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Udo Grashoff: Schiefe Menhire

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Jayne-Ann Igel


„In den weichen, lockeren Schalen der Nacht“


Zu Udo Grashoffs Band „Schiefe Menhire“


Es ist, als hätten wir es in diesem neuen Band Udo Grashoffs vor allem mit einer Archäologie archaischer, auf uns überkommener Erzählungen und Bilder zu tun, in denen aber zugleich Lebensmomente des dichterischen Ich schlaglichtartig erhellt werden. So tauchen auf den ersten Seiten in jedem der Texte Tiere auf (Adler, Schafe, Pferde, Füchse, ein Wolf …), Tiere, die zuweilen ein von Menschen verursachtes Geschick ereilt, deren Erfahrungshorizonte von der „Krone der Schöpfung“ vorgeprägt und gleichsam verstellt sind. Draußen ist alles Beute, was sich bewegt, heißt es an einer Stelle (S. 18). Und mir stößt beim Lesen dieser Zeilen auf, daß nur in Bezug auf Tiere die Redewendung vom „Verenden“ gebräuchlich ist …

Stark und eindrücklich sind die Bilder einer Kindheit, vom Vater, von einem elterlichen Vorleben, von Geschichte und Kriegsende, die u.a. die Kapitel „Mischbatterie“, „Blut im Schuh“ und „Ödipustaxi“ prägen. Sie lassen den Eindruck einer widersprüchlichen Beziehung entstehen, eines langwierigen sich Lossagens und –lösens, eines Loslassens des dichterischen Ich von der Vaterfigur, einer Emanzipation, die letztendlich erst dessen Akzeptanz ermöglicht. Nein, der Sohn wird hier nicht etwa zum Vatermörder, Tragödien dieser Art bleiben uns erspart. Wenn in „Anruf“ (S. 79) zu lesen ist: dass wir telefoniert haben miteinander/ Kriegshelden nach der Amputation/ froh darüber, dass wir für den anderen/ unsichtbar sind –, so charakterisiert dies sinnfällig das ambivalente Verhältnis (der Vater wird in diesem Text nicht einmal genannt – daß es sich auch hier um ihn handeln muß, wird durch die nachfolgenden Gedichte klar). Ein Verhältnis, das in der Vergangenheit offenbar von Liebe wie gegenseitigem Mißtrauen und Schuldgefühlen gleichermaßen bestimmt und durchsetzt war. Konfliktgeladene Vater-Sohn-Konstellationen stellen ja bekanntlich eine der Konstanten in der Literatur dar, und man könnte annehmen, das Thema habe sich längst ausgeschrieben, erschöpft. Doch Grashoff weiß in dieser Textfolge mit Blickwinkeln und einer Bildsprache zu überraschen, die uns solcherart Beziehungen auf eine neue und ungewohnte Weise erfahrbar machen. Wie im folgenden Text, in dem Entfremdung wie ein gewisses Befremden hinsichtlich eigenen Tuns mitschwingen, eine Verunsicherung:

Glückwünsche bleiben
für ein paar Wochen bleiben sie
einfach liegen
auf dem Schreibtisch
und dann brennen sie, müssen weg
es gibt keine Gewöhnung
an diesen Ton, der sich Mühe gibt
keinen Grund, das Papier im letzten Moment
aus den Flammen zu nehmen
(oder war es doch ernstgemeint
dieser Wunsch, der sich krümmt und zerbricht –
ein Flackern im Gesicht
Sohn, ohne Versöhnung
(S. 83)


Und dies geschieht weitaus subtiler als etwa im Text auf der folgenden Seite, in dem das Dichter-Ich, eher abgeklärt, aber nicht ohne Mitgefühl resümiert: ohne Groll denke ich an ihn/ der mich reich beschenkt/ und belauert hat/ diesen ängstlichen/ guten, bösen, scheißfreundlichen Mann. Weiter vorn im Band ist davon die Rede, sich rauszureißen aus der Geranienfestung der Eltern (S. 38), was mich an die Szene mit der Araukarie auf dem Treppenabsatz in Hermann Hesses „Steppenwolf“ denken läßt, die für die getriebene Hauptfigur des Romans den Inbegriff bürgerlicher Häuslichkeit darstellt.

Man wird in diesem Band auf jeder Seite mit wunderbar schwingenden und ins Offene mündenden Zeilen belohnt. Vor allem auch im letzten Kapitel, in dem wir uns in einem Reich zwischen Traum/ Schlaf und Wachen bewegen, Alpträume durchleben, wie im Eingangsgedicht, das in seiner Herbheit an die Diktion Bächlerscher Traumnotate erinnert. Zeilen wie z.B. diese: als König findest du dich in den weichen, lockeren Schalen der Nacht (S. 107), oder: in diesem Augenblick wohnen kann man nicht (S. 104), oder: wenn wir die Lichter löschen in den Kammern/ schleichen sich die Fehler ein (S. 105) – letztere aus einem Text, in dem die Psychologie des Erinnerns in bildhafter Weise zur Sprache kommt. Es sind Nachtwach-Momente, die eine andere Art des Sehens bewirken und in denen das Bewußtsein einen Prozeß in Gang setzt, den man (von der negativen Konnotation des Begriffs abweichend) auch als „Einbildung“ bezeichnen könnte.

Schaum, auf den Strand geworfen
vor einer schwarzen, vollen See
sie scheinen zu wissen, was es damit auf sich hat
sonst würden sie kaum an den Angeln ausharren
nachts, im Februar
mitten im Schaum
der an ihre Gummistiefel weht
tagsüber funkeln die Blasen blauviolett
jetzt ist er weiß
und sieht so aus
als käme der Schaum von selbst
zu den Männern und ihren Angeln
große Stangen mit schmalen
Leuchtstreifen an der Spitze
die sich beugen Richtung Meer
(S. 96)


Doch solch scheinbar in Halbschlaf- oder Halbwachzuständen generierten Bildern begegnen wir auch an vielen anderen Stellen, wo sich z.B. das Dichter-Ich samt Bett auf der Straße unter einer Laterne wiederfindet, sich Wolken in ihm zusammenballen, es bekundet, daß es vielleicht gar nicht mein Ding/ zu erwachen, vielleicht bin ich/ parallel (S. 55).


Juni 2015

Udo Grashoff: Schiefe Menhire. Berlin (Verlagshaus J. Frank) 2015. 112 Seiten. 13,90 Euro.

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