Ulrike Prinz empfiehlt von Davi Kopenawa und Bruce Albert: Der Sturz des Himmels
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18. 12. 2024
Ulrike Prinz empfiehlt
Davi Kopenawa, Bruce Albert
„Der Sturz des Himmels - Worte eines Yanomami-Schamanen“
„Der Sturz des Himmels – Worte eines Yanomami-Schamanen“ ist ein einzigartiges Dokument. Entstanden ist es in einem Jahrzehnt Ko-Autorenschaft des Yanomami-Schamanen Davi Kopenawa und des französischen Ethnologen Bruce Albert.
„Wenn du meine Worte nehmen willst, zerstöre sie nicht. Es sind Worte Omamas und der Xapiri, der Geister des Waldes“, sagt Kopenawa, und Albert hält sich dran. Gleichzeitig gelingt ihm eine außergewöhnliche Übersetzungsarbeit, damit die Worte ihr Zielpublikum erreichen können.
Das Buch gibt einen tiefen Einblick in das spirituelle Leben der Yanomami, einem der größten indigenen Völker, die zwischen Brasilien und Venezuela leben. Das erfreut das Ethnologïnnenherz, doch ist sein Zweck ein anderer: Es ist ein Appell gegen die Zerstörung des Lebensraums der Indigenen durch den globalen Raubbau des „Volkes der Waren“. Diese Welt der Weißen kennt Kopenawa aus eigener Erfahrung. Denn er war mehr oder weniger christianisiert, als er sich entschloss, sich wieder in einen Indigenen zu verwandeln.
Kopenawas Reflexionen, in denen Beobachtungen Träume und Mythen ineinander fließen, eröffnen uns eine außergewöhnliche Perspektive und sind eine Gegen-Anthropologie: Die Beschreibung des „Volkes der Waren“ aus indigener Sicht.
„Der Sturz des Himmels“ ist die höchste Kunst des anthropologischen Schreibens, ein poetisch-politisch-ethnologisches Buch, fast möchte man es als Manifest bezeichnen, weil es so wichtig ist. Aber genau das ist es nicht: Es reduziert sich nicht auf politische Forderungen. Vielmehr erzählt es die Geschichte des Kontaktes der Yanomami mit den Weißen, die zuerst als Missionare auftauchten und alsbald als Goldschürfer Massaker anrichteten (und das weiterhin tun).
Aber Vorsicht: Es ist definitiv kein Buch für Jüngerïnnen pseudo-schamanistischer und eskapistischer Erweckungslehren. Vielmehr führt es in die spirituelle Dimension der Natur eines Volkes ein, das den Wald nicht als Ressource, sondern als eine lebendige Wesenheit erlebt.
In Anbetracht der schwindelerregenden Zerstörung der amazonischen Primärwälder geben Davi Kopenawas schamanische Prophezeiungen ein beunruhigendes Echo auf die Theorien des Klimawandels und des Anthropozäns.
14 Jahre nach der französischen Erstausgabe 2010 - endlich auf Deutsch erschienen, in der Übersetzung von Karin Uttendörfer und Tim Trzaskalik:
Davi Kopenawa, Bruce Albert: Der
Sturz des Himmels – Worte eines Yanomami-Schamanen. Aus dem Französischen von Karin Uttendörfer und Tim Trzaskalik. Berlin (Matthes & Seitz) 2024. 957 Seiten. 44,00 Euro.
Ulrike Prinz schreibt als promovierte Ethnologin u.a. für Riffreporter.de
https://www.riffreporter.de/de/autorinnen-und-autoren/ulrike-prinz