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Ulrike Feibig: perlicke, perlacke, mein Herz schlägt

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Konstantin Ames

Berührt uns/ das/ ? – Ulrike Feibigs Gedankenbuch „perlicke, perlacke, mein Herz schlägt“



In ihrer Studie Vita activa (dt. EA 1967) gestattet sich die Philosophin Hannah Arendt am Ende des Kapitels über das Herstellen ein emphatisches Bekenntnis zur Dichtkunst: „Die ursprüngliche Nähe des Gedächtnisses zu dem lebendig andenkenden Erinnern ermöglicht es dem Gedicht, auch ohne Niederschrift in der Welt zu überdauern, und wiewohl die Qualität eines Gedichts von einer Reihe ganz anders gearteter Maßstäbe bestimmt ist, wird doch gerade seine »Einprägsamkeit« weitgehend darüber entscheiden, ob es sich endgültig im Gedächtnis der Menschheit festsetzen, ihm einprägen kann. So bleiben Gedichte, unter den Gedankendingen der Kunst, dem Denken als solchem am engsten verhaftet; sie sind gleichsam die wenigst dinglichen unter den Weltdingen.“ (Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen  Leben, München: Piper 2005, 205)

Die vollgeklebten und kopierten Zettel, die den Weg ins Buch mit dem Titel perlicke, perlacke, mein Herz schlägt gefunden haben, weisen keinerlei Berührungspunkte zu der astralen Beschaffenheit von Gedichten auf, die Hannah Arendt ihnen zuschrieb. Arendts Ausführungen versammeln auf engstem Raum Rezeptionsklischees, die auch heute noch als hehre Wahrheiten und Gütesiegel für Gedichte firmieren: Einprägsamkeit und Konservation von Mustergültigkeit. Mit all dem scheint Ulrike Feibigs Selbstverständnis nicht in Verbindung zu stehen, ihr Debüt ist im Frühjahr in der Reihe „Neue Lyrik“ des Leipziger Verlags poetenladen erschienen. Was wiederum erstaunt, weil Feibig weder im Neuerergestus oder sonstwie hibbelig auftritt und sich außerdem auf eher unneue, will sagen: archaische Poesieformen wie das Volkslied und barocke Embleme bezieht. Außerdem: Der für Feibigs Schaffen als in besonderer Weise repräsentativ reklamierten Collagenform (Klappentext) haben längst andere Absolventen des Deutschen Literaturinstituts Leipzig (etwa Julia Dathe, Michael Fiedler, Mara Genschel, Dagmara Kraus, Bertram Reinecke) zu einer Renaissance verholfen. In einigen wenigen Fällen wirken Feibigs künstlerische Resultate wie der Versuch einer Summe. Was der Klappentext als Alleinstellungsmerkmal zu offerieren scheint, das ist vielleicht nicht mehr als der Marker einer durchlaufenen literarischen Sozialisation, ohne dass daraus ein uniformer Stil oder eine Schul- oder eine Gruppenzugehörigkeit entstanden wäre. Das „Spiel mit Lauten und Metren“, das „substantiell“ für Feibigs Gedichte sei (Umschlagsrückseite), ist für andere Teile der Kollegenschaft in viel dringlicherem Maße ein Personalstilausweis. Singulär kann auch das weltenschöpferische Moment nicht sein, das Feibig angedacht wird, denn das eignet jeder Form von Poesie, die die Bezeichnung zu Recht trägt und sich nicht damit zufrieden gibt, >Lyrik von< oder >Lyrik nach< oder >Lyrik tut/ist …< zu sein. Wie andernorts vor dem Hund, so ist mit Blick aufs Buch zum behutsamen Umgang mit dessen Paratexten zu raten und zu gelassenem Einüben ins Erdulden der zuweilen sehr mäßigen Qualität der im Buch enthaltenen Fotografien.

Diese Mängel der Autorin anzulasten, das wäre wohl unfair. Schon mit einem geringfügigen Faible für DIY, also Poesie, bietet dieses Buch vorwiegend großes Vergnügen. Eine so explizite und temperamentvolle, auch temporeiche Lobpreisung des Transitorischen hat es in dieser kompromisslosen Form schon eine Weile nicht mehr gegeben, vielleicht seit RD Brinkmanns Westwärts nicht mehr. Es ist nicht nur das Magenta des Covers und die Affinität zur Fotografie, die Ulrike Feibig mit dem Erzsubjektivisten aus Vechta verbinden; die Debütantin schafft auch etwas, was auf eine immense poetische Begabung hindeutet: Sie kann von ihrer Faszination fürs Material lassen, um sich dem Kontext ihres Tuns zuzuwenden und qua Text Poetologie zu betreiben. Und abseits dieses Changierens von ausgestellter Naivität und poetologischer Reflexion schafft sie sich und der Leserschaft Inseln, und auf diesen Inseln geht es entweder ausgesprochen intim zu oder verspielt, von ferne „WINKEN“ (dazu findet sich eine kaltschnäuzige Anweisung im Buch) die Galgenbrüder.

