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William Shakespeare: Sonett 134 - 140

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XX. 134–140: THOU WILT THY WILL––corrupt eyes

Immer noch sind es Augen, die den Dichter umtreiben. Nun allerdings nicht mehr nur ihre trauernd-tröstlichen und doch grausamen Augen, sondern auch die eigenen. Sie stehen im Zentrum dieses Septetts (137) und mit ihnen Thou blind fool love, die Närrin Liebe, die ja schon in Fair Youth ihr Unwesen trieb, und der er das ganze Desaster in die Schuhe schieben kann. Vorwürfe nach beiden Seiten, die Ich und Du aneinander binden. Um diese Mittelachse herum wird allerdings eine noch gravierendere Thematik spannungsreich ausgebreitet: der Wille, der von ihr ausgeht und rücksichtslos auch sein zweites Selbst, den Freund, in den Bann zieht.


Damit nimmt 134 das Motiv auf, mit dem 133 endete. Die Sonette 135 und 136 (thou hast thy Will and Will too boote…) werden überaus deutlich, wie wir uns diesen Willen vorzustellen haben und welche Rolle ihr Will willens ist, dabei zu spielen. Eine ins Komisch-Drastische gewendete Zerknirschung, die sich jenseits der Mittelachse weiter verfestigt. Der Dichter richtet sich ein in einem beiderseitigen Lügengebäude, gibt das freimütig zu und ist nahe daran, sie völlig freizusprechen, wenn sie es ebenfalls zugäbe. Sonett 140 allerdings schränkt ein, auch seine toung-tide patience habe Grenzen. Das ist der deutliche Schlußakzent dieser Passage: sein Kummer werde ihn Worte lehren, ihn auszusprechen; ob das ausreicht, ihrem Willen Einhalt zu gebieten?


134.

SO now I haue confest that he is thine,
And I my selfe am morgag’d to thy will,
My selfe Ile forfeit, so that other mine,
Thou wilt restore to be my comfort still:
But thou wilt not, nor he will not be free,
For thou art couetous, and he is kinde,
He learnd but suretie-like to write for me,
Vnder that bond that him as fast doth binde.
The statute of thy beauty thou wilt take,
Thou vsurer that put'st forth all to vse,
And sue a friend, came debter for my sake,
So him I loose through my vnkinde abuse.

Him haue I lost, thou hast both him and me,
He paies the whole, and yet am I not free.

So, nun hab ichs gestanden: er ist dein,
ich selbst bin dir verpfändet und zuwillen ––
mich gäb ich auf, wenn du dies andre Mein
mir wiedergäbst, mein armes Herz zu stillen.
Doch du willst nicht. Und er will frei nicht sein.
Denn du bist Gier, und er, der gern beglückt,
besiegelte (er trat als Bürge ein
für mich) das Band, das ihn so fest verstrickt.
Was deiner Schönheit zusteht, Wucherin,
die alles feilhält, willst du auch –– mit Macht,
du reißt den Freund, der für mich haftet, hin;
so hab ich selber mich um ihn gebracht.

Ihn hab ich eingebüßt, du hast uns zwei:
er zahlt die Schuld, und ich –– bin doch nicht frei.


135.

WHo euer hath her wish, thou hast thy Will,
And Will too boote, and Will in ouer-plus,
More then enough am I that vexe thee still,
To thy sweete will making addition thus.
Wilt thou whose will is large and spatious,
Not once vouchsafe to hide my will in thine,
Shall will in others seeme right gracious,
And in my will no faire acceptance shine:
The sea all water, yet receiues raine still,
And in aboundance addeth to his store,
So thou beeing rich in Will adde to thy Will,
One will of mine to make thy large Will more.

Let no vnkinde, no faire beseechers kill,
Thinke all but one, and me in that one Will.

