Ulrich Koch: Dies ist nur der Auszug aus einem viel kürzeren Text
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Jan Kuhlbrodt
Ulrich Koch: Dies ist nur der Auszug aus einem viel kürzeren
Text. Gedichte. Salzburg (Jung und Jung) 2021. 160 Seiten. 23,00 Euro.
Vorläufiges zu Ulrich Kochs neuem Gedichtband
„Dies ist nur der Auszug aus einem viel kürzeren Text.“
Vielleicht liest man Gedichte anders, wenn man die eigene
Vergänglichkeit vor Augen hat.
Die traurige Wahrheit ist, dass ich immer noch liebe.Groß und kindlich zugleichWie ein gealterter Säuger.Ich habe versucht es zu verlernen.Aber es ist wie Radfahren....
Diese Verse aus dem Gedicht „Die Liebe zu den Worten“ sind
vielleicht die direktesten des ganzen Bandes. Sie steuern unmittelbar auf ein
sichtbares, sich selbst identisches Ziel zu. Etwas weiter im Text heißt es:
Beim Schreiben aber strecken sich meine Armenach etwas, das ich nicht benennen kann....
Das sich selbst Gleiche entzieht sich dann nämlich dem Text.
Die Namen also sind Platzhalter für etwas, das hinter den Namen existiert und
durch die Sprache Zeichen sendet eben genau dafür, dass es da ist.
Es ist ein Paradoxon, das der Titel formuliert und man
könnte, wenn man die Texte Kochs oberflächlich liest, zu schnell oder zu
diagonal, meinen, im Paradoxen hätten sie eine Heimat gefunden.
Texte aber sind heimatlos. Das Paradoxe umschreibt nämlich
eine Leerstelle, die neben Heimat noch viele andere Namen tragen könnte, und
neben den unaussprechlichen natürlich auch Gott, oder eben den Gottes.

Dass da etwas Übergroßes sein könnte, erzeugt Furcht. Augustinus
formulierte: „Im Auge scheint es mir, es seien nur drei Dinge, die mich noch
bewegen können: Angst vor dem Verlust derer, die ich liebe, Angst vor Schmerz,
Angst vor dem Tod.“ Und Simone Weil schreibt: „Darum fliehen wir die innere
Leere, weil Gott sich in sie einschleichen könnte.“
Die Abwesenheit Gottes aber vollzieht sich in einer
beseelten Welt. Kochs Landschaften und Dinge sind sprechende.
Anwesenheitskünder:
Dann ist es stillIn den Fenstern zittern die Spinnwebenund in ihrer Mitte die Sonnemit ihren dünnen Beinenmit denen sie den Fadenum die Erde spinnt
Und alles in Kochs Texten stemmt
sich gegen das Vergehen.