Direkt zum Seiteninhalt

Trakl und wir

Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen



Armin Steigenberger

Im Dunkel sinken Helians Augen



Zu Georg Trakls 100. Todestag ist in der Edition der Stiftung Lyrik Kabinett als Band Nr. 15 eine Anthologie erschienen: Unter dem Titel TRAKL und wir – Fünfzig Blicke in einen Opal versammeln Mirko Bonné und Tom Schulz 50 Stimmen deutschsprachiger Autor_innen mit Gedichten, Essays und Prosa. Es werden Gedichte Trakls vorangestellt, denen jeweils ein oder mehrere Autor_innen eigene Werke gegenüber stellen.

Verse zu Ehren anderer Dichter sind naturgemäß ein Reagieren auf Vorhandenes. Oft gibt es Nuancen, an denen ein reaktives Moment ablesbar ist. Erst recht haben Widmungsverse gelegentlich etwas Zurückgelehntes, vorsichtig Huldvolles. Manchmal ist ein bemühtes Sprechen durchzuhören, das am Missverhältnis zwischen der eigenen Interpretation und Auffassung und der gutgemeinten Ehrung für einen Dichter liegen mag. Ich weiß gar nicht, wie man dieses Tun heute nennen will: Am ehesten noch Hommage oder Zueignung, denn Ehrung, Huldigung, Eingedenksein klingt heutzutage auf behäbige Art und Weise pathetisch und ansatzweise tumb. Bei aller Behutsamkeit des Heranwagens mit eigenen Versen ist es am Ende doch oft nur das Eigene, das in die Nähe des Dichters gerückt wird. Was auch legitim ist und in letzter Konsequenz gar nicht anders geht. Auch Trakl eignete Texte anderen Dichtern zu; sein Gedicht Abendland z. B. ist Else Lasker-Schüler in Verehrung geschrieben. So ist es spannend zu sehen, auf welche verschiedenen Arten sich zeitgenössische Autor_innen an diese Aufgabe heranwagen.

¹Friederike Mayröcker

ZU GEORG TRAKL´S ›RONDEL‹ = RUNDGESANG:

ich möchte deine blauen
Augen küssen die du, sanft aufgeschlagen
hattest diese, Blumen
in den Bergen sehr intensiv und selten,
fliege ich mit meiner blauen Seele ganz nah an deine
blauen Augen : Gebot von Mond und amen, siehe wir
stehen still, einander tief umschlingend
8.5.2013


Es gibt textlich gesehen die unterschiedlichsten Herangehensweisen, sich dem Thema zu widmen. Im vorliegenden Band ist es eine ganze Bandbreite. So wird eine unterschiedliche Fülle an Bezügen deutlich, die sich unterschiedlich nah und intensiv an das Leben und an poetische Motive Trakls hinbewegen. Es sind eigene Erfahrungen mit dem Dichter, daneben Assoziationen, Anklänge.

²Nancy Hünger

ferngezogen

Dieses Dorf kennt kein Ende keinen Anfang nur die Berge den Wald ringsum
die Wein überschwemmten Ebenen ringsum dieses Dorf schnürt sich der
Wein so fest der Wald um die Hände der Gebliebenen sind groß und schwer
haben Schwielen wie Kinderaugen und bekommen kaum ihr Bier unter den
schwankenden Laternen zu fassen das bleiche Licht in der Stube sitzen die
Kinder mit rostroten Wangen schlafen in Fässern aus Eichenholz rollen die
Kinder bergan bergab wie goldene Fischchen bis sie am Berg ringsum zerschellen
dieses Dorf hat kein Ende keinen Anfang nur eine Straße mit windschiefem
Gebälk (…)


Manche Texte eignen sich atemlos eine expressive, visionsartige Bildwelt an, in die sie eintauchen und sehr weit verfolgen. Die Interferenzen durch den Trakl-Kontext sorgen immer wieder für Spannung. Die düstere Heraufkunft des Nazireiches wird thematisiert.

