Wanda Coleman: strände
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Jan Kuhlbrodt
Wanda Coleman: strände. Warum sie mich kaltlassen. Ausgewählte Gedichte. Übersetzt von Esther Ghionda-Breger. Augsburg (MaroVerlag) 2021. 248 Seiten. 24,00 Euro.
Wanda Coleman lesen
„ich renne auf der stellemeine zunge ist hart und fest gewordenmein tempo ist gleichmäßiger, meine schritte sichererpräzise wie kreise, die mich umgeben und dieses zerrütteteego ins zentrum zumindest eines widerspenstigenkosmos stellen.“
Bei Maro ist unter dem Titel „strände. warum sie mich kaltlassen“ eine Ausgabe mit Gedichten von Wanda Coleman erschienen, bzw. mit Übertragungen von Colemans Gedichten durch Esther Ghionda-Breger. Es ist eine sehr umfangreiche Auswahl auf nahezu 250 Seiten, was auch die Einsprachigkeit der Ausgabe erklärt. Zweisprachigkeit hätte den Umfang gesprengt. Und nach meinem Dafürhalten sind die Übersetzungen auch sehr gelungen.
Mit diesem Band wird Colemans ungeheuer vielschichtiges Werk vorgestellt. Abgesehen davon, dass das Buch ein Liebesgedicht enthält, das ich im Augenblick für das schönste halte, das ich kenne, es heißt: „Mein Liebster bringt Blumen“ und zeigt die Liebe im Licht von Armut, und Verzweiflung an dieser Armut wachsend, ist es ein lyrisches Abenteuer, sich durch diese Texte zu lesen.
Wanda Coleman ist 1946 in Los Angeles geboren und starb 2013, und es ist mir rätselhaft, bisher nichts von ihr gehört zu haben. Ich habe mich in dieser Hinsicht wohl nicht geschickt genug angestellt, und man hält sich zuweilen für weltoffener als man eigentlich ist. Jedenfalls postete ich meine Begeisterung für den Band in einem sozialen Medium und ein Freund kommentierte, dass er Colemans Texte vor einigen Jahren schon in einer Gefängnislesung präsentiert habe, und die Gefangenen, die zuhörten, begeistert gewesen seien, wie Fans auf einem Popkonzert.
Dabei sind Colemans Verse mit allen lyrischen Wassern gewaschen, sie sind lektüresatt, und voller Referenzen. Doch erschließen sie sich auch dem Leser, der Leserin, die nicht kartonweise Vorbildung mit sich herumschleppt. Trotz ihrer Diskursivität wirken die Texte direkt, unmittelbar und entfalten eine enorme Energie.
Zum Beispiel beziehen sich die im Band enthaltenen amerikanischen Sonette auf so verschiedene Autorinnen wie Anna Achmatowa oder Robert Duncan. Einer Autorin und einem Autor also, zwischen denen neben Traditionen auch noch ein Ozean liegt.
Das Sonett, das sich aus der Achmatowa-Lektüre speist, hebt so an:
„auf meine kaputte enthemmte stadtpsyche/ den erschöpftensturm, der den goldenen regen eines grausamen tages entfliehtund sternenhungrig, geschlagen, blind und blass umherirrt“
Die Anleihe an russischer Bildlichkeit wird im Fortgang des
Gedichtes aber mit einer erfahrenen schwarzen weiblichen Armutsrealität
kurzgeschlossen. Eine schwesterliche gegenseitige Aner-kennung des jeweiligen
Leids. Das Sonett endet:
„meine kompromisslose Sicht auf die Nachkommen, die vonmir behaupten, ich trüge den Besen, wie ein Kreuz.“
Dieses Sonett aber steht keinesfalls paradigmatisch für die
anderen Texte des Bandes, ich habe es herausgegriffen, weil es, wahrscheinlich
durch den Bezug auf die Russin, aus dem Textkonvolut heraussticht. Dem könnte
man vielleicht den Text: „SCHWERER FALL VON TOCHTER-BLUES“ entgegensetzen. Ein
Gedicht, das mit der Verschlingung von medialen Realitäten und Kulturindustrie
operiert.
„wirf das gold in den shredderVietnam hat Hollywood mit hubschrauberrotoren& scheinwerferlicht erobert(laßt uns diese wichte verhaften)“
Getragen aber ist der ganze Band von einer fast mythischen
Intimität und Liebe, in die sich die Diskriminierungserfahrung einer schwarzen
Frau und Mutter zwar einwirkt, aber ihren Stolz kann sie nicht verdrängen. Eine
Pflichtlektüre!