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Walter Fabian Schmid: Ich rappelte mich auf und ging durch die Hölle

Gedichte > Gedichte der Woche
Foto: Sascha Kokot
Walter Fabian Schmid

Ich rappelte mich auf und ging durch die Hölle


Wie jeden Morgen
suchte ich meine Knochen
zusammen und stieg aus dem Bett.

Hagel fiel gefroren vom Himmel

Ich klopfte den Schlaf aus den Beinen
und wackelte ungelenk durch die Strassen.

Augen begafften mich,
krochen mir unter die Haut
und versteinerten.

Stimmen brachen sich das Genick.

Eine Tram rüttelte mich wach,
riss mir die Lungenflügel auf
wie einem Neugeborenen.

Ich stolperte über die eigenen Sehnen.

Glied für Glied klaubte ich mich zusammen.
Schleifte Organe hinter mir her
wie eine zertretene Schnecke.

Fassaden fielen über mir ein
wie Spielkarten,
die um Häuser zockten.

Menschen atmeten mir die Luft weg.

In der U-Bahn sogen sich Lungen voll
wie ein Schwamm, den man auswrang.

Ein kalter Schauer lief aus
den Rissen des Bildschirms,
der sich an der Decke erhängte.

Ich stieg aus und trieb unkontrolliert
durch die Milchstrasse.

Kickte einen Stein vor mir her
wie abends den Schlaf. Immer weiter
und weiter bis in den Morgen.

Dann ging ich wieder zur Arbeit.

Aus den Kabeln fluchten mich Geräte an.
Ein Stuhl knurrte wie ein Vierbeiner.

Ich schälte einen Apfel und wusste,
dass es meine eigene Haut war.

Ich fischte nach Auswegen,
aber an Angeln hing nichts
als verschlossene Türen.

Nerven zitterten wie ungestimmte Saiten.
Angeschlagen ging ich mit Tremor zu Boden.

Ich sah mich liegen wie meinen Vater,
als die Beatmungsgeräte still wurden.

Die Ärzte meinten, es wäre das Herz,
spritzten mir Adrenalin,
aber fanden sonst nichts.

Vor Scham schmolzen mir Wörter im Mund.

Ich wollte im Boden versinken,
ging in den Wald und legte mich
unter die Erde, die schon belegt war.

Daheim durchsuchte ich Google nach Krankheiten.
Lief fiebernd zu Ärzten, als wär ich ein Virus,
das nie mehr verschwand.

MRT, EKG, EEG, CT, ETC
machten mich auch nicht schlauer.

Langsam schwitzte ich Magensaft aus.

Das Gras wuchs schon wieder mit einem Lärm
von Raketen und schoss in den Himmel.

Unruhig kratzte ich meine Schienbeine blutig,
wusch mir die Haut aus und schlüpfte wieder hinein.

Die Nerven zitterten stark nach.

Ich sah in den Spiegel und erschrak
vor dem schwarzen Loch in den Augen.

Noch immer erzählt es aus Zeiten,
in denen die Leere
sich noch nicht hereingetraut hatte.

Eine zärtliche Scheu, die völlig vergessen ging.

Ich schulte mich in der Geduld
von Bestattern und wartete.

Verschenkte die Ängste
an jemanden, der schlief,
und nie mehr erwachte.

Auch er schreckte jede Nacht auf.

Ich rauchte pausenlos durch
und hoffte, mich in Luft aufzulösen.

Hungerte, bis ich mich selber verdaute.
Wie damals. Mit 51 Kilo setzten Lähmungen ein,
von denen ich auch wieder ausgebremst wurde.

Niemand konnte mir helfen.

Die Sehnen spannten sich um meinen Körper,
zogen sich fester und schnürten das Blut ab.

Dauernd verlor ich den Faden,
der einfach kein Strick wurde.

Ich setzte den Schraubenzieher an
meine Stirn, doch der lief ins Leere.

Risse begannen zu bröckeln,
machten meine Seele sichtbar wie Glas.

Zum Schutz bekam ich Medikamente.
Amytryptilin und Tavor.
Seroquel vertrug ich partout nicht.

Ich bilde mir Geister ein,
meinte der Notdienst,
als ich ihm erschien.

Ab dann trank ich Kerosin
aus den Flügeln von Engeln.
Lorazepam und Noctamid.

Über Nacht verlernte ich aufrecht zu gehen
und torkelte tags gegen Wände.

Das Licht flackerte und ich wusste,
dass es mich auslacht.

Gespannt wie eine Kirchenglocke,
die alarmbereit ihre Schicht hält,
schlug ich wieder an.

Ich stach mit dem Messer aufs Handy ein.
Eins, eins, zwei Mal sah ich mir panisch
beim Einliefern zu.

Ruhiggestellt lag ich da
und wartete wie ein Köder,
dass der Tod endlich anbeisst.
Nur ein kleiner Bissen.

Citalopram half.

Mit Besteck schnitt ich Tabletten
zum Frühstück und löffelte sie abends.

Ich salzte das Essen mit Schnee und
es schmeckte noch immer nach nichts.

Stumpf wie ein Messer
bohrten sich meine Gedanken
weiter ins Nichts.

Ein Therapeut gab mir Aufgaben.
Statt Lebensziele gab ich
ein leeres Blatt ab
wie in der Schule.

Fürs Selbstbewusstsein trug ich
verschiedene Schuhe, die mir
auch nicht den Mut gaben,
Strassen zu queren.

Ich musste zu Massenveranstaltungen.
U-Bahnfahren und Fremde ansprechen.

Jedes Mal schlug mein Herz
verzweifelt gegen den Hals und
verstopfte die Ader.

In die Enge getrieben,
zerplatzte es an der Rückwand.

Ich sollte Berge versetzen, doch
die hatten einen anderen Zacken drauf.

Abgestempelt legte ich mich ins Kissen.
Den Finger auf Abdruck
liefen mir Tränen wie Schrotkugeln über die Backen.

Aus dem Hirn krochen verbrannte Gerüche.
Ich war ein verkohltes Stück Fleisch,
eingehüllt in einen Mantel.

Noch einmal streckte ich meinen Körper
ganz kurz ins Jenseits hinüber.

Ich atmete Schall und Rauch.

Ich hielt meinen Kopf unter Wasser
bis mich das Leben erneut
an den Haaren herbeizog.

Es liess mich nicht los,
und ich zappelte weiter.

Von damals blieben die Kratzer,
welche sich tief in die Stirnfalten schrieben.

Rissige Spuren in meinem Gedächtnis, die bröckeln.

Der Eisengeschmack in meinem Mund erinnert
noch heute daran, dass der Tod
mit mir blutsverwandt ist.

Gelegentlich trink ich den Abfluss aus
jener Zeit und verlauf mich wie Farbe im Regen.

Im Jenseits klärts langsam auf.



Aus der Sammlung "Die Lost Places zucken noch", 2022.


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