Die andern haben Wünsche, du hast Willen,
und Will, und Will dazu –– über Genügen
bin ich es stets, der dich bedrängt zu stillen,
dem süßen Willen etwas zuzufügen.
Du, deren Wille weit ist, willst du nicht
einmal den meinen in den deinen hüllen?
Scheint andrer Wille nur in rechtem Licht,
und soll der meine sich denn nie erfüllen?
Die See ist nichts als Wasser, aber Regen
empfängt sie, fügt dem Überfluß hinzu.
So füge deinem Willen deinetwegen
den meinen zu, du Willensreiche, du!

Bedenke: es ist tödlich, dieses Nein!
Laß mich und Wille ein Gedanke sein!


136.

IF thy soule check thee that I come so neere,
Sweare to thy blind soule that I was thy Will,
And will thy soule knowes is admitted there,
Thus farre for loue, my loue-sute sweet fullfill.
Will, will fulfill the treasure of thy loue,
I fill it full with wils, and my will one,
In things of great receit with ease we prooue.
Among a number one is reckon’d none.
Then in the number let me passe vntold,
Though in thy stores account I one must be,
For nothing hold me, so it please thee hold,
That nothing me, a some-thing sweet to thee.

Make but my name thy loue, and loue that still,
And then thou louest me for my name is Will.

Warnt deine Seele dich, ich käm zu nah,
so schwör der blinden Seele: es ist Will,
und Wille, weiß sie, ist willkommen da;
so stell dich meinem Antrag und erfüll!
Der Wille will dein Liebeskleinod füllen,
ja, füllen voll mit Willen –– meiner einer.
Bei solcher Fülle läßt sich leicht enthüllen:
in einer Vielzahl zählt doch einer keiner.
So laß mich in der Vielzahl untergehn
(müßt ich auch einer auf der Liste sein),
nimm mich für nichts, doch laß es, bitteschön,
mich Nichts, ein süßes Etwas, in dich ein!

Nur meinen Namen liebe, immer Will,
dann liebst du mich, und ich bin immer still!


137.

THou blinde foole loue, what doost thou to mine eyes,
That they behold and see not what they see:
They know what beautie is, see where it lyes,
Yet what the best is, take the worst to be.
If eyes corrupt by ouer-partiall lookes,
Be anchord in the baye where all men ride,
Why of eyes falsehood hast thou forged hookes,
Whereto the iudgement of my heart is tide?
Why should my heart thinke that a seuerall plot,
Which my heart knowes the wide worlds common place?
Or mine eyes seeing this, say this is not
To put faire truth vpon so foule a face,

In things right true my heart and eyes haue erred,
And to this false plague are they now transferred.

Was narrst du, blinde Liebe, meine Augen?
Sie nehmen wahr –– und sehn nicht, was sie sehn,
was Schönheit ist, was ihre Lügen taugen,
und nehmen noch das Schändlichste für schön?
Wenn korrumpierte Augen sich verstricken
in einer Bucht, in die sich alles drängt,
was biegst du Haken aus bestochnen Blicken,
an die mein armes Herz sein Urteil hängt?
Was hält mein Herz ein Gärtchen für privat,
wo alle, wie es weiß, Gemeinem frönen?
Verneinen meine Augen in der Tat,
dies heiße schlicht, das Häßliche zu schönen?

In Wahrheit irren Herz und Augen eben
und sind der Lügenplage ganz ergeben.


138.

WHen my loue sweares that she is made of truth,
I do beleeue her though I know she lyes,
That she might thinke me some vntuterd youth,
Vnlearned in the worlds false subtilties.
Thus vainely thinking that she thinkes me young,
Although she knowes my dayes are past the best,
Simply I credit her false speaking tongue,
On both sides thus is simple truth supprest:
But wherefore sayes she not she is vniust?
And wherefore say not I that I am old?
O loues best habit is in seeming trust,
And age in loue, loues not t'haue yeares told.

Therefore I lye with her, and she with me,
And in our faults by lyes we flattered be.