³Günter Herburger

psalm

Der Herr Trakl
stand auf einer Felsennase und sang,
bis die Gewässer verstummten
und zuhören konnten.
Dahinter marschierte Weinheber
mit seinen SA-Truppen vorüber. (…)


Auf unterschiedlichste Art werden das Leben des Dichters und sein Werk von einer Vielzahl von Autor_innen dem eigenen Schreiben anverwandelt. Wo es gelingt, gibt es neue Funkenschläge, Überlagerung und Überwölbung durch neuen, strahlenden Sinn. Motive werden aufgegriffen, Bilder werden weiter variiert und von neuen, eigenen poetischen Bildern kontrastiert. Vieles wird aus heutiger Sicht konterkariert. In Essays gelingen Reflexionen.

Georg Trakl

EIN WINTERABEND

(2. Fassung)

Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
Lang die Abendglocke läutet,
Vielen ist der Tisch bereitet
Und das Haus ist wohlbestellt.
Mancher auf der Wanderschaft
Kommt ans Tor auf dunklen Pfaden.
Golden blüht der Baum der Gnaden
Aus der Erde kühlem Saft.
Wanderer tritt still herein;
Schmerz versteinerte die Schwelle.
Da erglänzt in reiner Helle
Auf dem Tische Brot und Wein.


Norbert Hummelt

DIE SCHWELLE

Unter den Gedichten Georg Trakls, mit denen ich seit langem stillen Umgang
pflege, ist mir dieses eines der liebsten. Es lange zu kennen heißt nicht,
es ganz erkannt zu haben. So wie das Gedicht eine Einladung ausspricht, der
nicht eilig entsprochen werden kann, weil sie für den, der spricht, zögerndes
Nähertreten auf dunklen Pfaden nötig macht, ist auch das Schreiben darüber
kaum mehr als ein Schritt, der an jene Schwelle führt, die der Schmerz versteinerte
– bevor etwas erglänzen kann. (…)


Hier spielen auch unterschiedliche Sichtweisen und geschichtliche Bezüge eine Rolle. Mancher Autor versucht den Ton Trakls innerhalb seiner eigenen poetischen Welt einzufangen und spielt damit. Das gibt teils sehr interessante Brechungen.

Andreas Altmann

DAS GLAS ANGEHAUCHT

tiere stehen in den glasgeräuschen
hinter ihren augen. das grüne licht
ist in den bäumen aufgeschlagen
und läuft an kalten stellen des waldes
auseinander. (…)


Denke ich heute ans entfernte 1914 (– was angesichts all der allgegenwärtigen jahreszahligen Weltkriegsbesinnerei inzwischen einigermaßen schwerfällt), kommen mir zuallererst alte Schwarzweißfotografien ins Gedächtnis. Ich sehe darauf die strahlenden Gesichter von Kriegsfreiwilligen; ein fatales Gefühl stellt sich gleich zu Anfang ein, nichts mehr tun, nicht mehr eingreifen zu können. Ich habe große Mühe zu begreifen, was damals los war. Ich werde es auch nicht schaffen, mich vollkommen hineinzudenken. Eine Zeit, in der ein expressionistischer Maler wie Erich Heckel anfangs noch martialische Szenerien vom Krieg malt und sich sogar Rilke (der in dem erhellenden Vorwort Hans Weichselbaums Erwähnung findet) nicht entblöden konnte, mit Getöse dem „Kriegsgott“ zu huldigen. Auch andere Künstler und Schriftsteller haben zu Kriegsbeginn kaum Distanz zum Geschehen. Heute wird dagegen gerade bei Autor_innen ein stets waches und aktives Geschichtsbewusstsein vorausgesetzt. Niemand kann sich heute der Vergangenheit entziehen und ist gleichermaßen aufgerufen, auch aktuelles Geschehen mitzuverfolgen.

