Ulf Stolterfoht: fachsprachen XXXVII - XLV
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Timo Brandt
Das Einschmelzen der Diskurse oder: „ich kann nur sagen: wir haben das registriert“
„der clou: in jedem systemsteckt noch ein system [sub]. in jeder baracke eine baracke. nach barackenummer acht hat man alle zweifelsfrei abnormen verbracht. dort sitzt derherr de sade und sagt: sie werden lachen, ich bin überhaupt nicht geistes-gestört – ich bin schon längst gestorben. du aber, mein freund, kokettierst!“
So setze ich an und kommentiere das Spiel, die Kunst, den Tiegel, o Feuilleton, des Dichters Ulf Stolterfoht, Ihn, der wälzend, knüpfend und gestaltend des Rezensenten unnennbare Freude und Verblüffung und Überforderung erregte, und viel gehäuften Stoff der Diskurse, Historie und Angesammeltes uns sandte, kräftiges Segel, ohne Furcht, die Ware wäre nur Perlen vor die Säue oder eben ebenwürdige Eber.
Bedürfen seine zahllosen Fachsprachen einer Fürsprache? Wohl kaum! Wer sie schon kennt und schätzt, wird jeden Jahrgang einzeln wie ein Fläschchen zu sich nehmen und lange im Kopf kreisen lassen, jeden Schwenk zu schätzen wissen, sich damit betrinken oder schlückchenweise Genuss wie Anregung daraus beziehen. Ich bin nicht geeignet, hier irgendwelche umfassenden Einsichten oder Analysen aufzubieten, möchte nur als faszinierter Leser ein kurzen Abriss des Bandes liefern, der wie immer ein weites Feld ist (Schlachtfeld, Acker, Bauplatz, Wiese, Sumpf, was soll’s – zerreißen Sie Reich-Ranicki!).
„lesart ist stullequalle ist latte dem igel. ein winter wahrhaftig wie watte.uns alle deckt wolle. auf eine pulle nach melle. frau molle.an dieser stelle stemmt sich der dichter gegen den verlauf:soll das denn ewig so weitergehen, mit qualle, wolle, molle?ich vermag keinen erkenntniszuwachs festzustellen. humewettert nur gegen die faule kausalität, hegel zertrümmert diewirkmacht der regel – mit links!“
Binnenreime bis das Krachen schäumt. Die Eigendynamik der Sprache – kaum ein/e zeitgenössische/r Dichter*in, kann sie so zum Erblühen bringen und gleichsam kann keiner Sprache so vorführen, blamieren, in die Binsen gehen lassen wie Ulf Stolterfoht. Wenn ein Wort oder ein Bezug sich anbietet, weil es gedanklich oder räumlich zu nah an einem anderen steht, Assonanz aufweist, kann es ihnen passieren, dass sie integriert, dass sie zwangsrekrutiert werden – dabei wird gern auch vom Sockel gekickt und vertikutiert! Die Registratur dieser Poesie schläft nie und verbucht Erfolge und Miese(ren) gleichermaßen gern.
Mir ist bewusst, dass diese Dichtung nicht nur Spiel und Jux
ist, aber ich muss zugeben, dass ich vor allem immer einen Heidenspaß an diesen
Gedichten habe und gar nicht so sehr nach Erleuchtung strebe. Vielleicht lehne
ich mich da zu weit aus dem Fenster, aber ich habe oft den Eindruck, dass hier
nicht nur Diskurse gekapert und zugespitzt, eingebunden und abgehalftert
werden, sondern geradezu eingeschmolzen, woraus dann die langen Streben für
diese Gedichte gegossen werden. Nur quasseln und wispern im Konstrukt halt noch
die Stimmen und sagen was sie waren, waren, waren, hier und dort.
„problem: meine pferdchen sind sterblich, aber sehr sexuell.daneben („zur linken“) versinken die enten im see – grellund über die maßen kursiv. ich bin ein kleiner scheißer.kopfheister richtung quälmeister. problem: quälmeister mehrso in der theorie. praktisch eigentlich nie. quälmeister viel-mehr als garstiger dschinn […]wiesenschwund. etwas tröpfelte aus und vieles verschwände. behauptetes ende. neubeginn mit hölderlin.“
Und so fort. Eine Sprache und ein Bezug sind anderen
Nahrung. Es gibt immer einen Rahmen, der gesprengt werden will und muss, wenn
es nicht gerade wichtiger ist, ihn zu zimmern, hindurchzusteigen, um im Bild zu
sein – oder halt das Bild durcheinanderzubringen, die Perspektive zu verraten,
zu verschneiden.
Unter diesen neuen Fachsprachen waren Nr. XL und XLI meine
Favoriten. Ersteres ist ein wirklich göttlicher (halb-göttlicher? edda‘ischer?)
Verseposverschnitt, in dem die große, langwierige Geschichte von „gunnlaug
schlagenzunge“ und „brueti, dem nämlichen“, ihrer Freundschaft, einer
Prophezeiung und einem alles andere als blutarmen Dichterstreit zusammengefasst
wird. Wird übrigens - laut Überlieferung - auch als Schlüsselgedicht der
Berliner Lyrikszene angesehen.
Diese schlägt sich als Motiv wiederum auch in einer Tirade
nieder, mit der die „aggregate“ (ihres Zeichens Fachsprachen XLI) enden. Man
soll sich ja hüten, Gedichte in den Öfen von Diskursen und Meinungen zu
verbrennen, selbst wenn die Gedichte das umgekehrt mit fröhlicher Genugtuung
tun. Also zitiere ich und laviere mich bei latentem Glauben an die Ironie um
eine Stellungnahme herum.
Wünsche aber (auch abseits davon) fröhliche Lektüre und
empfehle diesen Band, den zur Hand zu nehmen ich nie bereut habe. Ich mag mir
da Hohekostverfechterverachtung zuziehen, aber für mich sind Stolterfohts
Fachsprachen vor allem das: eine sehr erheiternde, stimulierende, im richtigen
Maß die edlen Briefpapiere zerknüllende Lektüre.
„du entstammst einem raum? gut. du hältst die ber-liner lyrik für stylish und schwierig? gut. in teilen langwierig? gut.doch bedenke: wir machen die sache. du machst sie nicht. oderschlicht. also schlecht. dein gutes recht. du machst die sache insachsen? das ist wahrscheinlich möglich. die sache lässt sich auchin hessen machen, franken, pommern und schwaben. gar keinefrage. zwischen uns passt ein ast. passt ein schwamm. aber pisst unsnicht an. wir sind ein haufen und reichlich gefährlich – wenn wirnicht grad die sache machen. wir machen sie gut. und voller glutund lernen voneinander. sich messen an den liebsten – das ist derkick. es gibt kein zurück. zwischen uns passt ein hauch. und – keinscheiß: komm zu uns und stell deine sache unter beweis. willst dugewinnen, bleibst du zuhaus. willst du es machen, trägst du es aus.“
P.S.: Für alle, die sich an schrägen Bezügen erfreuen: Es
gibt ein Robert Gernhardt-Gedicht, das einen fiktiven Brief von einem Lektor
Linke an Theodor Fontane darstellt, in dem ersterer letzterem u.a. schreibt:
„Auch störten mich die vielen Usin Ihrem Satz »Ulf ging zu Fuß.«“
Bei den Fachsprachen XL, dem Versepos, wird zur Einleitung
aus der „chronik der nämlichen“ zitiert:
„stolz zu fuß: zu arm, sich ein pferd leisten zu können“
Ulf Stolterfoht: fachsprachen XXXVII - XLV. Berlin (kookbooks) 2018. 112 Seiten. 19,90 Euro.