Ute Eisinger: Wer wird nicht die Paoli loben?
Memo/Essay > Aus dem Notizbuch > Essay
0


Betty Paoli 1847, Lithografie von Prinzdorfer
Tarockierrunde: Betty Paoli, Gräfin Dubsky Ebner-Eschenbach, Hausherrin Ida Fleischl
Wer wird nicht
die Paoli loben?
Doch wird sie jede/r lesen? Nein…
Ute Eisinger
über Betty Paolis Texte, herausgegeben von Karin S. Wozonig
Als sich 1857 Charlotte Wolter als „Jane Eyre” in „Die Waise
von Lowood” an den Theaterhimmel katapultierte, hatte die 20 Jahre ältere Betty
Paoli dergleichen Gouvernanten-Nöte schon hinter sich: Aus den Mauern abgelegener
Adelsanwesen in der österreichischen Peripherie (in Ungarn, Russland und Polen)
erhob sie sich auf den Schwingen ihrer Gedichte. Die 18-jährige Barbara Anna
Glück, die sich fortan Betty Paoli nannte, landete 1832 aus dem galizischen Land
in der Hauptstadt, wohin ihre in Literaturalmanachen erschienenen Verse ihr
vorausgeeilt waren. In den besten Salons von Wien gern gesehener Gast, stieß
sie vor in die anspruchsvolle Dichterriege des Biedermeier.
Als „der erste Lyriker Österreichs” beschrieb kein geringerer
als der österreichische Klassiker Franz Grillparzer die mittellose Waise in der
Männerrunde; Adalbert Stifter: „das Weib ist durch und durch Genie.” Man
verglich sie mit George Sand – bis auf die „Männerkleider”. Andere erinnerte
Betty, die sich den Nom de Plume „Paoli” nach einem italienischen
Freiheitskämpfer gewählt hatte, an den leidenschaftlichen Lord Byron.
Dabei waren die Vorzeichen alles andere als günstig gewesen: 1814
als Tochter eines Militärarzts und einer „unzuverlässigen” Mutter in Wien
geboren, verliert Betty als Kind den Vater, dann dessen Vermögen und als Sechzehnjährige
ihre Mama – überanstrengt auf der gemeinsamen Flucht mittels Schlepper
(„Schwärzer”) aus den Sümpfen Wolhyniens.
Womöglich ist der fürstliche Bonvivant Nikolaus II. Esterházy Bettys natürlicher Vater
gewesen. Das würde das Wohlwollen erklären, das der österreichische Adel dem
klugen Mädchen entgegenbrachte, sie immer wieder als Gouvernante und später
Gesellschafterin einstellend. Im Schutz der Provinz – Langeweile und
Freizeit – brachte Betty sich Sprachen bei und las, was die herrschaftlichen
Bibliotheken hergaben. Es muss Förderer gegeben haben, wohl auch Bedrängnisse,
Enttäuschungen, die uneheliche Geburt eines bald verstorbenen Buben. Früh
veröffentlichte die junge Frau Gedichte. Sie war gerade einmal 25, kam ihr
erster Lyrikband (von vieren) heraus. Ausnahmeerscheinung in verschiedenen intellektuellen
Zirkeln der kaiserlichen Hauptstadt, lebte Paoli von Sprachunterricht und
Literaturstunden für unbeschulte, zahlungskräftige Interessentinnen. Ein Nachruf bescheinigt
ihr, was damals neu wahrgenommen wurde, weiblichen Verstand: „wie von heller
Fackel geleitet <…> durch die Feinheit seiner Tastwerkzeuge” – wogegen
Männerverstand „nur bei Grubenlicht ans Ziel gelangt”. Ihre Leistung
wurde von Beginn an als eigenständig und originell anerkannt: „ein fertiger
Meister der Lyrik,” urteilte man. In einer Zeit, die Dichterinnen die
Rolle zudachte, gefällige Blumensträußchen von sich zu geben, aus denen wohl
ein verschämter Liebesbrief lugen durfte, fiel sie auf – die sich vor Sendungsbewusstsein
in die Brust warf wie ein Mann. Paoli selbst konstatierte, Geist und
Talent seien geschlechtslos und als solche zu fördern: „Ein Buch muß gut sein.