Der Fisch, der die Menschen überlebt


Der  Fisch  lebt  in  einem  Freibad.   Dort  badet  er
den  ganzen Tag.   Er badet  auch  die  ganze Nacht.
Er   hat   Schuppen   und    er hat   Kiemen.   Er  hat
auch   eine   Rückflosse   und  eine  Schwanzflosse.
Und  Brustflossen  und  an  den  Seiten  hat er auch
welche.  Er  lebt  in  einem  Freibad.  Dort  badet er
den ganzen Tag. Der Fisch, der die Menschen über-
lebt, hinterlässt Ringe an der Wasseroberfläche.

Die auf Morgenstern deutenden Motivkreise des Kindlichen und Faunischen sind mannigfaltig; die Diatribe zweier Stimmen („Sag mal“) ist eine Aktualisierung des Wettstreits („in Notturnos“) von Palmström und Korf. In den eher klassisch strophisch gebauten Formzitaten, vor allem in „ich bin verhangen“, im „Lied eines Hummers“ und in „willkommen Dracula“ werden die sinnlichen Episteln Else Lasker-Schülers an ihre diversen Gefährten aufgerufen; hier ist nichts geschnitten und geklebt in der Art von Erpresserschreiben und Drohbriefen. Überhaupt fand, ob nun beabsichtigt oder nicht, durchaus etwas vom Esprit der Queneau’schen Stilübungen Eingang in dieses Erstlingswerk, nicht nur das Schlagwort „Übung“, das gut der Hälfte der Texte (ob nun Foto-Emblemen oder Textcollagen) die nummerierte Überschrift gibt, wobei die Sukzession fast nie eingehalten und die zwanzigste Übung ausgespart wird, stattdessen darf man sich einer „Folge“ mit der Zählnummer „8“ widmen (einem Speisezettel), die ein Pendant in der „18. Folge“ (Foto von Kücheninventar) hat; hoffnungsvoll liest man das als einen Hinweis auf eine Fortsetzung.

Die kontemplative Komponente der Übungen, das Nachwort will gar etwas von „Übungen im Nachvollzug“ wissen, ist wohl mindestens in den Bedeutungshof >Vorspiel< hinein zu erweitern; und dieser spätestens durch Nietzsche nobilitierte Kalauer taucht denn auch nicht zufällig in der vierten Übung („Rundgesang“) auf, einem poetologischen Gewaltmarsch, der im Jubiläumsjahr der Allzweckmaschine DADA sicherlich nicht ungoutiert bleiben wird. Zeit zum Bestaunen des koketten Ausrutschers („Mein Herz schlägt daba daba dab“) bleibt nicht, denn bereits die unmittelbar folgende Übung bringt eine kurze Notiz aus dem „fix & frischen“ Heldenleben von „Hans“, davon, wie sein „schmales Haupt“ ein jähes Ende findet. Man befindet sich da bereits so ziemlich am Ende des Buches, zumindest zufolge einer altmodisch-linearen Lektüre, die ein Buch (mit Seitenzahlangaben) bei aller Spleenigkeit und aller Disparatheit dann doch nicht ganz aushebeln will; und gut daran tut. Es gibt schließlich durchaus zwei Höhepunkte (um im Bild zu bleiben), zu denen die anderen Passagen Präliminarien bilden. Im aufgeschlagenen Buch stehen „Neue Erkenntnisse über/ Altmärkische/ Spruchweisheiten“ (26. Übung), es handelt sich um eine Collage, dem gegenüber was

Mutter sagt:

Der Junge spielt auf dem Hof
der Junge fährt Seilbahn
der Junge fährt Seilbahn und jauchzt
der Junge fährt Seilbahn und grölt
der Junge fährt Seilbahn und fällt
der Junge steht auf
der Junge fährt Seilbahn

die Erzieherin ruft zum Abendbrot
der Junge isst Abendbrot
der Junge schläft
der Junge steht auf
der Junge geht zur Schule
der Junge sitzt am Mittagstisch

die Erzieherin fragt: warum isst du nicht
der Junge isst nicht
der Junge sagt nichts
die Erzieherin sagt: iss bitte
der Junge isst
die Erzieherin sagt: nimm bitte das Messer
der Junge isst nicht
die Erzieherin sagt: iss bitte
der Junge isst nicht
der Junge sagt nichts
die Erzieherin fragt: warum isst du nicht
der Arzt sagt: der Arm ist gebrochen
der Junge sagt: Mutter sagt: Dummheit tut nicht weh


Solche intensiven atmosphärischen Skizzen geben den Kontrast zur Beseligung von objets trouvés und all dessen, was im Rahmen (Buch) einen Rand (Ausschnitte) hat, anders gesagt: Fragment ist, „die Fragmente werden Reklameblättern, Handzetteln, Werbebroschüren, Verpackungen, seltener Kulturartikeln oder literarischen Quellen ent-schnitten, deren potentielle „Wiederherstellung“ nicht nur unberücksichtigt bleibt, sondern vermieden werden muß,“ notiert Angelika Janz in ihrem Essay „Fragment als Haltung“ (In: Metonymie, hrsg. von Norbert Lange, Berlin, Verlagshaus Frank 2014, 258ff., hier: 265) und inthronisiert diese Arbeitsweise: „Die Auslotung von Ursprungs- und Neutext spielt keine Rolle mehr. Diese respektlose Art, die Vogelfreiheit des gedruckten Wortes bis zur buchstäblichen Vereinzelung auszuspielen, signalisiert die Elastizität des respektabel Gedruckten, ist Ausdruck zeitgeistiger Verfügbarkeit über Lebendiges, Lebloses, Bewegliches und Unbewegliches, Aufforderung zur Weiterverarbeitung inbegriffen.“ (Ebd.) Ulrike Feibigs Materialauswahl und die Zurichtung des Materials hat etwas von dieser Respektlosigkeit, zeigt aber auch, dass Text-Recycling im besten Fall mehr Rückschlüsse auf die Poesie des Subjekts zulässt als auf seine Dogmata. Nur derjenige Teil der Leserschaft wird diese Materialwahl und das Collage-Verfahren als hausbacken oder obskur erachten, der den threnetischen Subtext und auch die tiefe Verbeugung der Verfasserin vor dem Format Buch ignoriert. Insofern sind die saloppen Anmerkungen der Verfasserin im Buch nachvollziehbar, könnten aber auch teils elevenhaft anmuten; vonnöten sind sie nicht.

Ulrike Feibigs perlicke, perlacke, mein Herz schlägt ist ein vitales Gedankenbuch. Die Essayistin Hannelore Schlaffer brachte diese, nicht leicht zu klassifizierende, Textsorte unlängst gegen den Roman in Stellung: „Anders als die eingängigeren Leseangebote, anders also als Roman, Sachbuch, Biografie, Facebook setzen die Passagen des Gedankenbuchs einen Leser voraus, der sein tägliches Pensum an Kontemplation auf sich nimmt.“ (Merkur, Nr. 801, 69f.) Die Schriftstellerin Ulrike Feibig gebietet offenbar, und das bereits in ihrem Debüt, über ein so feines poetisches Sensorium, um (den lyristischen Anteil in engsten Grenzen haltend) unseren Blick, der dadurch ein visualisierender wird, auf die Kaputtheit der Meldungen, Phrasen, Faustregeln zu lenken und auf ihren bezirzenden Umgang damit; der übrigens auch der Umgang mit der nietzscheanischen Frage aus der Fröhlichen Wissenschaft ist, was der Leim („denn zum Leime/ Find’ ich selber mir schon Holz!“) des Dichters sei. Dieses Buch gibt darauf eine doppelte Antwort, eine deiktische (vielleicht: „Ecce Uhu!“), die man als flapsig abtun könnte und eine bittere Antwort, eine wie in der Miniatur „Neon“. Aus beiden Antworten entsteht der unverlierbare Humor dieses meisterlichen Debüts.


Ulrike Feibig: perlicke, perlacke, mein Herz schlägt. Herausgegeben von Jayne-Ann Igel, Jan Kuhlbrodt und Ralph Lindner (= Reihe Neue Lyrik, Band 11). Leipzig (poetenladen) 2016. 91 Seiten. 16,80 Euro.

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