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Ulrich Grasnick: Auf der Suche nach deinem Gesicht

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Timo Brandt

„Deine Stimme/mit dem Gewicht der Ferne“


Erst letztes Jahr sind die Gesammelten Gedichte von Johannes Bobrowski in einer Ausgabe bei der Deutschen Verlags Anstalt erschienen (von mir rezensiert hier beim Signaturen-Magazin). Die karge und gleichsam sehr beseelte Lyrik des bereits 1965 verstorbenen Dichters, zu seiner Zeit durchaus bekannt, ist fast zu einer Art Geheimtipp geworden, obwohl sein Schatten in vielen Dichtungen auftaucht, von Paul Celan bis Durs Grünbein.

Ulrich Grasnicks Band mit „Gedichten zu Johannes Bobrowski“ könnte man als eine Art Spurensuche bezeichnen, eine Spurensuche im Leben und im Werk. Von beidem, Leben und Werk, haben sich die Gedichte inspirieren lassen; sie treiben, fahren auf ihnen dahin, wie ein Boot auf einem Fluss.

„Schreibmaschine,
mit dem weißen Horizont
eines eingespannten Blattes,
mit dem Horizont der ersten Zeile:

Immer den Fluss hinauf“

In den Versen lässt Grasnick nicht nur viele Stationen aus Bobrowskis Leben Revue passieren, sondern versucht auch den beseelten Sound, das Mysteriöse und gleichsam Offene, das Bobrowskis Gedichte zu einem nahen und fernen Erlebnis gleichermaßen machte, zu reproduzieren und abzuwandeln.

Mitunter gelingt ihm das ganz gut, wobei sich nicht leugnen lässt, dass zumindest mir manche Gedichte so sehr im Schatten des Umkreisten, seiner Präsenz so nahe zu stehen schienen, dass sich die Frage nach dem eigenen Ausdruck ergibt, also: ist er vorhanden, wird Neues und Eigenes gesagt oder nur geschwelgt im Sound Bobrowskis?

„Worte,
Nabelschnur
der Sprache,
mit dem Wellenschlag
der Silben.

Zeichen
gesetzt,
aufrecht,
mit langem Atem
festgeschrieben.“

Viel Schwelgen ist dabei, aber in einigen Momenten gelingt Grasnick eine gekonnte, nicht selten eindeutig am Original-Ton von Bobrowski orientierte, aber dennoch schöne Erweiterung oder Anverwandlung, die eigenständige Züge hat.

Und wenn nicht, dann trifft Grasnick den Sound sehr genau und weiß mit seiner Wirkung umzugehen; man spürt das Echo und den Hall, das Aufgenommene, Mitgetragene, und wie es behutsam in die Sprache einfließt.

„Es schlafen Verse
wie Glocken
bis einer kommt
und sie anrührt.

Reden hör ich
die leisen Stimmen,
ich höre
dich sagen:
»wo Liebe nicht ist,
sprich das Wort nicht aus«“

Stück für Stück buchstabieren die Gedichte eine Art Alphabet von Bobrowskis Lebenswelt und verdichten sich hier und da zu einer Art Kosmos-Gefühl. Sie umkreisen den Dichter und seine Literatur wie etwas ungeheuer Wesentliches, Existenzielles, aber auch etwas Rätselhaftes, Traumwandlerisches.

Dieses besondere Projekt lädt in jedem Fall dazu ein, Bobrowski zu entdecken und zu lesen und hält selbst einige wunderbare Verse bereit. Man wünscht sich, nachdem man das Buch zugeschlagen hat, dass es zu allen großen Dichter*innen so ein Album, eine solch lyrische Spurensuche, gäbe, in welchem der Atmosphäre des Werkes nachgespürt werden würde.

„Es gibt Aufnahmen
von deinem ausgeräumten
Zimmer.
Bilder und Schränke
haben helle
Abschiedschatten
hinterlassen,
eine Röntgenaufnahme
der Leere,
des Verlustes.


Ulrich Grasnick: Auf der Suche nach deinem Gesicht. Gedichte zu Johannes Bobrowski. Berlin. (Quintus-Verlag.) 2018. 120 Seiten. 18,00 Euro.
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