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William Shakespeare: Sonett 120 - 126

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XVIII. 120-126: TIME thou shalt not bost that I doe change

Das Stundenglas –– die vielverklagte Seele und ihre Todfeindin Zeit und ihre Sichel. Das Ich zweifelt weiter und scheint sich mehr und mehr in sich selber zurückzuziehen: gibt eigene Lieblosigkeit freimütig zu (120), weist aber die moralische Einmischung anderer weit von sich (121). Wichtig ist liebende Erinnerung, die ins Herz geschrieben ist, sie wiegt schwerer als jedes Buch, wobei der Dichter nicht nur an das Tagebuch des Freundes, sondern auch an dieses ihm gewidmete Werk denken mag (122).

Und doch gilt es, und darin kulminiert dieses Septett, die alte Todfeindin Zeit in die Schranken zu weisen (123): ich fordere dich heraus und die Geschichte, ich werde treu sein … ewiglich, ein Gedanke, der auch im vorigen Septett im Zentrum gestanden hatte (116). Die Fragen bleiben, stellen sich immer wieder neu: Ist es Ehrgeiz? Ist seine Liebe ihm zugefallen (124)? Ist es überhaupt etwas Äußeres oder das eigene Herz, das zählt? Haben falsche Zeugen irgendeine Bewandtnis für die vielverklagte Seele (125)? Sicher ist allerdings, daß Natur entscheidet, wann sie uns abberuft; noch sei sie stärker als die Zeit! Die Figur des Freundes, sie hält ihr eigenes Stundenglas in der Hand (126).


120.

THat you were once vnkind be-friends mee now,
And for that sorrow, which I then didde feele,
Needes must I vnder my transgression bow,
Vnlesse my Nerues were brasse or hammered steele.
For if you were by my vnkindnesse shaken
As I by yours, y’haue past a hell of Time,
And I a tyrant haue no leasure taken
To waigh how once I suffered in your crime.
O that our night of wo might haue remembred
My deepest sence, how hard true sorrow hits,
And soone to you, as you to me then tendred
The humble salue, which wounded bosomes fits!

But that your trespasse now becomes a fee,
Mine ransoms yours, and yours must ransome mee.

Daß du einst lieblos warst, lieb ist mirs nun,
ich muß mich beugen grad für jenen Schmerz,
den ich gefühlt –– nun wars mein Missetun ––
ich hätte Nerven denn aus Stahl und Erz.
Wärst du durch mich gekränkt wie ich durch dich,
du wärst durch eine Höllenzeit geschritten;
und ich Tyrann –– was kümmerte es mich
wie ich einst unter deiner Tat gelitten?
Erinnerte doch unsere Leidensnacht
mein Innerstes, wie hart der Gram uns schlägt!
O reichte ich, wie du es einst gemacht,
dem wunden Herzen Salbe, die es pflegt!

Doch dein Vergehn wird Lösegeld –– für zwei:
meins löst das deine, deines kauft mich frei.


121.

TIS better to be vile then vile esteemed,
When not to be, receiues reproach of being,
And the iust pleasure lost, which is so deemed,
Not by our feeling, but by others seeing.
For why should others false adulterat eyes
Giue salutation to my sportiue blood?
Or on my frailties why are frailer spies;
Which in their wils count bad what I think good?
Noe, I am that I am, and they that leuell
At my abuses, reckon vp their owne,
I may be straight though they them-selues be beuel
By their rancke thoughtes, my deedes must not be shown

Vnlesse this general euill they maintaine,
All men are bad and in their badnesse raigne.

Besser, wir sinds als gelten für gemein
–– selbst wenn wirs nicht sind, wird es unterstellt;
was Lust sein darf, das schätzen andre ein;
was wir empfinden, das wird uns vergällt.
Was weiden andre ihre geilen Augen
an meinem leichten Blut? An meiner Sünde?
Sind sündiger –– und solln als Späher taugen,
um zu verwerfen, was ich gut befinde?
Nein, ich bin, der ich bin, und die mich wogen,
verrechnen ihre eigne Sündenlast;
ich bins, der gerade ist, sie sind verbogen;
was haben sie von meinem Tun erfaßt? ––

Es gelte denn der Satz für alle Zeit:
der Mensch ist schlecht und herrscht in Schlechtigkeit.


122.

THy guift, thy tables, are within my braine
Full characterd with lasting memory,
Which shall aboue that idle rancke remaine
Beyond all date euen to eternity.
Or at the least, so long as braine and heart
Haue facultie by nature to subsist,
Til each to raz’d obliuion yeeld his part
Of thee, thy record neuer can be mist:
That poore retention could not so much hold,
Nor need I tallies thy deare loue to skore,
Therefore to giue them from me was I bold,
To trust those tables that receaue thee more,

To keepe an adiunckt to remember thee,
Were to import forgetfulnesse in mee.

Du gabst dein Tagebuch –– doch eingraviert
ist mir ins Hirn ein dauerndes Gedenken,
das überleben wird, was du notiert,
um jenseits aller Zeit sich einzusenken
–– solang zumindest, als mir die Natur
die Kraft, das Hirn, das Herz gibt zu bestehn;
denn bis ihr Teil an dir und ihre Spur
getilgt sind, kann die deine nie vergehn.
Dies arme Heft enthielte so viel nicht
–– kein Kerbholz zählt, wie teuer du mir bist ––
so gab ichs eben fort, um dem Gedicht
zu traun, das mehr von dir durchdrungen ist.

Gehilfen halten, die an dich gemahnen,
das hieße, dem Vergessen Wege bahnen.


