William Butler Yeats: Die Anbetung der heiligen drei Könige
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William Butler Yeats
Die Anbetung der heiligen drei Könige
Erzählung, übersetzt von Friedrich Eckstein 1914
Nicht lange
nach meiner letzten Begegnung mit Aherne war es, als ich spät nachts, in meine
Bücher vertieft, ein leises Klopfen an meiner Haustür vernahm. An der Schwelle
fand ich drei sehr alte Männer mit dicken Stöcken in den Händen, die sagten, es
sei ihnen mitgeteilt worden, daß ich auf sei und daß ich bereit sei, und sie hätten
mir wichtige Dinge zu sagen. Ich führte sie in mein Arbeitszimmer, und als der
Pfauenvorhang sich hinter uns geschlossen, rückte ich die Stühle für sie nahe
an das Feuer heran, denn ich sah, daß Frost auf ihren Mänteln war, ebenso wie
auf ihren langen Bärten, die fast bis zu ihren Hüften niederwallten. Sie legten
die Mäntel ab und beugten sich über das Feuer, wobei sie ihre Hände wärmten,
und ich sah, wieviel ihre Gewänder vom Landleben unserer Zeit an sich hatten,
aber doch auch, wie mir schien, ein wenig vom Leben der Stadt einer mehr
höfischen Zeit. Als sie sich gewärmt hatten – und es schien mir, sie wärmten
sich weniger um der Nachtkälte willen, als wegen der Freude an der Wärme als solcher
–, wandten sie sich zu mir, so daß das Lampenlicht auf ihre wetterharten
Gesichter fiel, und erzählten die Geschichte, die ich nun mitteilen will. Bald
sprach der eine, bald der andere, und oft unterbrachen sie sich gegenseitig mit
der Sucht der Landleute, keine Einzelheit unerwähnt zu lassen. Als sie zu Ende
waren, ließen sie mich über jedes Gespräch, das sie zitiert hatten, Notizen
machen, damit ich den genauen Wortlaut hätte, und dann schickten sie sich an zu
gehen; und als ich sie frug, wohin sie gingen und was sie zu tun vorhätten und
mit welchen Namen ich sie anzusprechen hätte, da war kein Wort aus ihnen
herauszubringen, außer, es sei ihnen befohlen worden, unaufhörlich Irland zu
bereisen, und zwar zu Fuß und zur
Nachtzeit, auf daß sie sich nahe bei den Steinen und bei den Bäumen aufhielten,
zu den Stunden, da die Unsterblichen wachen.
Ich habe
einige Jahre vorübergehen lassen, bevor ich diese Geschichte niedergeschrieben,
denn ich fürchte immer Täuschungen, als die Folge von jener Unruhe des
Vorhanges im Tempel, wie Mallarmé sie als ein Charakteristikon unserer Zeit ansieht,
und schreibe sie jetzt darum nieder, weil ich mich zu der Ansicht durchgerungen
habe, daß es keine gefährliche Idee gibt, die nicht weniger gefährlich würde,
wenn sie in klarer und gewählter Sprache nieder-geschrieben worden.
Die drei Alten
waren Brüder, die von Jugend an auf einer der westlichen Inseln gelebt und sich
ihr ganzes Leben lang um nichts gekümmert, als um jene klassischen
altkeltischen Schriftsteller, die ein heroisches und einfaches Leben verkündet
hatten. Nacht für Nacht im Winter trugen ihnen gälische Märchenerzähler über
einem Krug Whisky alte Dichtungen vor, und Nacht für Nacht im Sommer, wenn die
gälischen Erzähler auf den Feldern oder fern beim Fischen an der Arbeit waren,
lasen sie sich gegenseitig aus dem Virgil und dem Homer vor, denn sie wollten
sich der Einsamkeit nicht anders erfreuen, als mit den Alten. Schließlich kam
ein Mann zu ihnen in einem Fischerboot, der sich Michael Robartes nannte und,
dem Heiligen Brandan gleich, getrieben war von einer Vision und gerufen von
einer Stimme; und der sprach ihnen von der Wiederkunft der Götter und der alten
Dinge; und ihre Herzen, die niemals die Schwere und den Druck unserer Zeit
ertragen hatten, sondern nur den von fernen Tagen, fanden nichts unglaubwürdig,
was er ihnen sagte, sondern nahmen alles einfach hin und waren glücklich.
