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Uwe Kolbe: Brecht

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Jan Kuhlbrodt

Die Wunde Brecht



Kolbe entwirft in seinem Essay um die zentrale Figur Bertolt Brecht herum so etwas wie eine Literaturgeschichte der DDR. Dabei greift er natürlich weit aus, weil diese Geschichte ohne ihre Vorgeschichte aus Weimarer Republik, Nationalsozialismus, Flucht, Emigration und Vertreibung nicht zu erklären ist, genauso wenig wie ohne den Blick auf stalinistischen Terror.

Kolbe ist 1957 in Ostberlin geboren; ein Jahr nach dem Tod Bertolt Brechts, dessen langer Schatten noch auf den Wegen der nach Kolbe Kommenden, in der DDR Aufgewachsenen, lag. Vielmehr als Becher, über den viele schon lachten, kann man Brecht als einen Staatsdichter der DDR bezeichnen, auch wenn er nur acht Jahre im selbsternannten ersten Arbeiter-und-Bauernstaat auf deutschen Boden lebte, einem Staat, den er als Mythos letztlich überlebte.
Brecht fütterte auch meinen Mut, den ich im Nachhinein mit Verwunderung betrachte, zuweilen mit Abscheu im Abstand. Aber das Festhalten an einer politischen Konstruktion, die im Grunde nicht haltbar ist, könnte man als Brecht-Effekt bezeichnen.

„Schriftsteller und Dichterinnen, auf die der Haltungsschaden nach Brecht an sich ab einem frühen Punkt nicht zutraf, die sich auf je eigene Weise dem herrschenden Sprachspiel entzogen, waren wenige Solitäre wie Johannes Bobrowski, Erich Arendt, Uwe Johnson, Elke Erb, Wolfgang Hilbig.“

Auf Hilbig wird Kolbe im Verlauf seines langen Essays zurückkommen. Denn in ihm haben wir den Sonderfall eines Dichters, der jener Klasse entstammte, die in den offiziellen Propagandamythen der DDR zur herrschenden hypostasiert wurde. Vielmehr aber geht es Kolbe dann um jene, die sich in die Tradition Brechts stellten, allen voran Autoren wie Biermann, Müller und Braun. Letzterer letztlich am eigenen Mythos strickend auch in Beziehung zu Klopstock, jenen - neben Brecht - anderen Gott der sächsischen Dichterschule.

Grob kann man sicher von der Brecht-infizierten und Brecht-immunen Seite der DDR-Literatur sprechen. Dass dieser Brechtvirus keine bloß ideologische Einimpfung war, wird im Kolbe-Essay mehr als deutlich. Er zieht einige Brechttexte heran, die trotz ihrer politisch instrumentalen Ausrichtung sich als ästhetisch wohl durchkomponierte Werke erweisen, die sich eben durch diese künstlerische Qualität dem bloß Propagandistischen entziehen. Am eindringlichsten gelingt ihm das in einer längeren Betrachtung des Gedichts „Lob des Kommunismus“; einer Figurenrede aus dem Lehrstück „Die Mutter“. Diese Passage beginnt auf Seite 100 und steht so fast im Zentrum des Buches, auch weil sie gewissermaßen den Link markiert zu den folgenden Generationen, den DDR-Dichtern mit Brechtrucksack. Allen voran Volker Braun.

Hochinteressant und treffend scheint mir auch die Parallele, die Kolbe zu einem anderen Dichtungsgiganten des vergangenen Jahrhunderts aufmacht, nämlich die zu Ezra Pound, dessen dichterisches Werk man, bei aller politischer Verstrickung, als ebenfalls bedeutend für das vergangene Jahrhundert betrachten kann.
Zentral in diesem Gedanken, der von Brechts Gedicht „Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration“ ausgeht, ist die Hinwendung beider zu fernöstlichen Denk- und Schreibweisen.
Für mich selbst gehören ja die Lehrstücke Brechts, die sich auf japanische No-Stücke beziehen, zu den eindringlichsten. Sie wurden mir das aber erst, nachdem das politische Gebilde, in dessen Dienst zu stehen sie wähnten, zerfallen war. Vorher galt mir, wie wahrscheinlich vielen anderen auch, der sogenannte junge Brecht, mit seinen versauten Liebesgedichten, als der entscheidende.

Es gilt nicht nur für Pound und Brecht und sowieso nur pars pro toto für die Dichtung: ihr ethisches Fiasko war beispielhaft für die Moderne auf dem langen Marsch durch das zwanzigste Jahrhundert. Bis heute wird das ideologische Erbe der einen Seite selbstverständlich verdammt, während das der anderen hochgehalten, fortgeschrieben und kopiert wird. Für letzteres steht der Name Brecht. Dabei sind sowohl Pounds als auch Brechts Ästhetik in der jeweiligen Eigenart Maß und Stachel für Nachfolgende.


Über Pounds Ästhetik ist zumindest in Amerika eine Diskussion im Gange, die in der Literaturzeitschrift Schreibheft ansatzweise dokumentiert wurde: In einem Essay plädiert Charles Bernstein dafür, den Faschismus in der Rezeption aus Pound-Texten eben nicht herauszurechnen, ihn nicht als politische Verirrung eines sonst genialischen Dichters zu betrachten. Genau so sollten wir mit Brechts Stalinismus verfahren.

Kolbe macht hier einen Anfang in einem darüber hinaus spannend zu lesendem Buch.


Uwe Kolbe: Brecht. Rollenmodell eines Dichters. Frankfurt a. M. (S. Fischer Verlag) 2016. 176 Seiten. 18,99 Euro.

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