Valdimar Tómasson: Eyjafjallajökull und andere Gedichte
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Valdimar Tómasson
Eyjafjallajökull und andere Gedichte
(Aus: Ljóð 2007 – 2018 / Gedichte 2007–2018, Reykjavík 2018)
Aus dem Isländischen von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer
Eyjafjallajökull
An einem klaren Abend im Herbst
fiel der Schein des Mondes auf die Gletscherkuppel
und ein Wolkenschleier berührte seine Stirn.
Er erinnerte an einen alten chinesischen Mann
der sich einen Schönheitsschlaf gönnt.
Binse
Das Boot schlingert
am Landungssteg,
wartet darauf dass der Sturm sich legt.
Die Binse beugt sich
in einem Gebet um Windstille.
Nacht
Die Schönheit glänzt
in der Mähne der Nacht,
obwohl Hufschläge
der Einsamkeit
laut in den Ohren dröhnen.
Das Lied
Singe mir das Lied
das die Welt heilt.
Singe mir das Lied
das die Bosheit besänftigt.
Singe mir das Lied.
Himmel
Ein wolkenloser Nachthimmel
in der Herbstfrische.
Gebannt stand ich
im Mondschein
und zählte die Sterne.
Wunde
Wie Wege
treffen sich Liebende.
Wie ein Erdrutsch
so trennen sie sich.
Der abgetragene Hang
bittet um neues Wachstum.
Noch
Die Nacht nahm
das dunkelblaue Haus
in ihre Arme.
Und noch
schläft das Wasser im Wald.
Herbst
Das verwelkte Laub
verweist auf die Schlupfwinkel der Seele.
Keine labende
Abendstärkung.
Eine hufschwarze Nacht
im Herzen.
Valdimar Tómasson, geb. 1971 in
Mýrdalur im Süden Islands, lebt seit seinem 16. Lebensjahr in Reykjavík. Seit
seinem ersten Gedichtband Enn sefur
vatnið / Noch schläft das Wasser im Jahr 2007 folgten mehrere weitere Bände
mit Lyrik, außer einem Band mit Sonetten primär Kurztexte häufig alliterativen
Stils. Letzte Buchpublikationen: Ljóð
2007 – 2018 / Gedichte 2007–2018, Reykjavík 2018, Veirufangar og veraldarharmur / Virus-gefangene
und Weltenschmerz, Reykjavík 2020, blástjarna efans,
Reykjavík 2022 sowie Söngvar til sársaukans / Ode
an den Schmerz, Reykjavík 2024.
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