Jahre gingen
dahin, und eines Tages, als der älteste von den Alten, der in seiner Jugend
gereist war und manchmal der fremden Länder gedachte, über die grauen Wässer
auslugte, auf denen die Leute die schwachen Umrisse der Inseln der Jugend
sehen, jener seligen Inseln, wo die gälischen Helden das Leben von Homers Phäaken
leben, da kam eine Stimme aus der Luft, über die Gewässer und verkündete ihnen
den Tod des Michael Robartes. Während sie noch trauerten, verfiel der
Nächstälteste in Schlaf, als er gerade in der fünften Ekloge des Virgil las,
und eine seltsame Stimme sprach zu ihm und befahl ihnen, sie sollten sich nach
Paris aufmachen, wo ein Weib im Sterben liege, die werde ihnen die geheimen
Namen der Götter offenbaren, die vollkommen nur ausgesprochen werden können,
wenn der Geist in bestimmten Farben, in gewissen Tönen und Gerüchen
untergetaucht war, bei deren voll-kommenem Aussprechen aber die Unsterblichen
aufhören, Schall und Rauch zu sein, sondern mit einem gingen und redeten wie
Männer und Frauen.
Sie verließen
ihre Insel, und zuerst waren sie über alles betrübt, was sie in der Welt sahen;
und sie kamen nach Paris, und dort sah der Jüngste eine Person im Traume, die
sagte ihm, sie müßten aufs Geratewohl umherwandern, bis jene, die ihre Schritte
lenkten, sie zu einer Straße und zu einem Hause hingeleitet hätten, dessen Aussehen
ihm im Traume gezeigt worden. Viele Tage wanderten sie nun hin und her, bis sie
eines Morgens in eine enge und schmutzige Straße südlich der Seine kamen, wo
Weiber mit blassen Gesichtern und unordentlichem Haar sie aus den Fenstern
anblickten; und gerade als sie umkehren wollten, da Weisheit sich unmöglich in
solch einer unsinnigen Nachbarschaft niedergelassen haben könne, kamen sie zu
der Straße und vor das Haus, das der Traum gewiesen. Der Älteste, der sich noch
ein wenig der modernen Sprachen entsann, die er in seiner Jugend gekannt,
näherte sich der Haustür und klopfte an, und als er geklopft hatte, da meinte
der Nächstälteste, dies sei kein gutes Haus, und es könne nicht das Haus sein,
das sie suchten, und drang in ihn, er möge nach jemand fragen, von dem sie wußten,
daß er da nicht wohne, und daß sie dann weggehen sollten.
Die Türe wurde
von einem alten, überladen gekleideten Weibe geöffnet, das ausrief: »Oh! Ihr
seid ihre drei Verwandten aus Irland. Sie hat euch den ganzen Tag erwartet!«
Die Alten blickten sich an und folgten ihr über die Treppe, vorbei an Türen,
aus denen blasse und unordentlich gekleidete Frauen die Köpfe hervorsteckten,
in ein Zimmer, darin ein schönes Weib schlafend in einem Bette lag, an dem ein
anderes Weib saß. Die Alte rief: »Ja! Endlich sind sie gekommen, jetzt wird sie
in Frieden sterben können«, und verließ das Zimmer. »Wir sind von Teufeln
betrogen,« rief einer von den Alten, »denn die Unsterblichen sprechen nicht aus
einem Weibe wie dieses!« »Ja,« sagte der andere, »wir sind von Teufeln
betrogen, und wir müssen rasch von hinnen.« »Ja,« sagte der dritte, »wir sind
von Teufeln betrogen, aber laßt uns ein weniges niederknien, denn wir sind am
Sterbebette von einer, die schön gewesen!« Sie knieten nieder, und das Weib,
das an dem Bette saß und von Furcht und heiliger Scheu überwältigt schien,
senkte das Haupt. Kurze Zeit blickten sie auf das Antlitz auf dem Kissen und
wunderten sich über den Blick, der eine unstillbare Sehnsucht auszudrücken
schien, und über die porzellangleiche Feinheit des Gefäßes, darinnen eine so bösartige
Flamme gebrannt hatte.