Marcel Beyer

AN DIE VERMUMMTEN

I

So der Wahnsinn Abbottabad, da sich alles
an schwarzem Material überlagert: Asche
von Türmen, nordpakistanische Nacht und auch
dieser alte, auf hoher See bestattete Zottelbart.
Großes Bunkergefühl heute. Samt Magengrollen.
Ungefilmt (…)


Ganz offensichtlich war anno 1914 diese gebärdenhafte Auf-in-den-Krieg-Haltung auch gleichsam en vogue und gesellschaftlich erwünscht; eine gewisse Naivität kann man zugestehen, denn heute wissen wir längst um den Albtraum traumatischer Kriegshöllen und was mit dem zweiten Weltkrieg folgte. Vernichtungskrieg und Genozid. Dagegen steht jene Kriegslüsternheit incl. allem idealistischem Heroismus der Mitläufer und Agitatoren im Klima des nationalistischen Gefühlsrauschs, die – um sich aus heutiger Sicht einmal vorsichtig hinzuwagen und hinzufühlen – sich zu Kriegsbeginn vermutlich ähnlich hip und cool fühlen, wie es heute aus sehr konträren Anlässen geschieht. Junge Männer hatten zu jener Zeit vermutlich (zu) viel Schneid, waren smarte, mutige Weltretter mit Reichkriegsflagge und merkwürdig vereinfachten Idealen, von denen es auch heute genügend gibt, solche und solche, nur dass die Fahnen beispielsweise schwarz sind und woanders wehen. Das alles scheint längst vergessen und scheint gelegentlich eher aufgrund einer Zahl wieder herbemüht zu werden.

Nadja Küchenmeister

MORGENSCHAUER

Gedichtsatz
nebel überfällt die berge wie im flug und schleicht metallisch
um die spitzen karger bäume. der morgen ist von tau zerfressen
leckt an einem straßenschild. dein tier ist wach und lauscht

dem rauschen in den pappeln. von krähen schwer beladen sind
die masten, eine schwarze fracht. und ein geräusch ist in den lüften
als würde jemand in der ferne särge putzen, schon die halbe nacht. (…)


So scheint sich in einige Bearbeitungen die Bildwelt des Krieges hineingelegt und auch hinterlegt zu haben, auch wenn die Texte Natur oder urbanen Raum beschreiben.

Ich erinnere mich an das, was ich in der Schule zum Ausbruch des Krieges gehört habe. In den Sinn kommt mir der überkandidelte Hurrapatriotismus, „Mir juckt die Säbelspitze“ als Aufschrift auf einem Eisenbahnwaggon via Frankreich. Und egal, welche Spitze da gejuckt hat: es gab ganz real jene heute sehr düster wirkende nationale Aufbruchsstimmung, sehr klar gegen unsere europäischen Nachbarn gerichtet. In den Sinn kommen mir Verabschiedungsszenen an Bahnhöfen. Karten mit Aufmarschpfeilen der Truppenbewegungen, z.B. der Schlieffenplan (und wie er wenig später schon ins Stocken geriet). In den Sinn kommen mir Schützengräben und Unterstände und etliche filmische Bearbeitungen. Georg Trakl ist dieser Begeisterung nie anheimgefallen. Er hat sich nie hinreißen lassen zu einer tumben Vaterländerei, dem Kriegsgetrommel „mit dem ‚Zarathustra‘ im Tornister“. Wo in Ernst Jüngers Stahlgewittern immer ein technoider Überlegenheitsgestus obsiegen will, jener unbedingte, aus heutiger Sicht abstruse Glaube an Krieg und auch an die Heilsamkeit des Krieges, der eine gewagte Verklärung des Krieges und seiner bizarren Schönheit darstellt, die heute an und für sich im westlichen Europa nicht mehr nachvollziehbar ist – wäre da nicht der Konflikt in der Ostukraine – passt Georg Trakl als schüchterner, weltungewandter Mensch da überhaupt nicht hinein. Er kann aber nicht anders, er wird eingezogen, er muss in diesen Krieg.

