Walter Fabian Schmid: stimmapparatvibrato
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Konstantin Ames
Was hilft gegen «avataria»?
Walter Fabian Schmids Debüt ist endlich draußen! Die nächste gute Nachricht ist, dass er darin mündiger Poesie weiterhin den Vorzug gibt vor der Themen-, Thesen- und derzeit reüssierenden anderweitigen Bindestrichlyrik (Artenschutzlyrik, ›politische Lyrik‹, «Realpoesie»), in der alles Mögliche im Fokus steht, nur eben nicht das poetische Sprechen selbst.
Sterilität vermeidet Schmid genauso wie schiere Identitätspflege. So entstehen mal standard- und dialektsprachliche Hybride, ein andermal werden Szenegequatsche und astrophysikalische Fachsprache gemixt. Es ist schwer vorstellbar, dass diese Texte ohne eine gehörige Grundaufgeregtheit vorgetragen werden. Das hat bei Schmid eine altehrwürdige tugendethische Dimension; nicht ohne Berechtigung tauchen Begriffe wie ira, superbia, invidia auf. Das zielt nicht nur auf die Charakterdeformationen einiger Betriebsgrößen ab, sondern legt sich die gesamtgesellschaftliche Sprachverrohung auf die Zunge. Herzinniglich in sich hinein monologisierende Lyrik, die sich zur blauen Stunde in eine weltlose Selbstberauschung hineinsäuselt, kann dabei nicht herauskommen. Schmid zeigt sich in seinem ersten Buch erdschwer, kombinationsstark, präsent. Wer das (Lautstärken und Tonhöhen gekonnt wechselndes) Granteln, Zetern und Zischen des aus Regen gebürtigen Wahlberners noch nie gehört hat, dem hätte eine auditive Beilage diese – auf den prononcierten individuellen Vortrag hin orientierte Schreibeweise – ohrenfällig komplettiert. Aufnahmen nachzureichen empföhle sich; es würde sich wohl ungefähr so anhören.
Nun ist (bajuwarisches) Dialektsprechen
(außerhalb Bayerns) aus sehr volksmusikalischen Gründen nicht jedermenschs
Sache. Schmid verfällt aber nicht in eine identitätspolitische Sprach-brauchtumspflege,
die nichts anderes ersehnt, als ein bedächtiges Gruppeneinverständnis zur
listig formulierten Ausgrenzung des Anderen und des Fremden. In Zeiten von
Lyrikhitparaden, Heimatministerien, autoritären Chartas kann ein Akt der scheinbar
affirmativen Herkunftszuwendung leicht als dumpfbackig-elitär und hermetisch
missdeutet werden. Walter Fabian Schmid geht dieses Risiko ein. Den Dialekt
nutzt er als eine Gelegenheit, nicht-normiert zu sprechen; es geht ihm dabei nicht
ums Lokalkolorit und ist auch keine provinzielle Klangpinselei. Eher mischt
sich gelegentlich darunter ein etwas falber Klagegesang auf den Verlust
authentischer Erfahrung an die «avartaria», so lautet Schmids pseudolatinisierender
Neologismus für das sehr divergierende Gebaren von Mit-menschen in digitalen
Herdentierställen im Vergleich zum ›real life‹.
Hier dominiert im Duktus ein
deterministisches Lamento, das dem entliehenen Motto des Chaostheoretikers
Edward Norton Lorenz (›Schmetterlingseffekt‹) einen drastischen ideologischen
Preisnachlass gewährt. Zuweilen sind neokonservative Töne herauszuhören: «Diese
Welt ist nicht vereinbar. […] Neue Zeiten sprengen Kausales. […] Bei deiner
Distanz/ zur Erleuchtung seh ich rot.» – Fraglich ist, ob das zwingend etwas
Schlechtes bedeutet. Schiere Technik- und Machbarkeitsgläubigkeit siedelt, wie
wir spätestens seit Günter Anders’ Großessay zur «Antiquiertheit des Menschen» wissen,
weitab moralischer Zonen. Eine moderne Tradition gegen postmodernes,
transhumanes und posthumanistisches Dichterpriestertum zu verteidigen wäre
ebenfalls als konservativer Akt anzusprechen, aber eben auch als auf
Zukunftssicherung ausgerichtetes Rückbesinnen. Nicht die Neue Sachlichkeit hat
den Expressionismus und den Dadaismus ausgelöscht, sondern die faschistischen
Horden und die darauffolgende Restauration im montanistischen beziehungsweise
im stalinistischen Gewand. Das wird von den neuen Autoritären (von altlinks bis
neurechts) mit Feuereifer vergessen gemacht. Die gruselige wie gleichermaßen
verheißungsvolle Losung «VERGANGENHEIT IST ZUKUNFT» findet sich bei Schmid,
wenngleich in ein schalldicht ironisches Diskursmuseum gestellt neben einer
schlechtnachbarschaftlichen Rilke-Allusion wie «DU MUSST/ DEIN SYSTEM ÄNDERN». Ein
zentraler Begriff, mit dem Schmid operiert ist die christliche acedia; nachvollziehbarerweise hat ein
Literaturaktivist etwas gegen ›Scheißdraufismus‹ und Selbstgefälligkeit. Ab und
an steigt dem herrlich kalauernden Parodisten wohl deshalb ein
muffelig-gestrenger Dichterkünder auf die Versfüße und scheint den Spaß, der
vorher angerichtet wurde, beiseite wischen zu wollen.
Das bunte und sehr ansprechend
gestaltete Bändchen mit dem zwiefach metapherngewissen Titel weist leider auch
eine betrübliche Leerstelle auf. Neben dem Vortragskünstler Walter Fabian
Schmid gibt es auch den obsessiven und saukomischen typographischen Tüftler.
Bizarr gedrehte Schriftbilder enthält auch die vorliegende Publikation, aber
dieser Autor hat in der Vergangenheit schon weit eindrucksvoller unter Beweis
gestellt, wie behände am Buchstabenmaterial selbst er zu arbeiten imstande ist.
In zukünftigen Werken wird diese Facette hoffentlich zu bewundern sein. Der
Titel des Buchs könnte auch zur irrigen Assoziation führen, Schmid wolle zu einer
vormodernen Oralität und einer Pfingsthaftigkeit mittelhochdeutschen Sprechens
zurück. Dem ist nicht so.
Aller kleineren Disparatheiten
und Verschenktheiten zum Trotz ist Walter Fabian Schmids erste Buchpublikation
alles andere als ein schlechter Start. Er genießt dabei merklich den Vorteil
als Underdog sprechen zu können, der sich von den Türstehern nicht entmutigen
ließ, und jetzt in bester Freigeistmanier aufs Establishment pfeifen kann. Was
sollte ein wirklich begabter Dichter aber auch sonst tun? Sich von Kaltblütern unpassender
Weise mit Thomas Kling vergleichen lassen? Punk kommt wohl wirklich von
Pünktlichkeit (Tom Bresemann) und Walter Fabian Schmids «stimmapparatvibrato» durfte
keinen Augenblick später erscheinen.
Walter Fabian Schmid: stimmapparatvibrato.
Köln (parasitenpresse). 2018. 54 Seiten. 10,00 Euro.