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Weihnachtsempfehlung von Alexandru Bulucz

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Weihnachtsempfehlung von Alexandru Bulucz


Der Gedichtband „Die Brücke aus Papier“ gehört in meinen Augen zu den schönsten Publikationen dieses an runden Jubiläen reichen und zugleich von der Pandemie so gebeutelten Jahres 2020. Den Namen seines Autors, Lothar Quinkenstein, dürfte die eine oder der andere im Zusammenhang mit den „Jakobsbüchern“ der polnischen Schriftstellerin Olga Tokarczuk gehört haben. Gemeinsam mit Lisa Palmer hat er das Monumentalwerk der Literaturnobelpreisträgerin 2018 aus dem Polnischen ins Deutsche übersetzt.
    Der Gedichtband beinhaltet gerade einmal fünf Gedichte, unter denen nur ein einziges länger ist als eine Seite. Der Untertitel, „Sprachen der Bukowina“, deutet jedoch an, warum die Leser*innen ein fast 100-seitiges und nicht etwa ein nur 10-seitiges Buch in den Händen halten: Die auf Deutsch verfassten Gedichte liegen auch in jenen Sprachen vor, die neben Deutsch in der historischen Bukowina gesprochen wurden, bevor auch diese polylinguale Gegend von den Nazi-Verbrechen gegen die Menschlichkeit heimgesucht wurde: auf Armenisch, Hebräisch, Jiddisch, Polnisch, Romanes, Russisch, Rumänisch, Ungarisch und Ukrainisch. „Um einen noch größeren Leserkreis zu erreichen, liegen die Gedichte zusätzlich in englischer Sprache vor“, heißt es auf der Verlagswebsite.
    Dass die Gedichte einen größeren Kreis erreichen, ist ihnen vorbehaltslos zu wünschen! Dieses in elf Sprachen und vier Schriftsystemen sich artikulierende Babylon bezeichnet der Herausgeber, Florian Kührer-Wielach, als ein „mondiales Projekt“ und erinnert damit bewusst an das Konzept der Weltliteratur. Dessen Realisierer – Autor, Herausgeber, Verleger und Übersetzer*innen – sind geographisch wie Scherben zerstreut. Und doch sind sie es, die durch ihre ausgezeichnete Kollektivleistung „das nicht gelebte Leben/ über die Brücke aus Papier“ tragen, um an das jüdische Erbe Mitteleuropas zu erinnern.

Während meines kürzlichen Aufenthalts in Czernowitz, der traditionellen Hauptstadt der Bukowina, habe ich den dortigen jüdischen Friedhof besucht (später auch jenen im nahegelegenen Sadagora). Etwas Trauriges liegt über seiner Verwahrlosung und über der Natur, die die schiefen Grabsteine, die voller Poesie sind, überwächst. Ab etwa der Mitte des Friedhofs – in der Länge wie in der Breite – verschwindet die Polylingualität, die die Stadt so lange ausmachte – und Ukrainisch wird, mit wenigen Ausnahmen, zur vorherrschenden Sprache des jüdischen Friedhofs. Diese Mitte markiert die erste Hälfte der Vierzigerjahre, die Zeit der Deportationen.

Lothar Quinkenstein, der nicht nur Lyriker und Übersetzer, sondern auch Literaturwissenschaftler, Essayist und Romancier ist, schreibt in seinem Nachwort u.a. über das Konzept seiner Dichtung: „Vergegenwärtigung ist Erinnerung“, heißt es da, und das leuchtet bei der Lektüre seiner Gedichte unmittelbar ein. Sie gehen gegen das vor, was mit der physischen Zerstörung einer ganzen „kulturellen Topographie“ einherzugehen droht: das drohende „Mnemozid“ (Christoph Münz), die drohende „Vernichtung der Erinnerung“ an die Opfer, die sich, wenn sie überlebten, im Exil wiederfanden.

Die im Dienst der Zukunft stehende, geschichtlich anspielungsreiche Erinnerungspoesie Lothar Quinkensteins ist zudem ein ästhetisches Ereignis. Ein Bild, das nachhallt, ist zum Beispiel jenes des Morgens, der „im Knistern der Disteln“ streune. Oder der „grausige Anblick“ am Pruth: „als damals der Zug in den Pruth/ die Ochsen zerschmettert in Trümmern im Eis“. Das Gedicht „Briefe“ wiederum führt eine Differenzierung des Konzepts der Polylingualität ein: Eine einzelne Sprache kann polylingual sein, obwohl sie sich keiner Fremdsprache bedient, um sich als solche zu konstituieren – zum Beispiel indem sie intertextuell arbeitet und verschiedene poetische Ausdrucksweisen gleicher Sprache in sich eingehen lässt …
 
    Wer mehr über die historische Bukowina und die Tragik dieser „kulturellen Topographie“ und ihrer Akteur*innen (wie Paul Celan, Rose Ausländer …) erfahren möchte, der*die greife unbedingt zu diesem Buch!


Lothar Quinkenstein: Die Brücke aus Papier. Sprachen der Bukowina, hrsg. von Florian Kührer-Wielach. Ulm (danube books) 2020. Übs. v. Mark Bielorusets, Armenuhi Drost-Abgarjan, Yanara Friedland, John Heath, Nora Iuga, Jurko Prochasko, Anna Rozenfeld, Rick Sahar, Gábor Schein, Ruždija Russo Sejdović. 100 Seiten. 16,00 Euro.
 
https://www.danube-books.eu/lothar-quinkenstein-die-bruecke-aus-papier-sprachen-der-bukowina
 


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