Ist es dieß, so ist es vollkommen gleichgültig ob es einen Mann oder eine Frau
oder eine Maus zum Verfasser hat.”
„Was hat der Geist denn wohl gemein mit dem
Geschlecht?” heißt die lesenswerte Würdigung von Paolis Beitrag zur
Geschlechterdebatte, 2002 von Feministin Eva Geber verfasst. 2024 hat die
Germanistin Karin S. Wozonig eine umfangreichere Biografie nebst dem Textband „Ich
bin nicht von der Zeitlichkeit” herausgegeben. Der Satz stammt aus Paolis
Gedicht „Verhängniss der Kunst”, worin die junge Dichterin ihre Ungebundenheit verkündet
und dass ihre Verse zeitlos seien.
Heute kennt sie kaum jemand. Wird
auch Wozonigs nobler Versuch, Paoli dem Vergessen zu entreißen, vergeblich
bleiben? Ihre Gedichte wirken heute unnahbar: Paolis Lyrik ist in der Metrik exakt,
ohne Makel. Die Frau mit zweifelhafter Vergangenheit gab sich in Versen keine
Blöße. Wie in Erz gegossen klingen ihre Gedichte, ein geschmiedetes bestes Ich.
Paoli meisterte die schwierigsten Strophenformen. Quasi im Selbstversuch macht
sie das in „Ghasel” vor – wo sie am Schluss das bewältigte Gefüge aus
identischen Reimen gebieterisch anherrscht: „Du sollst, Ghasel<…>!”.
Vor Hintergrund der Metternich-Zensur
wirkt die Stimmung der Spätromantik harmlos-pessimistisch. Allgemeine
Leidenschaft findet sich in dramatischen Monologen auf der Bühne, private in
Gedichten. Die junge Betty Paoli schrieb: „Viel Muth braucht man in unsern
Tagen, <…>/ Sich an die Lira noch zu wagen, / Hat man das Unglück Weib
zu sein.” (Aus: „Die Dichterin”) Über die Rolle der Frau plagten sie keine Illusionen:
Gerade
einmal 18, verfasste sie „An die Männer unserer Zeit”. Darin wirft sie
dem starken Geschlecht vor, die Schwäche der Frauen zu bekritteln – die doch
nur ihre Männer spiegeln durften. Eine Dummheit der Frauen könne also nur der
Widerschein ihrer lernunfähigen Männer sein.
Dergleichen Ungeheuerlichkeiten brachte
die Paoli, formal angepasst, im Gehäuse damals gebräuchlicher Strophenformen
vor, in dem Volkslied nachempfundenen Trochäen. Himmelschreiende
Verharmlosungen im sauberen Dirndlkleid waren das, wie vorgeblich lustige
Nestroy-Stücke und auf den ersten Blick idyllische Waldmüller-Gemälde.
Doch was Paolis weise Lieder damals
stark machte – ihre dichterische Qualität, ja die einprägsame Sangbarkeit – versperrt
heute die Sinnerfassung. Dem modernen Geschmack kommt künstlich-geziert vor,
was in den Scharnieren weniger Reimwörter hängt, ein hallender, schunkelnder Leierkasten.
Dabei war so klug, was sie zu sagen hatte. Damals durfte sie freimütig sprechen,
weil sie formal so gut war, heute dürfte sie alles sagen, aber bitte nicht in
Trockenblumensträußen.
Paoli nannte die Poesie das „Salz der
Erde”. Ihre Themen bezog sie aus großen Gefühlen, Sehnsüchten, Erfüllung,
Enttäuschungen. Lässt man uns das in Jane-Austen-Verfilmungen erleben, halten
wir mit. Doch bei Betty Paoli ist der Seelenaufruhr überstanden, bevor sie sich
an den Schreibtisch setzt: verwunden, befeuchtet und in Flechten um die Ohren
geschlungen. Die willige Leserin hält vergeblich nach einem originellen Füßchen
oder Blättlein Ausschau, das aus dem Versgepränge lugt und als Steigbügel
herhalten könnte: keinem Freier reicht Paolis Dichtung die Hand… Selbst, wo
ihre Zeilen mitreißend schwingen wie in einem Gedicht über die Reiselust: „So
streifet mein Begehren, / Hin durch die weite Welt; / Und wer will mir
verwehren / Zu zieh’n, wenn mir’s gefällt? / Das Leben steht mir offen, / Mich
hält nicht Amt noch Pflicht / Hier fest, und auch kein Hoffen / Und Glück auch
wahrlich nicht!”