Hendrik Rost

AN DEN KNABEN GEORG

Ich wollte sein wie du, verloren im Kosmos,
ohne dabei cool zu sein. Ungeborner Enkel.
Aber bei uns fuhr nur ein Bus alle Stunde
ins nächste Kaff, und bis ich vierzehn war,
las ich ausschließlich Preußler oder Blyton.
Das letzte Gold verfallener Sterne leuchtete
mir trotzdem immer völlig ein, alles erlebte
ich tief, tiefer, aber ich verstand es nicht.
Ich konnte deinen Schmerz nicht verstehen
und hatte meinen. Du hast mir nichts geraten. (…)


Georg Trakl gerät mitten in einen Krieg und dessen heute kaum vorstellbare Umstände hinein: Er wurde als ausgebildeter Apotheker 1914 in die k. u. k. Armee als Militärmedikamentenakzessist berufen, ein Leutnantsrang. Er erlebte im Spätsommer 1914 die Schlacht um den ostgalizischen Ort Gródek, in der österreichisch-ungarische Truppen den russischen Truppen unterlegen waren. Die Verluste waren groß. Trakl hatte vor Ort an die hundert Schwerverletze ohne ärztliche Assistenz zwei Tage lang zu versorgen. Mit all den Wirrnissen und Schrecken hilflos überfordert, vom allgegenwärtigen Tod ständig umgeben. „Was kann ich tun? Wie soll ich helfen? Es ist unerträglich“, soll er angesichts der Toten und Schwerverletzten geschrien haben. Ich kann es mir nicht ausmalen, behelfe mir mit Berichten und Dokumentationen: Materialschlacht, Unterstand, Gaskrieg; dazu Hunger, Regen, Kälte, Nachschubschwierigkeiten. Schon im Herbst 1914 war die ganze Palette da. Lazarette voller Sterbender, eine Hölle aus Wehklagen und Todesgerüchen. Reihenweise Amputationen, abgetrennte Gliedmaßen, Verstümmelte. Blindheit durch Gas. Der ganze und volle Ernst des Krieges, des zerstörten Lebens. Vom Generalstab angeordnete Hinrichtungen. 18 Ruthenen werden vor seinen Augen an Bäumen erhängt: Trakl hat das nicht ausgehalten. Am 3. November 1914 starb Georg Trakl an einer Überdosis Kokain. Er ist daran kaputtgegangen. Ganz offensichtlich. Kaum 3 Monate nach Kriegsausbruch war er tot. Ein von Schmerz und Krieg zerstörtes Leben.

Georg Trakl

HEITERER FRÜHLING

(2. Fassung)

1
Am Bach, der durch das gelbe Brachfeld fließt,
Zieht noch das dürre Rohr vom vorigen Jahr.
Durchs Graue gleiten Klänge wunderbar,
Vorüberweht ein Hauch von warmem Mist. (…)


Martin Piekar

WEITERER FRÜHLING

1
Die Birken blühen kalk wie Kokain,
Sie gleichen simplen Fruchtbarkeitsverstärkern.
Ich glaube nicht an die Hormonberserker,
Die scheinbar knutschend durch die Netze ziehn.

An mir war nie ein solcher Ringelpiez.
Kein Trauriglied birgt säumend meinen Schwall.
Der Frühling scheint mir Anfang von Verfall,
Da Winter sich auf Traumgeburt verließ; (…)


Das Erleben oder Teilhaben an Prozessen menschlicher Gewalt ist nur schwer zu bewältigen und mit dem Weltbild des Erlebenden zu vereinbaren. Augenzeugen von Grausamkeiten und Gräueltaten während eines Krieges erschüttern den Glauben an die Menschlichkeit. Heute weiß man, dass ein erheblicher Teil derer, die es aus einem Krieg zurückschaffen, sofern sie körperlich gesund sind, nach einem Krieg psychisch an den Folgen dessen leiden, was ihnen dort begegnet ist. Noch während bzw. nach dem Vietnamkrieg wurden amerikanische Kriegsheimkehrer einfach am Flughafen abgestellt; dennoch gab genau dieser Krieg zuerst Anlass, erworbene psychische Störungen wie das Posttraumatische Belastungssyndrom weiter zu erforschen. Gerade vom ersten Weltkrieg weiß man, dass es auch dort Trauma, Schock, irreversible motorische Störungen und PTBS gab.

