Ulrike Almut Sandig: Lied aus dem Off
Ulrike Almut Sandig
Lied aus dem Off
im Anfang steht niemand.
im Anfangsland lag ich und schrie.
am Ende schweig ich und zieh
ein weiß beschriftetes Spruchband
hinter mir her. was draufsteht?
am Anfang, am Ende der gleiche
Vokal und immer, immer im Liegen
hört ihr meinen Anfang: ich bin
ein Strom, der in andere mündet
in den wieder andere münden.
ich bin ganz aus Sprache gemacht
ich bin ein irrer Anfangsvokal
Alleinstellungsmerkmal meiner
verlorenen Art, die sprechen muss
um sich selbst zu begreifen. wir
sind allein und jetzt alle zusammen:
dona nobis pacem uns zartem
gefräßigem Alphagetier. ich bin
nicht allein. du bist nicht allein
wir irren, o Herr, von einem Verhör
zum andern und stecken einander
Messer rein: ich habe, du hast
nein, wir haben wohl eine Tendenz
zur Ausuferung, also wo ist, o
Big Bang, der Anfang vom Argen?
im Anfangsland lag mein Flüsschen
mit Schnabel. am Anfang lag ich
niemand war ich und niemand
werde ich sein. dazwischen bin ich
Stimmgabel aus flüssigem Stoff
ich bin mein eigenes Lied aus dem Off
über ein vollkommen weißes
Rapsfeld im Schnee
In: Ulrike Almut Sandig: ich bin ein Feld voller Raps verstecke die Rehe und leuchte wie dreizehn Ölgemälde übereinandergelegt. Neue Gedichte. Frankfurt am Main (Schöffling & Co.) 2016.
94 Seiten. 22,00 Euro.