„Groß und schlank, mit Augen wie
getränkt in Schwarz vollkommen regelmäßigen Zügen, feinem, sammtartig brünettem
Teint und reichem, nachtschwarzem Haar, noch mehr geeignet, Romane zu erleben
als sie zu schreiben.” – beschrieb jemand die im Revolutionsjahr 1848 33-Jährige
als ansehnliche Frau.
Sie kam gut an, liebte und litt. Gegenstand von Paolis
glattgehämmerten Strophen sind keine Techtelmechtel, sondern Beschlüsse, Verlautbarungen
ihres Stands in der Welt: „Ich kann, was ich muß! O seltnes Geschick! / Ich
will, was ich muß – o doppeltes Glück.” („Ich”) Paoli läuft zur
Hochform auf, dichtet sich Zuversicht – bis zur Selbstherrlichkeit: „Soll
ich herab von meiner Höhe steigen, / Entsagen meinem Recht, meinem Rang, / Um
mich vor einem Irdischen zu neigen, / Der nie verstände meines Herzens Drang? /
Soll kindisch ich ein Wahngebild vergöttern, / Um es, enttäuscht, dann wieder
zu zerschmettern?”, erklärt sie in „Bekenntniss” die Bindungsunmöglichkeit der
selbstständig denkenden Frau in einer Männergesellschaft. Mehrfach hatte sie
erleben müssen, dass man sie als Geliebte und Freundin verehrte, am Ende des
Tages aber Anschmiegsamere vorgezogen hat.
Anders als ihre
ehrgeizigen Gedichte sind Paolis journalistische Beiträge ansprechend und
witzig zu lesen. In der nach 1848 komplett neu aufgestellten Presse wurde sie die
erste Kulturredakteurin Österreichs. Poesie, mit aus dem Privaten geschöpften
Themen, wurde nach der Revolution von öffentlichen Kunstformen überflügelt: Darstellungen
klassischer Dramatik und freie Meinungsäußerungen in einer Flut von Zeitungen
und Zeitschriften. Paoli schrieb neben Buchrezensionen Theaterkritiken,
besprach Kunstsammlungen und verfasste Reisereporte. Sie war in vielfältig
zusammengesetzten Gesprächsrunden Gast, empfing – wenn sie keinen mieselsüchtigen
Tag hatte – Besuch und versäumte keine Premiere. Mit allen neuen
Strömungen hat sie sich gründlich auseinandergesetzt. Allein im Jahr 1853 sind
70 Rezensionen von ihr im konservativen „Lloyd” und der fortschrittlichen
„Neuen Freien Presse” erschienen. Auf sie hörte man, ihr Urteil wurde
ernstgenommen.
Fast bis heute
werden Dramen ausschließlich von Männern geschrieben. Als Kritikerin war die
für ihre Urteilskraft geschätzte Paoli allerdings enorm einflussreich. Dem zehn
Jahre jüngeren Burgtheaterschauspieler Ludwig Gabillon stärkte sie den Rücken,
lernte mit ihm seine Rollen und setzte sich im Feuilleton öffentlich mit seiner
Performance auseinander. Als der Geliebte, mit dem sie sich mehrere
Spazierhündchen teilte, unangekündigt eine Kollegin heiratete, wandte die tief
getroffene Paoli Wien und dem Salon, wo beide verkehrt hatten, den Rücken zu.
