest meine Nähe meiden,
die Schönheit schelten und von Trieben sprechen,
die eben da zum Leichtsinn dich verleiten,
wo er dich zwingt, zwiefach die Treu zu brechen:

die ihre –– ziehst durch Schönheit sie zu dir,
die deine –– bist durch Schönheit falsch zu mir.


42.

THat thou hast her it is not all my griefe,
And yet it may be said I lou’d her deerely,
That she hath thee is of my wayling cheefe,
A losse in loue that touches me more neerely.
Louing offendors thus I will excuse yee,
Thou doost loue her, because thou knowst I loue her,
And for my sake euen so doth she abuse me,
Suffring my friend for my sake to approoue her,
If I loose thee, my losse is my loues gaine,
And loosing her, my friend hath found that losse,
Both finde each other, and I loose both twaine,
And both for my sake lay on me this crosse,

But here’s the ioy, my friend and I are one,
Sweete flattery, then she loues but me alone.

Daß du sie hast –– wenn das schon alles wär!
Doch sei gesagt, ich liebte sie sehr herzlich;
daß sie dich hat, bekümmert mich viel mehr,
berührt mich als verlorene Liebe schmerzlich.
Daß ihr aus Liebe kränkt, erkläre ich:
du liebst sie, weil du weißt, daß ich sie liebe,
und sie betrügt auch meinetwegen mich
mit meinem Freund, ergibt sich seinem Triebe.
Mein Lieb gewinnt, und ich verliere dich,
verliere sie, mein Freund nimmt sie entgegen;
ich büße beide ein, sie finden sich,
und beide quälen mich nur meinetwegen.

Mein Freund und ich sind eins –– ich sollt mich freun,
geschmeichelt sein! Dann liebt sie mich allein!



Aus KRITIK DER LIEBE –– Shakespeare’s Sonnets & A Lover’s Complaint –– wiedergelesen und wiedergegeben von Günter Plessow. (c) Passau (Karl Stutz Verlag) 2003.

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