Ulrich Koch: Sechs Gedichte
Montags=Text
0

Ulrich Koch
Sechs Gedichte
STELLT EUCH VOR
Stellt Euch vor,
stellt Euch vor
Wir sterben nie
Und als Tote steigen
wir nur zum Himmel auf
Als tauchten wir auf
vom Grund
Aus einer flachen
flachen Tiefe
Und steigen steigen
steigen und
Sinken wieder
zurück
Mit einem Klavier im Mund
Und spielen
draußen
Spielen spielen, bis
es dämmert
Etüden
Bis uns jemand
Nach drinnen
Zum Essen
Waschen
Schlafen
Riefe
AM TAG UNSERER
WIEDERGEBURT
Am Tag unserer
Wiedergeburt
gibt es eine
Sondersendung.
Menschenmassen
strömen auf die großen Plätze
und Stille geht von
Ihnen aus.
Alle sind wir wieder
da und wir selbst.
Noch etwas steif
stehen wir nachts an den Fenstern
und beobachten die
Gegenstromanlage der Sterne.
Unsere Kinder sind
gerade an Land gekrochen
und schön wie
Pollenflug.
Wir reden mit den
Tieren
im Glauben, dass sie
uns verstehen,
während sie es
tatsächlich tun.
KURZE PASSION
Wechsel das letzte
Hemd.
Geh mit dem Leben
fremd.
Gleich wirst Du weggeschwemmt.
Wie schmeckt Kreide?
Ähnlich wie Seide.
Milch wie beide.
Versöhne Dich mit dem
Schönen:
Lass unter Tränen
das Hässliche stöhnen.
Schlafe viel und
schreibe wenig.
Gott ist tot.
Gott hab ihn selig.
DROHNE
Wir fanden sie
verletzt am Wegrand
(ein Rotorblatt war
abgeknickt) und trugen,
um sie aufzupäppeln,
das Leichtgewicht ins Haus,
vergebens, sahen
aber, dass sie tragend war,
und trennten ihren
Bauch auf, um zu retten,
was an neuem Leben
darin war: Vogelperspektiven,
die man Bild um Bild
entband: drei Runden um den
schiefen Turm von
Pisa, Birkenwälder, Trockenwiesen,
Nachbargärten,
Bundesliga, ein Mandala
am Meeresstrand. Und
in einem Bombentrichter
ein Trupp
Infanteristen. Sein Blick nach oben,
Schrecksekunde, als
ihr Zoom die weichen Ziele fand.
VERFÜGUNG
Wenn ihr ihn denn findet,
wickelt ihn, weich
wie eine Larve,
und bewerft ihn mit Erde,
wascht ihn, salbt ihn,
bergt ihn, zieht ihn
empor aus der Tiefe,
in der er versank,
zieht ihn hervor
unter der Last,
die ihn drückte.
Legt seine Augen
zurück ins Nest,
reibt ihn trocken
mit Zungen und Stroh,
löscht ihn mit Kalk,
hängt ihn höher
oder ab,
bahrt ihn auf
und offenbart
seinen Nächsten,
dass es das war.
Bettet ihn weich
in Samt und in Seide,
oder brecht ihn auf,
zerlegt diesen Hirsch,
um den Grund zu finden
für sein jähes Ende
im Tintenfisch
seiner Eingeweide,
oder zu lesen,
was morgen kommt.
Wenn ihr ihn nicht
als ganzen findet,
sucht nach den Teilen
den äußersten Rand
der Druckwelle ab,
befragt die Klingen,
wo sind seine Glieder,
sucht in der Flugbahn
der Splitter, Schrapnelle,
zieht die noch warme
Arche an Land
und seht unter Deck
auf den Ruderbänken
die Organe, gekrümmt,
zusammengebrochen,
und flext ihn aus dem Wrack,
bevor es die Presse
zerquetscht,
sammelt am Strand
seine Wangenknochen,
geht mit der Sonne
die Rippen entlang
und lauscht auf der Lichtung
seinem Nachtgesang,
liebkost ihn mit Klemmen,
Scheren und Haken,
streichelt ihn sanft
mit Einmalhandschuhn –
Ich bitte Euch nur
dies eine zu tun:
Legt ihn neben die Leute
mit offenem Mund,
mit dem Knoten
des Kehlkopfs, festgezurrt,
zu denen mit den abgekauten
Nägeln wie Monde,
mit schwarzen Füßen,
den verbrannten,
die das Feuer trugen:
Zu den seinen,
die sich nicht im Spiegel erkannten.
Den Erlösten
mit dem Honigduft
der Verwesten.
Seinen nächsten
und fernsten,
nur einen Steinwurf entfernten:
Sprachverwandten.
ANTHROPOPHAGEN
Wir kennen sie gut, sie zogen uns groß
und leben noch heute.
Der Turnlehrer neben der Reckstange,
um die sich das Lamm
unseres Körpers dreht.
Unsere nimmersatten Therapeuten
mit ihrem Geheimtipp: Ketodiät.
Unsere Feinschmecker, die Träume.
Auf den Lattenrosten
werden wir gegrillt.
Mama, Papa, halb irr vor Hunger,
erst nach Jahrzehnten von uns abgestillt.
Wachsam ist unser Schlaf,
schreckhaft sind wir,
wie Zwerge.
In jedem Dunkel wittern wir Blut.
Bisschen Pfeffer?
Prise Salz?
Damit die Augen
schön saftig tränen.
Ihr Liebenden!
Gefüttert mit dem fetten Gras der Liegewiesen!
Gemästet mit dem Heu in den grauen Scheunen!
Gefedert von den weichen Kissen!
Gestopft mit Abschiedsküssen wie Foie gras!
Aufgepasst!
Aufgepasst!
Demnächst aus Ulrich Koch: Letzte Hilfe Kurs. Gedichte. Jung und Jung, ca. 160 Seiten. € 23,00.