Sie wurde von neuem Vorleserin, bei der Witwe Schwarzenberg in der böhmischen
Provinz. Nach einiger Zeit ergriff sie allerdings wieder die Flucht, reiste
nach Italien. Allerdings hielt die erlittene Kränkung Paoli nicht davon ab, mit
dem Ehepaar Gabillon Freundschaft zu pflegen und deren erstgeborene Tochter
Helene wie ein Wahltochter anzunehmen. Über wechselnde Stimmungen ausgesessene
Freundschaften vermochten Menschen, die etwas verband, selbst über Trennendes hinwegzusetzen.
Im Biedermeier
hatte aller Austausch zwischen den Kulturmenschen Wiens bei privaten
Zusammenkünften stattgefunden. Hier hatte die junge Betty Paoli viel Wohlwollen
gefunden. Neben Henriette Wertheimer gab die adlige Pianistin Arnstein-Pereira
freitags solche Soireen, aber auch der Gründer der österreichischen Akademie
der Wissenschaften 1847, der Netzwerker und Universalinteressierte Joseph
Hammer-Purgstall. Paoli beschreibt einen Abend im Gundelhof bei Bankier
Walther: „Dort fand der Fremde die beste Gesellschaft Wiens vereinigt, der
Einheimische Gelegenheit, mit den socialen, wissenschaftlichen und
künstlerischen Notabilitäten des Auslandes in Berührung zu kommen.” Heiter und
unbefangen, jenseits von Klatsch und Angeberei, ließ sich dort gebildet und geistreich
unterhalten. Die anregend gemischte „Geselligkeit”, schreibt Paoli im
Feuilleton, sei „ein mächtiges Förderungsmittel” für Verständnis in einer
aufgeklärten, fortschrittlichen Gesellschaft gewesen. Dagegen wären die Salons
der Gründerzeit, stellt sie fest, nur Prestigeinstitutionen von Neureichen, die
unter sich bleiben möchten.
Paoli war eine aufmerksame
Beobachterin und für die Treffsicherheit ihrer Bemerkungen gefürchtet. Sie
konnte sehr bissig sein: Über eine Dichterin schreibt sie: „Wir zweifeln nicht
daran, dass Gräfin Oldofredi eine Frau von vielem Geist und Gemüth sein mag, in
ihren Gedichten läßt sich leider von Beidem wenig verspüren.” Im Falle einer
unbegabten Schauspielerin rügt sie das Publikum für mehrmalige Ovationen, da
der unangebrachte Beifallssturm „die Meinung in [der Mimin] erwecken muß, sie
gehe nicht nur auf der rechten Bahn, sondern sie habe auch schon das letzte,
höchste Kunstziel erreicht.” Mit Humor kritisiert Paoli Modetorheiten bzw. die
Wichtigkeit, die Zeitgenossinnen Äußerlichkeiten zumessen – wo doch als
erstrebenswert gelte, dass Frauen sinnvollen Beschäftigungen nachgingen: „Es
ist eine lächerliche Inconsequenz, für das Recht auf Arbeit zu schwärmen und
sich dabei in einer Weise herauszuputzen, die bei jeder Arbeit stört. Ferner
frage ich: Wer wird einem à la Struwwelpeter frisirten oder mit einem
abenteuerlichen Lampenteller bedeckten Kopf die Fähigkeit zutrauen, einen
ernsten Gedanken in sich zu beherbergen?”
Für die Bildung von Mädchen setzte
Paoli sich zeitlebens ein. Bestimmt, aber höflich, versuchte sie Familienväter davon
zu überzeugen, dass Töchter-Bildung zu Erkenntnis und Eigenständigkeit zu
Selbstbewusstsein führe. Frauen würden durch ihre mangelnde Erziehung an der
Entwicklung gehindert, schreibt sie: „Man verbietet den Leuten, sich ins Wasser
zu wagen, und spricht ihnen dann die Fähigkeit ab, schwimmen zu lernen.” Man solle
Mädchen das Denken lehren, ja anstrengende geistige Beschäftigung von ihnen verlangen;
statt französischen Tee-Geplauders lieber alte Sprachen. Mädchen sollten
angehalten werden, viel Zeit mit sich selbst zu verbringen und sich „an
gewissenhafte Erforschung des eigenen Ich” zu gewöhnen, forderte sie. Was für
gescheite Erziehungsmaximen!