Jan Skudlarek

gerinnerung

Die Sanne schneit neisam an Machnittag,
Lund eise schwendet der Tan der Minnen.
Gim Arten lüstern der Schwüstern Stinnem –
Dauscht der Knabe in verschlagenem Scholz,
Doch biebernd über gebuchtes Bild.
Vermüdend blau die Linden versanken.
Ein Reimer ragt im Äther ertranken,
Im Zaum astmathisch Ratten-Erker gilb.


Georg Trakl

VERFALL II ( ? )

Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten,
Folg ich der Vögel wundervollen Flügen,
Die lang geschart, gleich frommen Pilgerzügen,
Entschwinden in den herbstlich klaren Weiten. (…)


Nora Bossong

VERFALLSSTUDIE

Nichts wird hier je für Astern sprechen,
es wächst nur Sperrmüll durch das Hinterhaus.
Kinder gibt es, die beim Glascontainer spielen,
Gitter, die vorm Kellerfenster rosten,
und Bäume, die ihr Laub verlieren.
Eine Flasche Wodka haucht ihr Leben aus. (…)


Ob eine Bildfindung wie die Wodkaflasche, die ihr Leben aushaucht, im Hinblick auf Trakls Leben gelingen kann, mag jeder für sich selbst entscheiden. Georg Trakl hat sich ein Höchstmaß an Offenheit für das Schöne regelrecht abgerungen. Der Krieg und der Tod durch Überdosis waren nur das letzte Kapitel in seinem Leben, dennoch drohte schon in früheren Gedichten Verfall.

Als Mensch litt Trakl an etwas, was wir heute soziale Phobie (oder soziale Angststörung) nennen würden; er hatte zudem Depressionen, behalf sich mit Alkohol und diversen Substanzen, sein gefühltes Manko in Bezug auf tadelloses Funktionieren in einer schwierigen Zeit irgendwie auszugleichen oder zumindest damit auf einen halbwegs positiven Level zu kommen: um sich und die Welt (als alles ihn Umgebende) auszuhalten. „Er stellte sich selbst medikamentös ein“, würde man heute beispielsweise sagen. Es war eine andere Zeit. Antidepressiva waren nicht verfügbar. Wie ein schwerer Schatten lastet auf allen Gedichten Trakls ein ahnungsvolles Missempfinden; es ist in ihm schon früh eine Stimme für Unaussprechliches, für Trostlosigkeit, für die düsteren Vorzeichen des Krieges gewachsen. Dieser drückt sich in einem neuen Tonfall aus – ein fremder, eigentümlicher und gleichzeitig düsterer, unbegreiflicher Klang ist darin, der dennoch etwas Warmes hat.

Georg Trakl

Finster blutet ein braunes Wild im Busch;
Einsam der Blinde, der über verfallene Stufen herabsteigt.
Im Zimmer die dunklen Flöten des Wahnsinns.

Mit Schnee und Aussatz füllt sich die kranke Seele,
Da sie am Abend ihr Bild im rosigen Weiher beschaut.
Verfallene Lider öffnen sich weinend im Haselgebüsch.
O der Blinde,
Der schweigend über verfallene Stufen hinabsteigt im Dunkel.
Im Dunkel sinken Helians
Augen.


Ulf Stolterfoht

1| blutfinster scheint braunwild gemäß. blindfall folgt buschsam
auf dem fuße. steigstuf ins dunkelzimmer. schneesatz zeitigt flötenwahn.
füllkrank macht seelenabend. schauweiher trumpft mit
rosbild auf. lidfall steht weinoffen u/o haselbuschblind. steigstuf
zum schweigfall nun. dann dunkeldunkel. eigennam. sinkaug. (…)


Trakls Sprache hat mich als Jugendlicher sehr beeindruckt. Da waren Bilder von Verfall und Schönheit in einem: weniger romantisch im Sinne einer Dichtung um Liebessehnsucht und überhöhte Zweisamkeit waren da Bilder von Tod, Vergänglichkeit, Einsamkeit, Verfall – und trotzdem ein Rest Schönheit; so viel Glanz und gütiger Frieden, der gar nicht von dieser Welt zu sein schien. Trakl schafft es (ex negativo?), dass – ein Blick in einen Opal! – einem die Welt ein Stück l(i)ebenswerter wird. Es ist darin auch ein Rest kindliche, unzerstörbare Jugendlichkeit und Glück – trotz aller Ödnis, aller Leere und Verwerfung des Kriegs, trotz des Pathos und der Ästhetik des Grauens, der Vernichtung, trotz der zerfetzten, menschenleeren, wüsten Orte inmitten anormaler Landschaft ein Hauch von Melancholie und Dionysischem – Trakls unnachahmlicher Ton.

