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Werner Fritsch: Steinbruch

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Thomas Combrink

Ein innerer Monolog aus der Zeit beim Militär


„Steinbruch“ heißt das Buch von Werner Fritsch, das 1989 in der edition suhrkamp veröffentlicht und 2023 dort neu aufgelegt wurde. Es handelt sich um ein schmales Bändchen mit einem überschaubaren Text von gut fünfzig Seiten, der in drei Abschnitte unterteilt ist. Diese Passagen bilden einen engen Zusammenhang, stellen sie doch jeweils einen einzelnen, komplex gebauten Satz dar. Die ersten beiden Kapitel werden mit einem Punkt beendet, am Schluss der letzten Partie finden sich Auslassungszeichen.

Das Medium von Werner Fritsch ist die Prosa; die Differenz zwischen Erfindung und Realität ist aufgelöst. Erzählt wird aus der Perspektive eines Mannes bei der Bundeswehr. Die Darstellung ergibt sich einerseits aus dem freien Verlauf der Gedanken des Rekruten, andererseits leitet Fritsch die Worte und Satzteile aus den Redeweisen ab, welche die Sprache ihm vorgibt. So ist zum Beispiel der „Kopf“ ein zentraler Ausdruck in „Steinbruch“, dessen unterschiedliche Bedeutungen den Fluss der Prosa in verschiedene Richtungen lenken. „Durch den Kopf geschossen“ kann den Einfall einer Idee oder eines Gedankens kennzeichnen; gleichzeitig ist die Formulierung im militärischen Sinn zu verstehen, in der Bedeutung eines Projektils, das in den Schädel eines Menschen gefeuert wird. Hinzu kommen der „Kehlkopf“, der für das Sprechen wichtig ist, und der „Sprengkopf“, der zur Ausstattung der Raketen im Kalten Krieg gehörte. Die Erzählung schreibt sich einerseits aus den Erfahrungen des Protagonisten bei der Bundeswehr fort, andererseits wird der Verlauf bestimmt durch die Gesetze der Sprache, die oft gegensätzliche Sachverhalte miteinander in Beziehung bringt.

Zentrale Figur im Monolog von Werner Fritsch ist der Satzbau. Damit ist auch die Neuschöpfung von Worten aus bereits bestehenden Vokabeln gemeint, zum Beispiel „eisblockkalt“, „gaumenknebelnd“ oder „radargerastert“. Der Text erinnert an die Literatur von Arno Holz, der in seinen auf Mittelachse gesetzten Gedichten des „Phantasus“ ebenfalls Adjektive und Attribute reihte, die er aus den vorhandenen Bestandteilen der Sprache auswählte und kombinierte. Komplementär zu „Steinbruch“ verhält sich das Theaterstück „Fleischwolf. Gefecht“ von Werner Fritsch, das er 1992 in der edition suhrkamp veröffentlichte. Hier arbeitet er mit vorgefundenem Sprachmaterial, zitiert die Redeweisen der Soldaten bei der Bundeswehr oder von Menschen aus dem Rotlichtmilieu. Die Handlung spielt in der Bar „National“. „Steinbruch“ und „Fleischwolf“ unterscheiden sich voneinander wie analytischer und synthetischer Kubismus. Geht es in dem einen Text um die ständige Bearbeitung der grammatischen Strukturen, um die Architektur des Satzbaus, um die Sprache in schriftlicher Form, so steht in dem Drama das Prinzip Mündlichkeit im Vordergrund. Der Sinn ergibt sich aus dem gesprochenen Wort, das der Autor aufgezeichnet hat. Der Ausdruck analytisch würde sich also darauf beziehen, dass Fritsch eine grammatische Form herstellt aus den Gedanken, Gefühlen und Erfahrungen, die ihm durch den Kopf gehen. Synthetisch hingegen bezieht sich auf den Vorgang, bei dem der Autor sich auf den Fundus von Sätzen bezieht, die von anderen Menschen bereits artikuliert wurden.

Der Untertitel „Gefecht“, den Fritsch für sein Drama „Fleischwolf“ gewählt hat, würde auch als Metapher für den Text „Steinbruch“ dienen können. Denn die ausufernden Satzperioden, die Reihungen von Adjektiven, die Partizipien, die für eine große Verdichtung sorgen, wirken wie Soldaten, die gegeneinander in Stellung gebracht werden. Der Leser muss sich zurechtfinden in der Anordnung der Worte und Satzteile. Dabei gerät die Syntax bereits zu Beginn zur Parodie. Umfangreich ist der erste gedankliche Abschnitt, den Fritsch mit einem Semikolon abschließt. Nach drei Zeilen fängt eine Parenthese an, also ein Einschub, die erst zwei Seiten später beendet wird. Der Hauptsatz wird so lange unterbrochen, bis man den Faden verloren hat und nochmals von vorne beginnen muss. Die Grammatik wirkt in „Steinbruch“ wie ein Labyrinth – wer den Ausgang findet, hat den Satz verstanden.

Betont werden in dem Text auch die Knochen des Protagonisten, die in Bewegung sind und beim Marsch belastet werden. Das erinnert an das Knie des Obergefreiten Wieland in dem Film „Die Patriotin“ von Alexander Kluge von 1979, der wiederum auf das Gedicht von Christian Morgenstern über das Gelenk anspielt und es auch zitiert. 1980 diente Werner Fritsch bei der Bundeswehr, kurz nachdem der Beitrag in den Kinos gelaufen war. Vielleicht hat er sich durch den Film inspirieren lassen. Die Knochen verweisen gleichzeitig auf den Totentanz von Wondreb, also auf das Gemälde in der heimatlichen Friedhofskapelle des Autors. Mit den Skeletten auf den Bildern wird auf das Sterben und die Vergänglichkeit angespielt; dabei handelt es sich um barocke Motive, die ihre Bedeutung über die Ereignisse des Dreißigjährigen Krieg bekommen. Die Heimat von Werner Fritsch grenzte an Böhmen, wo 1618 in Prag die Auseinandersetzungen begannen. Der Autor wuchs nur wenige Kilometer vom tschechischen Eger auf, wo der Feldherr Wallenstein 1634 ermordet wurde. In dem Prosatext von Fritsch steht aber eher der Kalte Krieg im Zentrum; die direkte Nähe zum Ostblock deutet an, dass bei einem Kriegsausbruch der Ort schnell zum Schauplatz werden würde. Am Schluss von „Steinbruch“ bleibt offen, ob der Rekrut den Feldwebel, der am Zaun hochklettert, tatsächlich erschießt, oder ob es sich bei dieser Tötung um ein Gedankenspiel handelt. Der Schuss, der sich aus der Waffe löst, ist vergleichbar mit dem Orgasmus, den der Soldat vorher hatte, weil er sein Gewehr mit seinem Glied vertauschte.


Werner Fritsch: „Steinbruch“. Berlin (edition suhrkamp) 2023 (1989). 53 S.
14,00 Euro.

 
Werner Fritsch: „Fleischwolf. Gefecht“ Frankfurt a. M. (edition suhrkamp) 1992. 112 Seiten.
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