Unter den von Paoli verfassten
Novellen – einer frühen Geldquelle, denn derlei wurde serienweise in
Periodika abgedruckt – enthält Wozonigs Auswahl nur „Anna”. Darin wird von
einer braven, d.h. folgsamen Ehefrau erzählt – bis sie eigene Entscheidungen, mit
katastrophalen Folgen, überfordern. Verglichen mit Adalbert Stifters
(positiver) Entwick-lungsnovelle „Brigitta” kommt einem Paolis „Anna” blutleer
vor: Die Figuren personifizieren bloß ihre Agenda. Obwohl sie dergleichen bei
Ferdinand von Saars „Die Steinklopfer” lobte, fühlte sich die Dichterin mit Situationsbeschreibungen
unterfordert.
Im Aufsatz „Ein einsamer Abend” widmet
sich die Dichterin den Freuden der Poesie. Darin schüttet sie mehr Herz aus als
in den Liebesgedichten, für deren eiserne Disziplin sie bekannt wurde. Paoli
ist der Überzeugung, einer „in den Flegeljahren” befindlichen Zeit könne die
Dichtkunst zu mehr Durchblick verhelfen. „Die Welt hat wirklich Anderes zu
thun, als sich mit Idealem zu beschäftigen, so lange die Wirklichkeit nicht
befriedigend geordnet ist.” Obschon Fürsprecherin jüngerer KollegInnen, die
realistische Novellen verfassten, lehnt sie die Wiedergabe der Wirklichkeit im
Roman ab. Naturalismus ist ihr geradezu zuwider: „Zum Spiegel einer Spanne Zeit
/ Wollt ihr die heil’ge Kunst erniedern?” empört sie sich im Gedicht „Die
naturalistische Schule”.
Marie von Ebner-Eschenbach dürfe
realistisch schreiben, argumentiert Paoli, weil sie „durch die Macht der
Poesie” die „dem Spiel des Zufalls überlassene Welt” ordne. Ideal ist für Paoli
Kunstfertigkeit – bei sublimierter Subjektivität. Über eine aufstrebende
Lyrikerin (Josephine von Knorr) äußert sie bewundernd: „Diese Lieder wurden
nicht gemacht; in sehnsüchtigem Werdedrang haben sie sich von der Seele der
Dichterin losgelöst.”
Betty Paoli konnte unwirsch, mürrisch
und im Zusammenleben kompliziert sein. Mit Franz Grillparzer hatte sie die
Ehelosigkeit gemeinsam. Zu bedrohlich erschien ihnen das Nahestehen eines
Anderen, der unangekündigt das Arbeitszimmer hätte betreten dürfen. In
Gesellschaft war Paoli lebhaft und austauschfreudig: „Sie dozierte nie, ihre
Worte flossen, und ihre Gedanken sprühten.” (Marie von Ebner-Eschenbach)
In diesem Sinne war es ein großes
Glück, dass Betty zur Hälfte ihres Lebens einen Menschen kennenlernte, in deren
Haushalt sie Ruhe und Verständnis fand. Das war die großbürgerliche und sehr
gebildete Ida Fleischl, Gattin eines bekannten Mäzens und Mutter von fünf
Söhnen. Unter ihrem Dach verbrachte die Paoli vierzig Jahre. Ida Fleischl war
nicht nur Paolis Fördererin, sondern auch ihre Erstleserin, jemand, mit dem
sich das Studium von Kabbala – die Fleischls waren Juden – und
Sanskrit treiben ließ, in einer Rauchwolke aus Zigarren. Legendär – nicht
zuletzt in Claudia Erdheims aufwändig recherchiertem biografischen Roman
„Betty, Ida und die Gräfin”(2013) geschildert – waren die Tarockpartien im
Hause Fleischl, zu dritt mit Marie Ebner-Eschenbach. Fast 80, verstarb Paoli im
Sommer 1894.
Betty Paoli: Ich bin nicht von der Zeitlichkeit. Ausgewählte Werke, heraus-gegeben von Karin S. Wozonig. Salzburg, Wien (Residenz Verlag) 2024. 224 S. 26,00 Euro.