Mit einem Male
begann der Zweitälteste zu krähen wie ein Hahn, bis der ganze Raum vom Gekrähe
zu erzittern schien. Noch immer verblieb das Weib im Bette in ihrem
totenähnlichen Schlaf, aber die andere, ihr zu Häupten, bekreuzigte sich und
erblaßte, und der jüngste von den Alten schrie: »Ein Teufel ist in ihn
gefahren, und wir müssen weg, oder er wird auch in uns fahren!« Bevor sie sich aber
noch von den Knien zu erheben vermochten, da erklang von den Lippen dessen, der
gekräht hatte, eine wohlklingende singende Stimme, die sprach: »Ich bin nicht
ein Teufel, ich bin Hermes, der Hirt der Toten; und ich bringe die Botschaft
der Götter, und ihr habt mein Zeichen gehört, das von Anbeginn mein Zeichen
gewesen. Beugt euch nieder vor ihr, von deren Lippen die geheimnisvollen Namen der
Unsterblichen nun kommen werden, und der Dinge, die ihrem Herzen nahe gewesen,
auf daß die Unsterblichen wieder in die Welt kommen mögen. Beugt euch nieder
und lernt begreifen: wenn sie daran sind, die Dinge von heute umzustoßen und
die von gestern wiederzubringen, da ist niemand, der ihnen helfen könnte, es
sei denn einer, den die Dinge von heute verstoßen haben. Beugt euch tief zur
Erde nieder, denn zu ihrer Priesterin haben sie dieses Weib erkoren, in deren
Herzen alle Torheiten versammelt und in deren Leib alle Begierden erwacht
waren. Dieses Weib, das, vertrieben aus der Zeit, am Busen der Ewigkeit
gehangen! Und wenn ihr euch verbeugt habt, dann werden die alten Dinge wieder
anfangen und eine neue Argo wird Helden über die Tiefen tragen und ein neuer Achilles
ein neues Troja belagern.«
Die Stimme
endete mit einem Seufzer, und sogleich erwachte der Alte aus dem Schlafe und
sprach: »Hat eine Stimme aus mir geredet, wie sie gesprochen, da ich über
meinem Virgil eingeschlummert, oder habe ich bloß geschlafen?« Der Älteste sprach:
»Eine Stimme hat aus dir gesprochen, aber wo war deine Seele, während die
Stimme aus dir redete?« »Wo meine Seele war, weiß ich nicht, aber mir träumte,
ich hätte unter dem Dach einer Krippe gesessen, und da ich hinabblickte, sah
ich einen Ochsen und einen Esel, und auf dem Heurechen einen roten Hahn, und
ein Weib sah ich ein Kind herzen, und sah drei alte Männer im rubinenbesetzten
Harnisch, die Häupter tief gebeugt, vor dem Weibe mit dem Kinde knieen.
»Während ich
hinblickte, da krähte der Hahn, und ein Mann mit Flügeln an den Fersen schwang
sich empor durch die Lüfte, und da er an mir vorbeiflog, rief er: »O ihr
törichten Alten! Einst habt ihr alle Weisheit von den Sternen euer eigen
genannt!« »Ich verstehe meinen Traum nicht, noch was er uns zu tun heißt, aber
ihr, die ihr die Stimme aus der Weisheit meines Schlafes vernommen, ihr wisset,
was wir zu tun haben.« Darauf sagte der älteste von den Alten, sie sollten die
Pergamente, die sie mit sich geführt, aus ihren Taschen nehmen und auf dem
Boden ausbreiten. Und als sie sie auf die Erde hingebreitet, da holten sie aus
ihren Taschen Schreibfedern, die waren zugeschnitzt aus drei Federn, den
Schwingen jenes Adlers entfallen, der einst mit St. Patrick Worte der Weisheit
gewechselt.
»Ich glaube,«
sagte der Jüngste, indem er die Tintenfässer neben die Pergamentrollen
hinstellte, »er wollte sagen, daß, wenn Leute gut sind, die Welt sie liebt und
von ihnen Besitz ergreift, und daß darum die Ewigkeit durch Menschen kommt, die
nicht gut sind oder die vergessen worden sind. Vielleicht ist das Christentum
gut gewesen und die Welt hat es geliebt, und vielleicht geht es jetzt von uns
und die Unsterblichen beginnen zu erwachen.« »Was du sagst, ist nicht weise,«
sagte der Älteste, »denn wenn es viele Unsterbliche gibt, dann kann es nicht
nur ein Unsterbliches geben.«
Nun setzte
sich das Weib im Bette auf und blickte mit wilden Blicken um sich, und der
älteste von den Alten sprach: »Frau! Wir sind gekommen, die geheimen Namen
niederzuschreiben.« Bei diesen Worten kam ein Ausdruck großer Freude über ihr Antlitz.
