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Urs Böke, Stefan Heuer, Fabian Lenthe: Die Fische werden fressen

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Hartwig Mauritz

Urs Böke, Stefan Heuer, Fabian Lenthe: "Die Fische werden fressen". Schönebeck (Moloko Print) 2025. 117 Seiten. 15,00 Euro. ISBN 978-3-911820-07-3

& den letzten bissen für den fährmann, wie immer
Anmerkungen zum gemeinsamen Gedichtband "Die Fische werden fressen" von Urs Böke, Stefan Heuer und Fabian Lenthe


Nach "Vielleicht ein paar Raben" hat das Trio Urs Böke, Stefan Heuer und Fabian Lenthe mit "Die Fische werden fressen" einen weiteren Gedichtband vorgelegt, der als Poème Collectif konzipiert ist. Auch dieses Buch enthält Collagen in Schwarz-Weiß von Urs Böke und ein Cover sowie farbige Collagen von Stefan Heuer (zusammen mit Jürgen O. Olbrich), die dem Band eine sehr ansprechende Optik verleihen.

Böke, Heuer und Lenthe schreiben im Wechsel. Die letzte Zeile eines Gedichtes ist jeweils die erste Zeile des Nachfolgetextes und gibt diesem thematisch den Takt vor. Dadurch erhält der Band ein rasantes Tempo, durch den sich thematisch kein roter Faden zieht. Mitunter werden Motive des Vorgängers übernommen – z.B. das Wisent (S.20 – 22), die Schwalbe (S.17, 18), Orpheus und Eurydike (S.24-26) und der elektrische Stuhl (S.71, 72). Der Leser lässt sich von dem fulminanten Feuerwerk der Metaphern und Bilder beeindrucken, das von den Autoren abgebrannt wird.
Die Gedichte tragen keine Titel, und so stellt sich der Eindruck eines einzelnen großen Poems ein, ohne dass sich dabei die poetischen Konturen der einzelnen Autoren abschleifen. Urs Böke, Jahrgang 1975, schreibt haupt-sächlich Lyrik. Er ist Herausgeber des Literatur-Fanzines RATRIOT und Mitherausgeber der Literaturzeitschrift MAULhURE. Der Autor schreibt ohne Interpunktion mit Ausnahme des Doppelpunktes und des Ausrufezeichens am Ende einzelner Strophen. Er unterscheidet Groß- und Klein-schreibung. Seine Metaphern sind sehr deftig. Fabian Lenthe, 1985 in Nürnberg geboren, schreibt Lyrik und Prosa. Er nutzt ebenfalls Groß- und Kleinschreibung, aber die Interpunktion nur spärlich. Seine Zeilenanfänge werden konsequent großgeschrieben. Stefan Heuer, Jahrgang 1971, ist ein künstlerisches Multitalent, das neben Gedichten auch Romane und Novellen schreibt. Außerdem erstellt er Col-lagen und komponiert elektronische Musik. Seine Gedichte schreibt er konsequent klein, nutzt aber die Interpunktion. Stefan Heuers Gedichte besitzen allein durch ihre Form einen hohen Wiedererkennungswert. Seine zwölfzeiligen Texte sind zu vier Strophen mit jeweils drei Zeilen angeordnet. Heuer verwendet direkte Rede und setzt diese kursiv.
Das Poème Collectif enthält sehr mutige Bilder. Tatsächlich sind häufig Todes-Metaphern in den Gedichten zu finden. So schreibt Fabian Lenthe: „Überall nur Wände in denen ich mich drehe// Wenn die Nadel das Vinyl verfehlt// Und ich vom Morgen singe// Bis ich sterbe“ – und Stefan Heuer: „gönnen wir uns ein paar ruhige stunden, bevor// die heuschrecken kommen. und überhaupt: fragt eine// maus, wohin es geht, wenn adlerklauen sie ergreifen?“ Urs Böke rundet den Trialog ab: „Smoke on the water mit nassen// Füßen auf dem elektrischen Stuhl// was sind 175 Jahre Knast// gegen die Wahrheit.“ Neben düsteren Todesmetaphern „auf die heuschrecken folgte die finsternis. schatten,// die uns auf die andere seite brachten.“ (Stefan Heuer) finden sich bei Urs Böke Bilder einer trostlosen Existenz: „Am Ende der Nahrungskette: Du// als ein Stück Fleisch in einem// Stück prekärem Leben.“ Und Stefan Heuer zum Älterwerden: „für fremde näpfe sind wir zu langsam & zu alt. da// ist nichts, was wir noch gewinnbringend einsetzen,// was wir noch zu lust machen könnten//“.

Das Gemeinschaftspoem enthält sehr beeindruckende Gedichte, die für sich alleine stehen können. So findet sich auf Seite 24 ein sehr schönes Liebesgedicht und auf Seite 30 ein unsentimentaler Text von Fabian Lenthe über den Tod, den ich an das Ende dieser Anmerkungen stellen möchte.

Paarweise als würden sie dringend benötigt
Als wären wir unzertrennliche Sittiche
Bis einer von uns von der Stange fällt
Im Käfig geboren im Käfig gestorben

Den Tod zum Frühstück
Und abends auf die Fresse
Weil du erst zehn bist
Und niemand dir glaubt

Was kümmert es schon den Wein
Ob er Fleck oder Pisse wird
Ob es dein Blut ist
Das in den Abfluss tropft

Das Kribbeln im Bauch
Ist die Angst die dich frisst
Mit jedem Tag auf dem Sofa
Wird dein Fell grauer und lichter

Und wenn die Raben kommen
Die Maden und Würmer und all die Fliegen
Die im Sekundentakt starten und landen
Dann heißt es Bon appétit

Das Buffet ist eröffnet


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