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Ulrich Schäfer-Newiger: Der ewige Jäger

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Ulrich Schäfer-Newiger

Der ewige Jäger

Für John Burnside

Wenn wir
weit genug hinausgegangen waren
in die Felder jenseits des Asphalts,
auf nur von Maschinen noch befahrenen,
durchweichten, aufgerissenen,
kaum für uns Menschen noch begehbaren Wegen,
zwischen riesigen Maisfeldern,
und Flächen voller Raps und Gerste,
erreichten wir bald den Rand des Waldes,
dessen vertraute Stille wir liebten.

Als Beleg für die Wirklichkeit dort
galt uns immer schon
                                die Gestalt des Jägers,
klein und dunkel,
mit geschultertem Gewehr,
der, aus dem Wald tretend, uns stets
mit einem schweigenden Kopfnicken
                                           begrüßte.

Seinen Namen kannten wir nicht,
oder durften ihn nicht aussprechen.
Sein Gesicht blieb uns fremd,
obgleich er uns anblickte durch seine Brille.

Nie sahen wir ihn mit einer erlegten Beute.

Bald meinten wir, das von ihm gejagte Wild
müsse ihm ähnlich sein, nur heiliger.
Der Waldweg, von dem er kam
war nichts Besonderes. Nur das Gefühl,
unter Moos und verfaulten Blättern
                                            läge etwas begraben,
für das wir keine Wörter hatten.

Während unseres Gehens im Wald
sahen wir ihn vor unserem inneren Auge
mit der ganzen Oberfläche seines Körpers
sich der Beute hingeben, sich verlieben
                                         in das zu tötende Tier,
wie er einwilligte in die stumme Einwilligung des Tieres.
Eine Art Inzest, um sich von einer alten
Schuld zu befreien.

Es steckt mehr hinter dem Wahrgenommenen,
als wir glauben, eine Unsicherheit,
ein Fehldenken vielleicht,
ein Wunsch, erzählen zu wollen,
der so zwingend ist,
dass wir ihn nicht bemerken,
ein Irrtum unseres Gehirns,
das einen Sinn sucht,
eine Art Festhaltenwollen von etwas,
das wir als solches selbst
                                   nicht erkennen.

Als wir zurückkehrten
Abends, bei abnehmendem Licht
in der Dämmerung,
waren die Konturen des Jägers verschwommen
als er uns wieder entgegenkam,
                                    um Jahre gealtert.
Und wenn wir stehenblieben, ihm nachblickten,
um uns seiner
              Wiederkehr
ganz sicher zu sein,
überfiel uns ein Schrecken,
wähnten wir uns
in einer unwirklichen,
äußeren oder inneren Landschaft,
die uns ganz plötzlich fremd war,
und zu der wir
nicht gehörten.


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