Wenn meine Liebe schwört, sie sei noch Magd,
so glaub ich ihr, obwohl ich weiß, sie lügt,
damit sie denkt, ich sei noch nicht betagt,
noch unbelehrt, wie falsch die Welt sich fügt.
So denke ich, sie denkt: ein junger Mann,
obwohl sie weiß, die Tage sind vorbei;
so glaube ich, daß ich ihr glauben kann ––
statt simpler Wahrheit beidseits Lügerei.
Doch weshalb sagt sie nicht, sie sei gemein?
Und weshalb sag ich nicht, ich sei erfahren?
O –– Liebe traut am liebsten doch dem Schein,
verliebtes Alter spricht nicht gern von Jahren.

So liegen wir –– bei ihr ich, sie bei mir ––
verfehlen uns und lügen aus Plaisir.



139.

O Call not me to iustifie the wrong,
That thy vnkindnesse layes vpon my heart,
Wound me not with thine eye but with thy toung,
Vse power with power, and slay me not by Art,
Tell me thou lou’st else-where; but in my sight,
Deare heart forbeare to glance thine eye aside,
What needst thou wound with cunning when thy might
Is more then my ore-prest defence can bide?
Let me excuse thee, ah my loue well knowes,
Her prettie lookes haue beene mine enemies,
And therefore from my face she turnes my foes,
That they else-where might dart their iniuries:

Yet do not so, but since I am neere slaine,
Kill me out-right with lookes, and rid my paine.

Nach mir ruf nicht, das Falsch zurechtzurücken,
das meinem Herzen kalt du oktroyiert!
Verwunde mich mit Worten, nicht mit Blicken,
schlag kräftig zu, sei nicht so raffiniert!
Liebst anderswo? So sag es! Zeig mirs nicht!
Hör auf, mein Herz, nach rechts und links zu sehen!
Verwundest mich, bist ganz darauf erpicht
und bist so stark –– wie sollt ich widerstehen?
‘Ah, meine Liebe weiß,’ so sagt ich gern,
‘die hübschen Blicke waren Feinde –– nun,
so hält sie meine Feinde von mir fern,
damit sie anderswo ihr Unrecht tun.’

Nein, tu es nicht! Vielmehr –– ich bin fast tot ––
vernichte mich mit Blicken, nimm die Not.


140.

BE wise as thou art cruell, do not presse
My toung-tide patience with too much disdaine:
Least sorrow lend me words and words expresse,
The manner of my pittie wanting paine.
If I might teach thee witte better it weare,
Though not to loue, yet loue to tell me so,
As testie sick-men when their deaths be neere,
No newes but health from their Phisitions know.
For if I should dispaire I should grow madde,
And in my madnesse might speake ill of thee,
Now this ill wresting world is growne so bad,
Madde slanderers by madde eares beleeued be.

That I may not be so, nor thou be lyde,
Beare thine eyes straight, though thy proud heart goe wide.


Sei klug, so wie du hart bist, laß es sein,
an meinem stummen Dulden dich zu weiden!
Sonst leiht der Gram mir Worte, gibt mirs ein,
ich sprech es aus –– mein un–erhörtes Leiden.
Und besser wärs (wenn ich zu raten hätt),
du sprächst von Liebe, auch wenn nichts gewesen;
wie kranke Menschen auf dem Totenbett
von ihrem Arzt nur hören, sie genesen.
Denn würde ich verzweifeln, würd ich toll
und spräch in meiner Tollheit schlecht von dir,
verleumdete –– die schlechte Welt ist voll
davon, und tolle Ohren glaubten mir.

Schau nur auf mich, damit ich dich nicht schmähe,
wie weit dein stolzes Herz auch immer gehe!



Aus KRITIK DER LIEBE –– Shakespeare’s Sonnets & A Lover’s Complaint –– wiedergelesen und wiedergegeben von Günter Plessow. (c) Passau (Karl Stutz Verlag) 2003.

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