Sogleich begann sie langsam und doch lebhaft zu reden, als wäre ihr bewußt, daß
sie nur mehr kurze Zeit zu leben habe. Sie sprach das Gälische ihrer Heimat,
und sie sagte ihnen viele geheime und machtvolle Namen und sprach ihnen von den
Farben und den Gerüchen und von Waffen und Musikinstrumenten und von den Werkzeugen,
die den Trägern dieser Namen zukamen, am meisten aber von den »Sidhe«* der
Irländer und von ihrer Liebe zum »Cauldron«** und dem Wetzstein, dem Schwert
und dem Speer. Dann warf sie sich eine Weile hin und her und stöhnte, und als
sie wieder sprach, war es ein so schwaches Gemurmel, daß das Weib, das am Bette
saß, sich herabbeugen mußte, um zu hören, und während jene hinhorchte, entfloh
die Seele ihrem Leib.
Der älteste
von den Alten sprach nun Französisch zu dem Weibe, das noch immer über dem
Bette gebeugt saß. »Es muß noch ein Name gewesen sein, den sie uns nicht gesagt
hat, denn sie murmelte einen Namen, während die Seele sie verließ.« Und das Weib
antwortete: »Es war nur der Name eines symbolistischen Malers, den sie
verehrte. Der pflegte eine Stätte aufzusuchen, wo, was er die »schwarze Messe«
nannte, stattfand, und er war es, der sie lehrte, Gesichte zu sehen und Stimmen
zu hören. Sie traf ihn zum erstenmal vor wenigen Monaten, und seit jenem Tage
war unsere Ruhe dahin, denn immer redete sie von ihren Visionen und von Stimmen,
die sie gehört. Ja! Erst letzte Nacht habe ich im Traum einen Mann gesehen, mit
rotem Bart und rotem Haar, rot gekleidet, der an meinem Bette stand. In der
einen Hand hielt er eine Rose, die er mit der anderen zerpflückte, und die
Blätter wirbelten durch das Zimmer, und aus ihnen wurden schöne Menschen, die
allmählich zu tanzen begannen. Als ich erwachte, war ich ganz heiß vor Entsetzen.«
Das ist alles,
was mir die Alten erzählt haben, und wenn ich mich ihrer Rede und ihres
Schweigens entsinne, ihres Kommens und Gehens, dann bin ich fast überzeugt, ich
hätte, wenn ich nach ihnen das Haus verlassen, keine Fußspuren im Schnee
gefunden. Nach allem, was ich oder irgend jemand hierüber sagen kann, mögen sie
selber Unsterbliche gewesen sein, unsterbliche Dämonen, gekommen, um meinem
Geiste eine unwahre Geschichte einzugeben, zu einem Zweck, den ich nicht kenne.
Wer immer sie gewesen sein mögen, sicherlich habe ich einen Weg eingeschlagen, der
mich von ihnen und der Chymischen Rose entfernen wird. Nicht länger mehr lebe
ich ein sorgfältiges und hochmütiges Leben, sondern bin bestrebt, mich unter
den Gebeten und den Sorgen der Menge zu verlieren. Am liebsten bete ich in den
Kirchen der Armen, wo grobe Kittel mich streifen, wenn ich niederknie; und wenn
ich ein Stoßgebet gegen die bösen Geister verrichte, dann wiederhole ich ein
Gebet, das, ich weiß nicht vor wieviel Jahrhunderten, gelispelt worden, um
irgendeinem gälischen Mann oder einer Frau beizustehen, die an einem Leiden
gleich dem meinen gelitten.
Seacht
b‐páidreacha fó seacht
Chuir Muire
faoi n‐a Mac,
Chuir Brighid
faoi n‐a brat,
Chuir Dia faoi
n‐a neart
Eidir sinn
'san Sluagh Sidhe
Eidir sinn
'san Sluagh Gaoith.
Sieben Patres
siebenmal
Senden Marien
durch ihren Sohn,
Senden Brigitt
durch den Mantel,
Senden Gott
durch seine Kraft
Zwischen uns und die Zauberschar,
Zwischen uns und die luftgen Geister.
* Anm. d. Übers.: »Sidhe«, spr. »Schi«, ist das irische Wort für die Elfen, die Elementargeister (vgl. Grimm, »Irische Elfenmärchen«, Leipzig 1826, Einl. S. IX ff.)
** »Cauldron« = »Zauberkessel« der alten Kelten. Vgl. Shakespeare, Macbeth IV, 1 in der Hexenszene:
»Fillet of a fenny snakeIn the caldron boil and bake.«