123.

NO! Time, thou shalt not bost that I doe change,
Thy pyramyds buylt vp with newer might
To me are nothing nouell, nothing strange,
They are but dressings of a former sight:
Our dates are breefe, and therefor we admire,
What thou dost foyst vpon vs that is ould,
And rather make them borne to our desire,
Then thinke that we before haue heard them tould:
Thy registers and thee I both defie,
Not wondring at the present, nor the past,
For thy records, and what we see doth lye,
Made more or les by thy continuall hast:

This I doe vow and this shall euer be,
I will be true dispight thy syeth and thee.

Du prahle nicht, daß ich mich wandle, Zeit!
Die Pyramiden, die du neu erbaut,
sind mir nicht seltsam, keine Neuigkeit,
es sind Repliken, die wir oft geschaut.
Du hältst uns kurz, und so bewundern wir,
was du uns zuspielst, nehmens alt für neu,
als wärs für uns geboren jetzt und hier,
und übersehn, wie altbekannt es sei.
Ich fordre dich heraus und die Geschichte,
bestaune nicht, was ist, noch, was vergangen;
es lügt doch, was wir sehn und hörn –– Gerüchte,
Fiktionen deiner Hast, in Hast befangen.

Ich werde treu sein –– dieses schwöre ich ––
trotz deiner Sense treu sein ewiglich.


124.

YF my deare loue were but the childe of state,
It might for fortunes basterd be vnfathered,
As subiect to times loue, or to times hate,
Weeds among weeds, or flowers with flowers gatherd.
No it was buylded far from accident,
It suffers not in smilinge pomp, nor falls
Vnder the blow of thralled discontent,
Whereto th’inuiting time our fashion calls:
It feares not policy that Heriticke,
Which workes on leases of short numbred howers,
But all alone stands hugely pollitick,
That it nor growes with heat, nor drownes with showres.

To this I witnes call the foles of time,
Which die for goodnes, who haue liu'd for crime.

Wär mein Gefühl dem Ehrgeiz nur geboren,
wärs Glückes Bastard, vaterloses Kind,
an Zeit, die liebt, an Zeit, die haßt, verloren,
ob Halm im Heu, ob Blüte im Gebind.
Es bildete sich aus. Es fiel nicht zu.
Es leidet nicht, wenn alles lacht; und bangt
nicht mit im melancholischen Getu
der Mode, die die Zeit uns abverlangt.
Es fürchtet nicht berechnendes Verhalten,
das nur für kurze Stunden sich verdingt.
Es steht allein. Es konnte sich entfalten,
weils weder aufglüht, noch in Naß ertrinkt.

Die Zeitgeprellten rufe ich zu Zeugen:
sterben fürs Recht, das sie im Leben beugen.


125.

VVEr't ought to me I bore the canopy,
With my extern the outward honoring,
Or layd great bases for eternity,
Which proues more short then wast or ruining?
Haue I not seene dwellers on forme and fauor
Lose all, and more by paying too much rent
For compound sweet; Forgoing simple sauor,
Pittifull thriuors in their gazing spent.
Noe, let me be obsequious in thy heart,
And take thou my oblacion, poore but free,
Which is not mixt with seconds, knows no art,
But mutuall render, onely me for thee.

Hence, thou subbornd Informer, a trew soule
When most impeacht, stands least in thy controule.

Ich ginge, wenn mirs wichtig wär, so weit
und trüge öffentlich den Baldachin,
baute Podeste einer Ewigkeit,
die kürzer als Verfall währt und Ruin?
Sah ich nicht alles und noch mehr verlieren,
die sich für teures Geld an Formen binden,
die Schlichtem Raffiniertes präferieren,
im Dienst der Schaulust schnell ihr Ende finden?
O nein, im Herzen unterwerf ich mich.
Nimm meine Gabe an, so arm wie rein,
–– nichts Zweites künstlich beigemischt, nur ich ––
ich gebe mich, und dich tausche ich ein!

Hinweg, du falscher Zeuge! Dir entgeht,
wie fest die vielverklagte Seele steht.


126.

O Thou my louely Boy who in thy power,
Doest hould times fickle glasse, his sickle, hower:
Who hast by wayning growne, and therein shou’st,
Thy louers withering, as thy sweet selfe grow’st.
If Nature (soueraine misteres ouer wrack)
As thou goest onwards still will plucke thee backe,
She keepes thee to this purpose, that her skill.
May time disgrace, and wretched mynuit kill.
Yet feare her O thou minnion of her pleasure,
She may detaine, but not still keepe her tresure!

Her Audite (though delayd) answer’d must be,
And her Quietus is to render thee.

Du Lieblicher, du hältst es in der Hand,
das Glas der Schnitterin, den Stundensand,
im Schwinden wuchsest und so zeigtest du:
die, die dich lieben, welken, du nimmst zu.
Natur indes befindet, was verfällt;
du schreitest vor –– wenn die Natur dich hält,
dich noch zurückpflückt, ists zu ihrem Zweck:
sie höhnt die Zeit, hext die Minuten weg ––
doch fürchte sie! Sie darf den Schatz verwalten,
den Liebling hüten, aber nicht behalten.

Ihr Soll am Schluß –– es muß beglichen sein,
gestundet wars –– sie löst dich wieder ein.



Aus KRITIK DER LIEBE –– Shakespeare’s Sonnets & A Lover’s Complaint –– wiedergelesen und wiedergegeben von Günter Plessow. (c) Passau (Karl Stutz Verlag) 2003.

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