O die Nähe des Todes. Laß uns beten.
In dieser Nacht lösen auf lauen Kissen
Vergilbt von Weihrauch sich der Liebenden schmächtige Glieder.

Man hat von Trakls »negativer Religiosität« gesprochen, von seinem fast inbrünstigen Festhalten am Spirituellen unter einem entleerten Himmel; wirklich sind ›Offenbarung und Untergang‹, wie Trakl ein berühmtes spätes Prosastück überschrieb, auch hier untrennbar.

(Jan Wagner über Trakls Rosenkranzlieder)


Der Impuls, sich gegen jedwedes sich selbst beschwerende Pathos mit Leichtigkeit zu wenden, ist heutzutage sehr en vogue. Zumal es sich anbietet, Pathos durch alle möglichen Strategien zu unterlaufen. Gerade bei Texten, die sich an Trakl anlehnen, scheint es schwer, das Auratische des Trakl-Tons beizubehalten, sofern es gelingen soll, in sorgfältigen Bearbeitungen die spezielle Note mitzunehmen und dennoch in dem eigenen Text ein völliges Nichtpathos aufscheinen zu lassen. Ein Spagat? Hier scheint mir die Strategie zumeist aufzugehen, dass eher unterkühlte Texte, die scheinbar einen völligen Mangel an Mitgefühl oder Pietät zeigen oder einem anfangs oberflächlich erscheinen, im Umkehreffekt einen respektvolleren Zugang eröffnen, als er bei halbherzig hingesetzten Bedauerungs- und Betroffenheitsversen entstehen würde.

Manchmal scheint es, als müsse Trakl, um im Heute anzukommen, erst aus dem Traklischen übersetzt werden; als müssten Bearbeitungen zu Trakl sich erst ihren (f)einfühligen Zueigungsmodus erfinden. Das Vorwort ist in diesem Sinne recht erhellend. Getrakelt: Haben wir womöglich alle mal, wenigstens phasenweise. So schreibt Kathrin Schmidt in einer Anmerkung zum eigenen Gedicht:


Was ich im Angesicht Trakls tun kann, ist nicht viel. Es verbietet sich, mit ihm zu sprechen? Nein. Er verbietet mir, mit ihm zu sprechen. Ein früher Angebeteter, habe ich ihn aus dem Eckchen mit Thron nie heraustreten lassen. Die Strafe folgt auf dem Versfuß. Anders als formal auf ihn Bezug zu nehmen, will nicht gelingen. So reden wir aneinander vorbei. Aber händchenhaltend. Wenigstens das.

¹ zu: Georg Trakl, Rondel
² zu: Georg Trakl, Ein Herbstabend
³ zu: Georg Trakl, Psalm I, (2. Fassung)
zu: Georg Trakl, In den Nachmittag geflüstert
zu: Georg Trakl, An die Verstummten
zu: Georg Trakl, Der Schatten
 zu: Georg Trakl, An den Knaben Elis
zu: Georg Trakl, Kindheitserinnerung
Helian scheint eine erfundene Gestalt, eine Chiffre Trakls zu sein.


Am Mittwoch, 12.11.2014, um 20:00 Uhr, präsentiert im Lyrik Kabinett München:


Trakl und wir. Fünfzig Blicke in einen Opal. Hrsg. von Mirko Bonné und Tom Schulz. München (Stiftung Lyrik Kabinett) 2014. 196 Seiten. 22,00 Euro.

Zurück zum Seiteninhalt