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V.S. Naipaul: Der neue Roman

Gedichte > Zeitzünder
Vidiadhar Surajprasad Naipaul

aus: "Das Lesen und das Schreiben", 2001



Der neue Roman hatte dem Europa des neunzehnten Jahrhunderts eine bestimmte Art von Neuigkeit zu bieten. Das späte zwanzigste Jahrhundert, das von Neuigkeiten übersättigt und kulturell weit verworrener ist und mit Völkerwanderungen und Migrationen wie zu Zeiten des Römischen Reichs rechnen muss, benötigt eine andere Art der Interpretation. Der Roman, der (entgegen allem Anschein) immer noch dem Programm seiner Urheber aus dem neunzehnten Jahrhundert folgt, immer noch von der damaligen Vision zehrt, kann die ungefügige neue Realität fast unbemerkt verzerren. Als Form ist der Roman mittlerweile alltäglich genug - und beschränkt genug -, um unterrichtet werden zu können. Er begünstigt eine Vielfalt kleiner Narzissmen, nahe liegende und weniger nahe liegende; sie treten an die Stelle der Originalität und verleihen der Form scheinbare Lebendigkeit. Es ist eine der großen Selbsttäuschungen unserer Zeit (und der Werbeindustrie), dass der Roman die höchste, die vollkommene literarische Ausdrucksform sei.

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